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Der wahre Jakob: illustrierte Zeitschrift für Satire, Humor und Unterhaltung — 14.1897

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https://doi.org/10.11588/diglit.6610#0028

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2375

„Dieser Lump, der Eckerts!" brummte unten der Trinker, „wie '
er als Einjähriger zu mir kam und froh war, daß ich ihm Kredit
gab! Gespielt und rnmgesumpft hat er, ne wahre Schande war's.
Jetzt is er hier und nennt sich Herr Oberinspektor und thut, als
kennt er mich nich mehr!"
„Wie kam es denn," hörte man Walter leise fragen, daß Du ..
„Daß ich hierher kam?" unterbrach ihn der Vorige, „na, das
Geschäft stockte, cs war damals gerade eine flaue Zeit . . . mein Mädel
kostete mich auch zu viel . . . kurzum, ich ging pleite . . . und dann
immer tiefer ... ick trank zuletzt, blos um zu trinken. Schließlich
lernte ich Karl'n kennen und trat bei dem in de Lehre . . . denn der
war damals schon Meister, hahahah!" nnd der Gefangene lachte, —
ein widerwärtiges, branntwcinverdorbenes Gelächter. „Was, Karl?"
„Na, ob! Ick versteh' mein Jeschäft. Det wir diesmal krachen
jejangen sind, na det is ebend Schlamassel. Aber et schadt nischt,
laß uns blos erst wieder raus siud, denn drchn wir 'n Ding, det sich
verschiedene Leute wundern wer'n!"
„Ihr wurdet zusammen abgefaßt?" fragte der im oben: Stock.
„Ja nnd kriegten beide sechs Jahre. Wie lange hast Du denn, j
Walter?"
Eine Weile hörte man keine Antwort. Dann kam eS, wie nach
einem Entschluß, herunter: „Zehn Jahre".
Der da oben überdachte seine Worte genau, ehe er sie aussprach —
den beiden Einbrechern drängte sich dieser Gedanke fast gleichzeitig auf,
ohne daß sie ihn einander mittheilten, und sic hatten das Gefühl, als
ob cs nutzlos wäre, ihn nach der Ursache seiner Strafe zu fragen.
„Un sieben haste schon runterjerissen", meinte dann der Berliner.
„Zehn Jahre . . . Donnerwetter, det is 'n janz jehörigen Knast!"
„Und was mußt Du in der Zeit Alles ausjestanden haben, hier
in das verfluchte Haus!" bedauerte nun auch Fritz seinen Leidens-
gefährten und der Bleiche oben meinte den Alkoholdunst zu spüren, der
aus dieser Stimme aufstieg, obgleich der Inhaber seinen Lieblingsgenuß
schon seit Jahresfrist entbehren mußte.
„Ein Jahr lang habe ich gar keine Strafe gehabt", sagte Walter,
„obgleich wir damals noch den andern Direktor hatten, einen grau-
samen, bösartigen Menschen, vor dem die Gefangenen zitterten. Da-
mals war ein Geheul hier in: Hause, daß man meinte, man müsse
verrückt werden. Jeden Tag ließ er zwei oder drei in den Bock schnallen
nnd bis aufs Blut peitschen. Das Geschrei ging einem durch Mark
und Bein! Dem hat manch Einer glühende Rache geschworen..." !
Den beiden Einbrechern war's, als hörten sie droben ein Zähne-
knirschen. Aber sie mußten sich doch wohl getäuscht haben, denn gleich
darauf klang es wieder so weich und leise, wie sonst, herab: „Es wird !
meist nichts aus solchen Racheplänen, aber —-"
„Aber et muß scheen sind, de Finger in det Blut von diese
Folterknechte cinzutauchen!" vollendete Karl, dem sich eine Roman-
Phrase, die er irgendwo gelesen, in Wuth umsetzte.
„Die Kourage fehlt", gurgelte sein Komplize, „sonst!" Und
wieder eine Pause.
Dann fiel es plötzlich scharf und schneidend, wie ein Messer, von
oben herunter: „Einmal hat sich doch Einer gerächt!"
„Wie?"
„Was?!"
„Det missen wir hcer'n!" rief Karl.
„Ja, das mußt Du uns erzählen!" echote Fritz.
„Ich weiß es aber auch nur vom Hörensagen."
„Schad nischt!" und „wenn's auch nur ist, um die Zeit damit
todtzuschlageu", klang es von den beiden Andern zurück.
„Also gut. Ich will mir nur eiue Zigarre anstcckeu, eS plaudert
sich dann besser." Und das bleiche, längliche Gesicht verschwand für einen
Moment vom Gitter, um gleich wieder aufzutauchen. Dann begann er.
„Sechs Jahre könncn's jetzt etwa her sein, da saß hier in meiner
Zelle ein blonder, blühender Mensch, seines Zeichens ein Maler."
„'n Stubenmaler?" forschte Karl.
rme Lippen des Erzählenden kräuselten sich verächtlich, aber er
erwidcite ruhig: „Nein, ein Kunstmaler war's . . ."
„Wcßwejen war er 'n hier?" wollte Karl wissen.
„Ach, Du mußt Waltern nich immer unterbrechen", verwies ihn
sein Zellennachbar, hüstelnd und ausspuckend.
„Der junge Mensch führte stch gut", setzte Walter, ohne den Ein-
wand des Berliners zu beachten, seine Erzählung fort, „und der

Direktor, der ein sonderbares Wohlwollen für den Maler zeigte, erlaubte
ihm, sich iu den Freistunden mit seiner Kunst zu beschäftigen."
„Is det derselbe Direktor?" unterbrach Karl abermals.
„Jawohl, derselbe, der die Gefangenen so unmenschlich behandelte..."
Der Bleiche machte wieder eine nachdenkliche Pause. Karl störte
ihn nicht, denn er überlegte eben, ob eS nicht doch am Ende möglich
sei, hier auszubrechen.
Dann fuhr der Erzähler fort:
„Eines Tages trat der Direktor zu dem juugeu Manu in die
Zelle und fragte ihn, ob er einen Auftrag übernehmen wolle. Der
Gefangene verstand ihn zuerst uicht. Einen Auftrag? Ja, was dcun
für einen Auftrag?
„Seine Frau, erklärte der Direktor, hätte eiue von den Tnschskizzen
des jungen Malers gesehen und sie sei entzückt davon. Ob er sich wohl
getraue, einen Plafond künstlerisch auszuführen? — „Er meinte, ob
der Maler fähig sei, eine Zimmerdecke mit einem Gemälde zu schmücken",
erläuterte der Gefangene seine Worte. „Der junge Mann, den der
Verlust seiner Freiheit fast schon wahnsinnig gemacht hatte, wußte gar
nicht, wie ihm geschah! Jetzt tödtete ihn die Freude fast. Er sollte
wieder seiner geliebten Kunst leben dürfen, wieder unter Menschen sein
und mit ihnen sprechen! O, er war selig! Sein Empfinden über-
wältigte ihn, er brach in Thränen aus. Er stürzte auf den Direktor
zu uud wollte ihm die Hände küssen, er war ja so dankbar, so über-
schwänglich dankbar. . . Aber als er anfblickte und das Gesicht dieses
Mannes sah, ein weißes glanzloses Gesicht, mit ein paar Augen, die
so trüb nnd verrätherisch schillerten und dumm uud verächtlich auf ihn
niederglotztcn, — wahre Basiliskenangen! — da sank ihm der Muth.
Im Geiste hörte er wieder die heulenden Schmerzensklagen seiner
armen Leidensgenossen und einen Augenblick war es ihm, als dürfe er
von solchem Menschen nichts Gutes annehmen, als sollte er dem Direktor
sein Gnadengeschenk vor die Füße werfen. Doch der Künstler war zu
mächtig in dem jungen Maler, er nahm das Anerbieten des Direktors
an. Dieser stellte ihn seiner Gattin vor '— natürlich hatte man ihm
vorher seine eigenen Kleider wiedergcgeben — und jeden Vormittag
verbrachte er nun in der Villa des Direktors und malte an dem
Deckengemälde, welches den Siegeszug der Venus darstellen sollte.
Der Aufseher, der ihn hinüberbrachte, holte ihn auch wieder zurück
und Nachmittags war er dann in seiner Zelle und zeichnete Skizzen und
Entwürfe.
„Die junge Frau des Direktors behandelte den Gefangenen sehr
gütig. Sie besaß viel Geschmack und Kunstsinn und schön Ivar sie,
sehr schön! „Wißt Ihr, wer Tizian war?"
Die beiden Einbrecher überließen sich gegenseitig das Antworten.
„Nun also, es war ein berühmter Maler, der auf seinen herr-
lichen Bildern mit Vorliebe Frauen malte, die ihr glichen. Stellt
Euch ein junges, liebreizendes Weib vor, mit Formen, wie sie nur ein
Gott erdacht! Und die Haut so weiß . . ohne eine Spur von Blässe. .
wie das goldrosige Weiß der Abendwolken und von einer so wunder-
baren lachenden Frische..."
Der Erzähler stockte.
„Weiter, weiter!" drängte unter ihm Karl, mit gänzlich veränderter,
wie gebrochener Stimme.
Auch der Weinwirth ächzte, Ivie ein verwundetes Thier. Der
Erzähler weidete sich einen Moment an diesem Aufruhr, den er hervor-
zauberte mit seiner Schilderung, dann versenkte er sich selbst wieder in
die Schönheit dieser Erinnerung.
„Sie hatte starkes, dunkelrothbraunes Haar voll flammender Reflexe
und sie trug es stets offen, in Locken, die ihr auf die Schultern fielen.
Und dies Haar warf warme glänzende Schatten auf ihren zarten Hals,
den sie unbedeckt ließ. Ihre Augen hatten keine dauernde Farbe, sie
veränderten sich bei jeder noch so flüchtigen Erregung, aber auf ihrem
bläuliche» Grunde schlummerte eine solche Fülle von Empfindungen,
eine so leidenschaftliche Glnth, daß es dem Maler schwindelte, wenn er
zu lange hineinsah; und dann sang sie.. der Maler hörte es oft.. .
im Nebenzimmer, aber auf seine Bitte ließ sie die Thür weit offen . ..
ah, das Lied, welches sie immer sang! . . wie ein glühendes, unaus-
sprechliches Weh quoll es aus der Tiefe ihrer Seele empor. . Den
Maler erfaßte eine rasende Leidenschaft für sie.
„Eines Tages war er eben an die Arbeit gegangen und sie stand,
wie gewöhnlich dabei und schaute ihm zu. Es war im Frühling. Die
Fenster waren geöffnet und der erste Rosenduft wehte herein und draußen
 
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