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Der wahre Jakob: illustrierte Zeitschrift für Satire, Humor und Unterhaltung — 14.1897

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https://doi.org/10.11588/diglit.6610#0047

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2394

Am Hofe bei Aegir.
Line wahre Begebenheit.
Auf der Reise nach England kehrte ich neulich
am Hamburger Hafen in einer alten Seemanns-
kneipe ein. Als ich die alten verräucherten Bilder
an den niedrigen Wänden betrachtete, meistens See-
stücke einer nicht näher zu bestimmenden Schule,
und als ich die derb-gleichmüthige plattdeutsche
Unterhaltung an den anderen Tischen hörte, wurde
ich lebhaft an ein paar frohe Stunden erinnert,

die ich hier vor Jahren mit Krischan Wehncke,
dem Münchhausen der See, verlebt hatte, der
damals sein Abenteuer, „mang de Seewiebers
achterwards von de KapverdschenInseln" erzählte.
Während ich halb träumend darüber nachdachte,
ob der alte Seebär wohl noch im Fahrwasser des
seligen Odysseus umherkreuze, trat er selbst in
die Thür und setzte sich zu mir an den Tisch.
Es währte nicht lange, da war er wieder recht in
seinem Kurs, er stieß herzhaft mit mir an, und über
sein ehrliches braunes Gesicht huschte nur selten
ein schelmisches Lächeln, während er erzählte:
Ich fuhr mit meinem alten Dreimast-Schooner
„Seeschlange" ganz im Norden des Atlantic und

gerieth unversehens zwischen zwei riesige Eisberge.
Das Schiff wurde zerquetscht, und ich sprang
oben auf das Eis, rutschte aber aus und sank
mit meinen großen Stiefeln wie ein Stein unter.
Mir schwanden die Sinne, und als ich wieder
zu mir kam, befand ich mich tief unten in einer
Grotte in einem aus Eisblöcken erbauten Palast.
Mehrere Hofdamen, richtige Seeweiber mit langen
Fischschwänzen, unterhielten mich sehr angenehm.
Ihr Gespräch war meistens Hofklatsch, sie waren
eifrig dabei, einen Minister zu stürzen, und haupt-
sächlich hechelten sie den Monarchen selbst durch,

der gerade von einer größeren Jagd auf Tiefsec-
wild zurückerwartet wurde. Plötzlich schlüpften sie
kichernd und zischelnd hinaus, und ich sah durch
die großen Eisscheiben Se. Majestät Aegir VII.,
der auf einem Seelöwen ritt, mit großem Gefolge
heranschießen.
Gleich darauf trat der Fürst in voller Rüstung
ein, mit einem großen Muschelhorn und Dreizack
und an der Seite den Sabel. Goddam, wie
guckte er mich mit seinen Schellfischaugen an,
und wie fischig er roch! Seinen Schnurrbart
hatte er so spitz gedreht wie ein paar Fisch-
gräten. Die Aehnlichkeit war auffallend, gerade
wie König Stumm! Als ich mich nun vorgestellt

hatte, wurde er sichtlich freundlicher und ließ
zwei Humpen mit Walfischthran bringen. Da
er mir aber wohl ansah, daß mir übel wurde,
befahl er steifen Grog, und der war nicht schlecht,
nur für meinen Geschmack etwas zu stark von
Wasser. Dann steckte sich Jeder von uns eine
Kalkpfeife an, und nun wurde er ganz leutselig
und gesprächig.
„Dir kann Ich auch das anvertrauen, Krischan",
sagte er, „was hier bei Uns nicht so recht nach
Meinem allerhöchsten Wunsch ist. Denn bei euch
auf der Oberwelt ist es doch Alles noch hundert-
mal schlechter. Sieh' mal die Beiden da, mein
Junge", und er zeigte mit dem königlichen Daumen
nach dem Eisfenster hin, wo ich zwei kolossale Hai-
fische vorbeischwimmen sah, die im gleichen Takt
die Schnauze senkten und sehr devot mit dem
Schwänze wedelten. „Das ist Herr von Nix und
Herr von Neck, zwei große Habe- und Taugenichtse.
Ja, eure Komplimente imponiren Mir nicht. Ich
kenne euch! Uebrigens der älteste Stammbaum,
von dem sich ja sogar deine Menschen, diese Rotte,
nach Darwin frecherweise herleiten. Ich mag die
Brüder den ganzen Tag nicht leiden, aber Ich
kann ihre Hakeuzähne zu Meinem Schutze nicht
entbehren, wenn sie Mir auch gewöhnlich das
Beste wegschnappen. Scheinheilige Katzenaugen
hatten sie schon immer, aber neuerdings haben
sic sich das Jammern angewöhnt, und hier in
der See ist solche Heulerei unerhört. Sie klagen,
sie müßten Hungers sterben, und Ich soll eine
königliche Fischräucherei anlegen. Ja, Prost Mahl-
zeit, ihr Herren! — Schön kühl ist es hier oben,
nicht wahr? Ja so, du wunderst dich, lieber und
getreuer Krischan, daß Ich „oben" sage. Ich
komme nämlich von Meinen herrlichen Jagd-
gründen ganz unten im Stillen Ozean. Da ist
es schön. Das ist für Mich ungefähr dasselbe
wie für euch das Gebirge, da lebt man 'mal auf.
„Mein Reich ist eigentlich zu groß, ich kann
da nicht mehr so recht durchfinden. Aber wenn
euer Nansen erst den Nordpol entdeckt, daun ver-
suche Ich es von unten auch noch und erobere
Mir noch einen netten Flicken zu. Eine Kleinig-
keit ist das Regieren hier allerdings nicht. Du
mußt immer bedenken, mein Lieber, bei euch ist
blos das in Ordnung zu halten, was auf dem
armseligen Erdboden krabbelt, aber hier auch noch
von oben bis auf den Grund. Aber, Junge,
Meine Polizei ist gut. Solche Spitzel wie Meine
Schollen, die sich mit dem schiefen Maul unter
den Sand wühlen, sich ganz zudecken und nur
ihre Glotzaugen herausstecken und nach allen
Seiten drehen, die hat bei euch kein König und
kein Kaiser. Auch mit den Parteiverhältnisseu bin
Ich im Ganzen zufrieden. Meine Krebse sind im
! Rückwärtsgehen konsequenter als eure Ultramon-
tanen und Konservativen, und die großen Aale
sind keine Nationalliber-Aale, sie sind fixer und
glatter. Nur die Tintenfische werden Mir zu klug
und wollen die Anderen auch klug machen. Wenn
du zu Mir sagen wolltest: Sire, geben Sie
Schreibfreiheit, dann würde ich sagen: lieber Rede-
freiheit, denn die wird in meinem Reiche noch
weniger mißbraucht als oben in dem anderen
Königreich Stumm. Das Schlimmste ist hier
bei der sehr ausgedehnten Freizügigkeit das Ein-
ziehen der Steuern, und die Ausgaben für die
höchsten Zwecke, für Mich und das Reich, werden
immer größer. Nie will es mehr reichen. Den
! Salzgehalt des Meeres habe Ich schon besteuert,
' nun muß das Wasser selbst daran, mag der
Pöbel auch murren. — Trink' doch deinen Grog
aus, Wir haben mehr", und Se. Majestät kippten
ungefähr den zehnten Grog auf einen Hieb weg.
„Pah, diese Heringe", begannen Höchstdieselben
wieder, „verfluchte Demokraten! Versammlungs-
freiheit auf offener See, das könnte euch passen.
Was, Rebellion? Hoch- und Seeverrath? Drei

.,Sieh' mal die Beiden da, mein Junge", und er zeigte mit dem königlichen Daumen
nach dem Eissenster hin.
 
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