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Der wahre Jakob: illustrierte Zeitschrift für Satire, Humor und Unterhaltung — 14.1897

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https://doi.org/10.11588/diglit.6610#0098

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—Vellage zum „Wahren "Jacob" Lr. 282. s^-.-

-L- Frühlings-Ginxfinöen. °Z-

Koch Hat der Len; die alte Kraft.
Lr lockt Hervor der Zöget Lieder,
Nalt grün und bunt die Fluren wieder
Und treibt empor der Bäume Zaft.
Ich selbst bin wieder frisch und jung.
Nit Zogchwilschern kommt geflogen,
Nit Mtßendiiften Hergezogen
Die trauliche Erinnerung.
Ach einst, wenn's wieder TrüHling war,
Wie wurde da der NutH geZoben
Zu wilden Zpielen, tollem Toben
Der ausgelassnen Kinderschaar!
Doch schon ergriff, Halb unbewußt,
Lin seZnsuchtsvolles, tiefes AHnen,
Als rief's zu fernen, küHnen BaHnen,
Die lenMfroZe junge Brust.

Als Jüngling, da ich froH und frei
Durch srischöelaußte Wälder streifte,
Der Slick durch BlütHengärten schweifte,
Wie grüßt'ich da den schönen Nai!
Kam nun der Zeßnsuchtsdrang zur Rast?
Ä nein, keinZchwärmen konnt'iHn Hindern,
Kein Liebesglück iHn je vermindern,
Der immer stärker mich erfaßt.
Zpät kam für mich die große Zkund',
Da alles Blendwerk mir zerronnen
Und ich für immer ward gewonnen
Der Arbeit treuem Bruderbund.
Kommt nun der Holde Nai Heran,
Dann weiß ich, was als Kind ich aZnte,
Was mich als Jüngling lockend maHnte,
Jeht Hab' ich mir's erkämpft als Nann:

Die IreiHeit ist's, die ewig blüHt'
Und sie kann nirgends meZr gedeiHen,
Als Hier in der Genossen Reigen,
Wo jedes Ker; für sie erglügt.
Uns Hat Lrkenntniß frei gemacht.
Die uns erzieHt zu reinem Ztreöcn,
LrHeöt und adelt unser Leben
Und wächst und grünt in steter Pracht.
Wogt traurig ist die Gegenwart.
Doch wird sie maienfrisch erstegen,
Die schöne Zukunft, die zu fegen
Zo manches Zerz in Notg gegarrt.
Zergeißungsvoll und zaubergaft
Grüßt geut mich, wie in sanftem Neigen
Lin Baum mit seinen BlütZenzweigen,
Des Lottes ewig junge Kraft. °

Schlagschatten.
Von Verlran de Vorn.

„Na, kummt denn de ole Klaas noch nich
bald?" hieß es in unserm Trupp der „Pioniere",
der ans dem Verdeck des kleinen Dampfers, der
Abfahrt gewärtig, in froher Behaglichkeit zn-
sammensaß. Mit dem Namen „Pioniere" begrüßte
man uns, wenn wir, eine berußte und bestäubte
Arbeiterschaar, am Sonnabend Abend in unserm
Heimathdorf drüben am See, wohin der Dampfer
uns auch jetzt wieder bringen wollte, ans Land
stiegen. Aus der großen Fabrik- und Handelsstadt
holten wir uns außer schmutzigen Kitteln und
etwas blankem Geld auch regelmäßig mancherlei
Anregung für die Unterhaltung mit den Dorf-
bewohnern und aufklärende Schriften, die bald
ein sehr begehrter Artikel geworden waren. Der
„ole Klaas", den wir noch erwarteten, war ein
vornehmer Herr, Großkaufmann und Stadtrath,
hatte drüben nicht weit von unserm Dorf ein
schönes Schloß am See mit Park und Waldung
und war früher ein namhafter regierungsfreund-
licher Politiker gewesen. Nikolaus Kammgarn, so
hieß der alte Herr, war als strenger, in allem pein-
lich genauer Mann bekannt, stand aber in der großen
Stadt und draußen in unserer Gegend im Ruf
der Wohlthäiigkcit. Jedesmal, wenn er das Schiff
betrat, grüßte er uns höflich. Weshalb er sich von
der Politik zurückgezogen hatte, wußte man nicht.
Fühlte er sich zu alt? Uns war es ausgefallen,
daß er nach den heiteren und ernsten Gesprächen,
die er auf der Fahrt in unserer Nähe mit an-
gehört haite^ oft mit sehr nachdenklicher Miene
bei seinem Schloß abstieg.
Eine solche Rückfahrt am prächtigen Sommer-
abend über den spiegelklarcn See, zu Weib und
Kind, zu den Eltern, — das ist einmal eine Be-
lohnung für die schmutzige Drangsal der Woche,
so dachten nur wohl alle. Das Schiff pfeift zum

letzten Mal. Einer von uns ruft: „Süh, da
kummt he!" Der Kapitän sieht sich um nach der
belebten Straße, über welche der alte Herr daher-
hastet. Wie er dicht hinter einem Straßenbahn-
wagen herumbiegt, stößt er auf einen Maurer,
der einen Kalkbottich trägt. Sein neuer Hut wird


eingedrückt und eine weiße Sturzwelle überschäumt
von oben her seinen tadellosen dunkeln Anzug.
Halb betäubt kommt er auf das Schiff getrippelt,
das sich nun in Bewegung setzt, er grüßt uns
ebenso vornehm wie sonst und setzt sich auf seinen
gewohnten Platz nicht weit von unserem Trupp.
Meine Freunde hatten eben vorher nur leise Rufe
eines halb schalkhaften Bedauerns ausgestoßen,
die zugleich die Genugthuung darüber bekundeten,

daß es ohne ernstlichen Unfall abgegangen war.
Schadenfreude sah man ans keinem Gesicht. Wie
könnte auch der Arbeiter, der selbst vielgequälte,
sich über ein Unglück freuen, das irgend einen
Menschen ohne Schuld trifft? Selbst der schöne
Anzug that uns leid. Niemand wird durch ein
Bild der Zerstörung oder Beschädigung wider-
wärtiger berührt als der Arbeiter, der weiß, wie
viel Mühe es kostet, das dem Menschen Nützliche
herzustellen. Der alte Kaufherr mar erst etwas
verlegen, fand sich aber in die unangenehme
Situation, indem er den Schaden nicht weiter
beachtete, sondern über die klare Fluth nach den
grünen Ufern hinüberblickte.
Aber ganz vorn auf dem Schiff saß eine
muntere Gesellschaft meist junger Leute, Herren
und Damen, alle in eleganter Sommerkleidung.
Schon vor der Abfahrt hörten wir zwischen ihren
übermüthigen Scherzen einzelne Worte wie „Pro-
leten" und ähnliche, die auf uns gemünzt waren,
und merkten auch, wie einige von den jungen
Damen, wenn sie zu uns herübersahen, die Näschen
rümpften, so daß wir Mühe hatten, Franz Runge,
unfern jungen, etwas ungestümen Kameraden, zu
beruhigen. Jetzt fingen sie an, auf den verun-
glückten alten Herrn zu sticheln. Am meisten that
sich ein ganz weiß gekleideter Stutzer hervor, der
seine Dame sehr angelegentlich unterhielt, und
zwar über seinen Künstlerruhm, womit er sie
augenscheinlich langweilte. Da sein eigener Name
in seinen Erzählungen am häufigsten vorkani,
wußten wir bald, daß wir die seltene Ehre hatten,
mit dem in weitesten Kreisen unbekannten Maler
Hellbein zusammenzufahren. Er versuchte nun,
das Wohlgefallen seiner Dame, welche übrigens
die hübscheste und, wie es schien, die vornehmste
von allen war, dadurch auf sich zu ziehen, daß
er die gewagtesten Witze über den beklecksten alten
Kaufmann machte. „Die Weisheit bricht bei ihm
schon durch alle Nähte durch", — „ist wohl bei
einer Schlittenpartie zu Schaden gekommen", —
 
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