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Der wahre Jakob: illustrierte Zeitschrift für Satire, Humor und Unterhaltung — 14.1897

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https://doi.org/10.11588/diglit.6610#0075

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Vellage zum „Wahren Aaccik" Lr. 260.

Mm die höhere Alpenfirnm
Wehm südlich milde winde
Und sie steigen leise, leise
In die deutschen Thäler nieder,
Ureiscn um die kahlen Wipfel
Unsrer alten, ernsten Ulmen,
Uüssen sanft die Mutter Erde,
Leben weckend, Unospen sprengend.
All' den Blumen, all' den Gräsern,
All' den bunten Schmetterlingen,
Die noch schlummern traumbefangen,
Bringen sie die frohe Uunde:
wachet auf! Es naht der Mai!
Und die Uunde wird vernommen.
Vlüthenduftend, glanznmwobcn
Tritt in neuer Jngendschöne
Strahlend die Natur entgegen
Den vergrämten armen Menschen,
Scheucht der Sorge schwarze Wolke
weg von den gefnrchten Stirnen,
Uuft der Hoffnung lichten Schimmer
In das thränendüstre Auge,

Aeiö einig!

Und sie spricht mit mildem Ulange:
Euch auch ist der Mai gekommen!
Euch erfreuen soll der Mai!
wie sich da die Brust erhebet,
wie die pulse feurig schlagen!
Der Verzweiflung dumpfes Brüten
weicht aus dem geheilten Herzen,
Jedes Uleinmuths bange Zweifel
Fallen gleich gebrochnen Retten,
Und ins Herz, das offne, freie,
Zieht wie Sonnenschein die Liebe —
Menschenliebe, Bruderliebe,
Alle, Alle froh umfassend,
Die der Völker Zwietracht trennte,
Die der Thorheit Wahn entzweit.
Brüder, Brüder sind sie alle,
Deren abgehärmte Züge
von der cw'gen Qual erzählen,
welcher die Enterbten Peinigt
In des Mammons schwerer Frohn.
Und sic rufen sich's entgegen

Ueber Länder, über Meere:
wer der Arbeit Ehrenkleid trägt,
welchem Stamm er auch entsprossen,
welche Sprache auch er rede,
welcher Glaube ihm gelehrt ward,
Sei ein Bruder unter Brüdern,
Und der Bund der Leidgenossen
Schließe sich zu Schutz und Trutz.
wie die goldne Maiensonne
In der Erde schwarze Schollen
Ihren lebenswarmen Strahl wirft,
So in weltentlegne Hütten,
So in tiefe, dunkle Schächte,
In die Werkstatt, die Fabriken
Dringt der Glockenton der Freiheit,
Der die neuen Weltbeherrscher
Auf den plan ruft, der es kündet:
Proletarier aller Länder,
Seid nur einig, seid nur muthig,
Und die schöne Welt ist euer,
Die im Maiensonnenglanze
wonnig euch entgegenlacht!

Vrmchilöens Ärwachen.


Feierabend! Verstummt war das Klirren,
Rasseln, Dröhnen, Klingen, Pfeifen, Kreischen,
Stampfen der Eisenhämmer und Walzwerke.
Nur die hohen Schlote der Schmelzöfen fuhren
fort, mit ihrem Qualm die Luft zu verfinstern.
Siegfried hatte seine magere Mahlzeit verzehrt
und stieg noch hinauf in den Bergwald, um
reine Luft in seine breite Brust zu saugen. Es
war am Vorabend des ersten Mai. Er ging
gern hinauf, wann der Eisenhammer, in dem
er arbeitete, ihn frei ließ. Seit seiner Knaben-
zeit schon waren sie gute Freunde, er und das
Gebirge, und wie er dort Weg und Steg kannte,
so die Sagen und Märchen, die sich an Fels
und Wald knüpften. Die Ahne hatte sie ihm

! bei dem Surren ihres Spinnrades erzählt. Sie
ruhte längst in ihrem Grabe, und auch mit
dem Suchen und Pflücken von Maiglöckchen,
Erdbeeren, Pilzen und Heidelbeeren war es
längst vorbei, nicht blos für Siegfried, sondern
für die Kinder überhaupt. Der Mann im moos-
grauen Rock mit der Flinte auf dem Rücken
scheuchte sie und brachte sie zur Anzeige und
Strafe. Wie das Wild, so hatten auch die
Blumen und Früchte des Waldbodens aufgehört,
frei zu sein. Der Reichthnm, der unter dem
Hämmern, Stampfen und Walzen im Thale
hervorging, hatte seine Hand auf sie gelegt.
Und nicht blos auf sie! Manches Dorf im Ge-
birge war von ihm spurlos aufgesogen worden,
und Wald rauschte nun dort und Wild äste
ans den früheren Aeckern und Feldern. Die
Wiege von Siegfrieds Vater hatte auch in einem
solchen jetzt spurlos verschwundenen Dorfe ge-
! standen. Was war ans den allmälig Vertrie-
benen geworden? Ruderknechte auf den Galeeren
des Kapitals.
Siegfried blieb stehen und blickte auf die
Ebene zurück. Wie durch einen Nebel sah er
durch den ewigen Rauch unten, wo der lustig
von Stein zu Stein springende und in jugend-
lichem Uebermuth schäumende Bach aus dem
Gebirge als Flüßchen heraustritt, die Fabriken
und Arbeiterwohnungen in einem schwarzen
Klumpen beisammen liegen. Alles schwarz von
Rauch und Ruß: die Fabriken mit ihren riesigen
Kohlenhaufen, dazwischen die Häuser, die Bäume,
die Stege und Wege, die Wiesen, die Menschen.
Eine Stadt der Trauer, der Unterwelt! Und
er stieg aus ihr empor zum Lichte. Der Wald
umfing ihn mit dem Duft seines jungen Laubes
und je höher er kam, je freier und leichter
athmete er. Der Himmel leuchtete von einem
goldenen Schmelz. Er erblaßte und aus dem
Aetherblau tauchte Stern nach Stern auf. Aus
dem dichten Unterholz äugte ein Reh mit er-
hobenem Vorderlauf, stutzend, als es den Schritt
eines Menschen auf dem Pfade vernahm, den
es eben übersetzen wollte, um zur Tränke zu
gelangen.

Unter einer alten Buche ließ Siegfried auf
einem übermoosten Stein sich nieder und stützte die
Stirn in die Hand. Er hatte hier oft gerastet,
brütend über Fragen, die ihn: so dunkel erschienen
waren, wie der Wald. Unablässig hatte er in
sie einzudringen versucht. Die Natur hatte ihm
einen Körper gleich dem Eisen verliehen, das
er mit wuchtigem Hammer schmiedete. Der
schwere Arbeitstag ermüdete ihn so wenig, daß
er oft noch bis tief in die Nacht überden Büchern
saß, in denen <n Aufklärung darüber suchte,
woher trotz allem Fleiße die nie endende Noth
und das Elend aller derjenigen, die nichts als
ihre Arbeitskraft besaßen? Leicht wurde ihm
das Verständniß nicht, allein er gab sich nicht
eher zufrieden, als bis er den Sinn aus den
Worten herausgeschält und sich zu eigen gemacht
hatte. Das waren daun froh-stolze Augenblicke,
— Augenblicke, die seinen Muth stählten zum
Weiterstreben nach Erkenntniß.
Daran dachte er jedoch jetzt nicht, während
das junge Laub des Bergwaldes über ihm
wisperte und flüsterte und der Mond hcraufkam
und die Wipfel silbern umhauchte. Wie er
wußte, erwarteten die Genossen, daß er morgen
als an ihrem Feiertage zu ihnen sprechen würde,
nnd er sann darüber nach, was er ihnen sagen
sollte. Herz und Kopf waren ihm so voll, daß
alle Ueberlegung fortgerissen wurde, wie ein
Schwimmer von gewaltiger Strömung.
Eine Stimme wie das Krähen eines heiseren
Hahnes traf sein Ohr. „Bin ich selbst in meinem
Walde nicht mehr sicher vor meinen Feinden?
Gesteh's, wer dich gedungen hat, den Einsiedler
zu ermorden! Aber ich Hohnlache ihrer, denn
wisse, daß ich unter meinem härenen Gewand
einen Panzer trage, an dem alle Dolche ohn-
mächtig abgleiten." Vor Siegfried stand ein
Mann mit einem fast kahlen Kopfe, der ihn aus
unheimlich glitzernden Augen unter buschigen
grauen Brauen anstierte. Bekleidet war er mit
einem zerrissenen Schlafrocke und Pantoffeln.
Siegfried kannte ihn. Es war ein Flickschneider
aus seinem Orte, der an der fixen Idee litt, eine
gefallene Größe zu sein, und vor dem ein-
 
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