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Der wahre Jakob: illustrierte Zeitschrift für Satire, Humor und Unterhaltung — 14.1897

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https://doi.org/10.11588/diglit.6610#0059

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2406

Absolutismus und Feudalismus. Hierin haben sie weder die Anfein-
dungen und Enttäuschungen, welche sie von der Bourgeoisie erfuhr, noch
die Drohungen oder Schmeicheleien, Ivomit die Reaktion sie zu ködern
suchte, einen Augenblick irre geführt. In der Geschichte der März-
revolution .ist nicht ein einziger Fall nachweisbar, in dem die Arbeiter
auch nur einen Fußbreit von dein Wege abgewichen wären, auf den
sie ihre historische Pflicht in den Klassenkämpfen zwischen Bourgeoisie
und Feudalismus verwies.
Sobald die Nationalversammlungen in Berlin und in Frankfurt
zusammengetreten waren, stellte sich das Proletariat stützend und voran-
treibend hinter sie. Es Ivar sich ganz klar darüber, daß die Führung
der Revolution nunmehr in den Händen der Parlamente lag, daß mit
jedem Versuch, über ihre Köpfe hinaus zu handeln, nur der Gegen-
revolution gedient war. Was die patriotische Geschichtsschreibung von
den angeblichen Terrorisirungsversuchen zu erzählen weiß, die namentlich
von den Berliner Arbeitern an der preußischen Nationalversammlung
ausgeübt worden sein sollen, ist eitel Humbug. Gewiß haben die Ar-
beiter, so lange irgend eine Aussicht vorhanden war, daß die Parla-
mente über daS Königthum siegen könnten, einen Druck auf sie auszu-
üben gesucht, haben sie sich ihren radikalen Fraktionen zur Verfügung
gestellt und dadurch die höchste Erbitterung der Reaktion wachgerufen.
Aber alles das geschah im Interesse der revolutionären Entwicklung,
und kein Parlamentarier, der es ehrlich mit der Revolution meinte,
brauchte sich dadurch in seiner Ehre und Würde gekränkt zu fühlen.
An solchen Schmerzen litten nur die faulen und feigen Parlaments-
schwätzer, die von vornherein die Revolution an die Krone zu verrathen
bereit waren. Sie allein spielten sich auf die beleidigten Ehrenmänner
hinaus, wenn ihre nichtsnutzigen Jntriguen, die in Wirklichkeit die
Parlamente schändeten, durch die ehrliche und offene Politik des Prole-
tariats gestört wurden.
Die Arbeiter wußten sehr genau, wann eine offensive und wann eine
defensive Politik geboten war. Im Juni 1848, als die preußische National-
versammlung mit einiger Energie und Geschicklichkeit noch Alles hätte
retten können, machten sie ihr Luft durch den Sturm auf das Zeug-
haus; im Oktober, als der parlamentarische Karren völlig verfahren war
und die einzige Möglichkeit der Rettung nur noch darin bestand, daß die
Nationalversammlung im Augenblick ihrer Sprengung den nationalen
Aufstand dekretirte, hielten die Arbeiter vorsichtig zurück. Alle reaktio-
nären Versuche, sie zu einem vorzeitigen Putsche zu verlocken, glitten
spurlos an ihrer kühlen Ueberlegung ab. Mit Mühe und Noth brachten
die Staatsstreichhelden einiges Lumpenproletariat auf die Beine, das vor
den Thürcn der Nationalversammlung jene belanglosen Spektakelszenen
aufsührte, die dann den Vorwand hergeben mußten, die Versammlung
zu vertagen und nach einer kleinen Provinzialstadt zu verlegen, wo sie
dem Einfluß des revolutionären Proletariats entrückt war. Nachdem
so die Würfel gefallen waren, forderten die Berliner Arbeiter in Adressen
und Deputationen von der Bürgerwehr und der Nationalversammlung,
die bewaffnete Gegenrevolution mit den Waffen in der Hand zu be-
kämpfen und den nationalen Aufstand zu entzünden, der im November
1848 keineswegs aussichtslos gewesen wäre. Aber Ivie bekannt ließ
sich die Bürgerwehr ruhig entwaffnen und die Nationalversammlung
verkroch sich hinter den „passiven Widerstand" lächerlich-verächtlichen An-
gedenkens. Es geschah nicht, weil die braven Bürger an der Ehrlichkeit
der Arbeiter zweifelten, die Blut und Knochen an die Sache der bürger-
lichen Revolution zu setzen versprachen, sondern ganz im Gegentheil:
weil sie sehr genau wußten, wie bitter erust es die Arbeiter mit dieseni
Versprechen meinten und wie getreu sie es halten würden.
Bei der Sprengung der deutschen Nationalversammlung im Sommer
1849 war wiederum das Proletariat die Seele der Aufstände, welche
die verlorene Sache der Märzrevolution in Dresden, im bergisch-mär-
kischen Jndustriebezirk, in Baden und in der Pfalz noch zu retten ver-
suchten. In Dresden kommandirte Born auf den Barrikaden, in Elber-
feld zeichnete sich Hugo Hillmann, in Iserlohn Karl Wilhelm Tölcke aus,
zwei Männer, die dann noch in den Reihen der deutschen Sozial-
demokratie gestritten haben; in dem badisch-pfälzischen Aufstande, der
seinem Wesen nach kleinbürgerlichen Charakters war, waren eS Kom-
munisten und Proletarier, die mitten in aller kleinbürgerlichen Kopf-
losigkeit und Verwirrung den Kopf oben behielten. Die Art, wie Johann
Philipp Becker die badische Volkswehr führte, zwang selbst den preußi-

schen Gamaschenknöpfen Worte der Anerkennung ab; in dem Treffen
von Waghäusel siel der junge Schlöffe! heldenmüthig kämpfend an der
Spitze seines Bataillons; mit einem gleich tapferen Tode krönte in den
letzten Kämpfen an der Murg der Uhrmacher Josef Moll sein der
Arbeiter-fache geweihtes Leben; das Willichsche Freikorps, in welchem
Engels als Adjutant diente, bestand überwiegend aus rheinischen Prole-
tariern, die beim Angriffe die Ersten und beim Rückzüge die Letzten waren.
Die Arbeiterklasse blieb der bürgerlichen Revolution treu bis zum
letzten Athemzng, unbekümmert um Dank und Lohn, den sie von dem
Bürgerthum so wenig beanspruchte wie erhielt. In seinen Aufsätzen
über den badisch-pfälzischen Aufstand schrieb Engels: „Den mehr oder
minder gebildeten Opfern sind von allen Seiten in der Presse, in den
demokratischen Vereinen, in Versen und in Prosa Denksteine gesetzt
worden. Von den Hunderten und Tausenden von Arbeitern, die die
Kämpfe ausgefochten, die auf den Schlachtfeldern gefallen, die in den
Rastatter Kasematten lebendig verfault sind oder jetzt im Auslande
allein von allen Flüchtlingen das Exil bis auf die Hefen des Elends
durchzukostcn haben — von denen spricht Niemand. Die Exploitation
der Arbeiter ist eine althergebrachte, zu gewohnte Sache, als daß unsere offi-
ziellen Demokraten die Arbeiter für etwas anderes ansehen sollten, als
für agitablen, erplvitablen und explosiblen Rohstoff, für pures Kanonen-
futter." Wie sehr Engels den Nagel auf den Kopf getroffen hatte, bewies
Ludwig Bamberger noch achtzehn Jahre später, als er in einer Rede sagte:
„Als eine heilige Pflicht eines Jeden, der von nah oder fern dieser
Dinge Zeuge gewesen, betrachte ich es, die Erinnerung an die Greuel
wach zu erhalten, welche damals von den obersten Staatsgewalten an
den Edelsten und Besten der Nation mit roher Grausamkeit und teuf-
lischer Bosheit verübt worden sind. Schmach, ewige Schmach über
die, so sich Beschützer von Kunst und Wissenschaft nannten, und denen
es eine Wollust war, edel und fein gebildete Menschen, die für ihre
Ueberzeugung cingestanden, Schriftsteller, Dichter, Künstler zu allen
unaussprechlichen Erniedrigungen herabzudrücken, welche ein humaneres
Zeitalter dereinst nicht einmal über den gemeinsten Verbrecher verhängen
wird. Schmach über sie, und niemals Pardon für sie!" Mit keiner
Silbe gedachte der empörte Redner der unendlich viel zahlreicheren
Proletarier, die der grausam-schmutzigen Rache der Gegenrevolution ver-
fallen waren.
Es Ivar noch kein Jahr nach dieser Philippika ins Land gegangen,
als Bamberger mit dem demüthigen Bekenntniß: Hunde sind wir ja
doch! sich gehorsam vor denen beugte, über die er eben „ewige Schmach"
gerufen Hatte, als er den „Dichtern, Künstlern, Schriftstellern", die in
der bürgerlichen Revolution ihre bürgerliche Pflicht gethan hatten, über
Grab und Zuchthaus hinaus einen Fußtritt versetzte. Das Proletariat
hält das Andenken auch dieser Männer in Ehren, aber es vergißt des-
halb nicht, daß, Klasse gegen Klasse gerechnet, seine Väter es waren,
vergessene, verleumdete, verrathene Proletarier, denen der Lorbeer der
Märzrevolntion gebührt, die alle Stürme dieser Revolution ruhmvoll
bestanden haben. ,
Das sind in den allgemeinsten Zügen die Rechtstitel des deutschen
Proletariats an der Märzrevolution. Es kämpft heute mit anderen
Waffen als am 18. März, nicht weil cs seine damaligen Waffen ver-
leugnet, sondern weil heute andere Waffen wirksamer sind, als die da-
maligen Waffen sein würden. Die Wahl der Waffen hängt vom
Gegner, vom Schlachtfelde, von der ganzen politischen Lage ab; sie
haben gewechselt und mögen wieder wechseln; was aber niemals wech-
seln, sondern nnr wachsen darf, das ist die Entschlossenheit und Geschick-
lichkeit, womit die jeweiligen Waffen geführt werden.
Könnten die Todten der Märzrevolution auferstehen, sie würden
ihre Helle Freude haben an der mächtigen und tapferen Schaar, die ihr
Erbe hütet und täglich mehrt. Aus ihren Knochen sind die Racher ent-
standen, von denen der alte römische Dichter singt. Je mehr die Nebel
zerflattern, welche eine liebedienerische Geschichtsklittcrung über den Ver-
lauf der deutschen Geschichte verbreitet hat, um so klarer und leuch-
tender tritt der 18. März hervor. Dieser eine Tag hat trotz alledem
unendlich viel mehr gethan für den Kulturfortschritt des deutschen Volkes,
als alle „glorreichen" Schlachttage von Fehrbellin bis Sedan. Und so
darf die deutsche Arbeiterklasse mit gerechtem Selbstbewußtsein den Tag
der Märzrevolution feiern als ihren ersten historischen Ehrentag.
 
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