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Unglaubwürdig.
Kaufinann: Sie wollen sich um die Hausknechtsstelle bei mir be-
werben und zeigen ein Zengniß vor, in welchem Sie als trunksüchtig und
rauflustig geschildert werden!
Hansel: Glanben's nur dem Schreiber nicht, Herr Dempflmaier;
(vertraulich, mein früherer Herr hat schon mal wegen Urkundenfälschung
gesessen!
Gericht und Polizei im westlichsten Kuhland.
Aus dem westlichsten Ruhland werden folgende Vorkommnisse be-
richtet, die ein interessantes Streiflicht auf die dortigen Gerichts- und
Verwaltnngszustände werfen.
In dem Städtchen K. wurden siebenunddreißig Personen notirt, die
den Ascheimer ein bis drei Minuten lang über die gesetzte Zeit vor der
Thür hatten stehen lassen. Sie wurden mit empfindlichen Geldbußen
und Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte bestraft.
In der belebtesten Straße der Hauptstadt des Gouvernements wurde
am Hellen Mittag an einer aus fünf Personen bestehenden Familie ein
überaus frecher Raubmord verübt. Die Mörder ließen am Thatorte zwei
neue Messer, drei Schnupftücher mit Monogramm, einen Stiefel, eine
Mütze und vier Visitenkarten zurück. Sie wurden von mehreren Haus-
bewohnern vor der That gesehen, und diese waren im Stande, eine genaue
Beschreibung von ihnen zu geben. Der Polizei fehlt bis jetzt jede Spur
von den Mördern. » , .
Die Polizei in S. entwickelt augenblicklich eine fieberhafte Thätigkeit,
indem sie auf solche Personen fahndet, die Abends nach zehn Uhr bei
geöffneten Fenstern singen oder Klavier spielen. Es ist ihr bereits gelungen,
cinhundertsiebenundneunzig Kontravenienten zu notiren und zur Bestrafung
zu bringen.
In N. wurde um sieben Uhr Abends auf offener Straße ein alter
Mann von drei Strolchen überfallen, erdolcht und ausgeraubt. Ein
Polizist war nicht in der Nähe. Aus der erregten Menge, die sich bald
um die Leiche ansammelte, stürzten zahlreiche Personen nach den nächsten
Polizeiwachen; doch waren keine Kräfte verfügbar, da die gesammte Polizei-
mannschaft aufgeboten mar, um eine angebliche Gcburtstagsversammlnng
in der Kammer des verdächtigen Studenten F. aufzuhcben. Als die Rufe
nach der Polizei immer lauter wurden, erschienen endlich mehrere berittene
Polizisten und nahmen unter den Schreiern zahlreiche Verhaftungen vor.
Eine Trockenamme der Großfürstin Olga hatte eine von dieser ver-
unreinigte Windel in verächtlicher Weise von sich geschlendert. Sie wurde
wegen Beleidigung der Großfürstin zu einem Jahr Gefängniß verurtheilt.
Der Vorstand des Gesangvereins „Polphpmnia" hatte den Vorstand
der Liedertafel „Euterpe" zum fünfundzwanzigjährigen Bestehen dieser
Vereinigung beglückwünscht. Die Polizei erblickte darin ein unerlaubtes
Jnverbindungtrcten von Vereinen, weshalb sie beide Vereine auflöste, ihr
Vermögen mit Beschlag belegte und die Vorstände zu hohen Geldstrafen
verurtheilte. n-uv».
Historie vom perversen Igel.
Vor nicht gar zn langer Zeit lebte irgendwo ein ältlicher Igel von
der gewöhnlichen Sorte, welcher sehr anmuthige Acuglein und obendrein
noch einige treffliche Geisteseigcnschaften besaß; aber, wie gesagt, er war
eben nur ein gewöhnlicher Igel, bwinaemrs suropaeus, und nährte sich
schlecht und recht von Bucheln und Eicheln und Mäusen und anderen
delikaten Dingen. Daß ich's nicht vergesse: er war Junggeselle; denn
die Blüthczeit seines Lebens hatte er in dem Keller eines gelehrten Schul-
meisters zugebracht, als Sicherhcitsbcamter und Lustigmacher.
Eines Abends im Zwielicht begann der phantastische Greis folgender-
maßen zu überlegen:
„Nehmen wir an, es gebe keine Unsterblichkeit der Seele — was
dann? Nun ja, sehr einfach, dann darf ich eben nur mit meiner Körper-
lichkeit rechnen. Höchstdieselbe muß so lang wie möglich konservirt werden,
das folgt mit unmittelbarer Evidenz aus dem mir immanenten Trieb zur
Selbsterhaltung. Nun ist aber da der Fuchs, der Uhu, der Iltis, zu-
weilen die giftige Otter, der eine und andere ungebildete Oekonomic-
beflissene, die hassen mich, beleidigen mich, verfolgen mich, wollen mir ans
Leben, verlangen in ihrer Ungebühr, daß ich mich solle in eine Pelzkappe
verwandeln lassen. Wo bleibt da die sittliche Wcltordnung?
„lürZo, und weil ich zudem, ohne mir schmeicheln zu wollen, im Ab-
lauf des Naturgeschehcns nicht ohne Bedeutung zu sein anzunehmen mich
für berechtigt halten darf..." — er schöpfte tief Athem und vergaß, den
Schluß zu Ende zu sprechen. Nicht aber vergaß er, ihn zu Ende zu
denken und erst recht durchzupraktiziren.
Das ging er folgendermaßen an: Er überlegte, daß er zur Offensive
doch nicht wohl geeignet sei; drum müsse er wohl oder übel die Defensive
wählen. Aber wie? Ein Stachelkleid hatte er zwar, aber das ließ sich
experimentell als unzulänglich nachweisen.
„Potz Blitz!" rief er aus, „wozu war ich ein Jahr und sieben Monate
bei eineni Herrn, der sich mit seiner Gelehrsamkeit grade das Salz aufs
Butterbrot verdiente? Hatte er nicht Darwin in seiner Bibliothek? Sprach
er nicht in begeisterten Momenten von der künstlichen Zuchtwahl? — Ich
muß einfach meinen Panzer widerstandskräftiger machen, dicker, härter,
stachliger. Ich muß Etwas werden, was nur noch aus Intelligenz und
Borsten besteht... Hurrah!"
— Was er von nun ab an Nahrungsmitteln in sich einführte, wurde
zu neun Zehnteln verhornt und verflachest.
Er dachte überhaupt nur noch dran, sicher seine Pfade zu pilgern
und nicht todtgeschlagen zu werden. Er fürchtete sich im Stillen vor jedem
sonderbar geformten Holzstrunk oder Stein; alles hatte es, wie er meinte,
auf ihn und nur auf ihn abgesehen: die gefühlvollen Backfische, welche
Blumen suchten, die alten Beercmveiber, die Holzfuhrgäule, die Sonne,
der Regen.
Nimmt's Wunder, daß er nach ein paar Wochen nicht mehr laufen
konnte?
Da blieb er in seinem Loch sitzen, freute sich fünf Minuten lang
seiner Talente und — verreckte.
Unglaubwürdig.
Kaufinann: Sie wollen sich um die Hausknechtsstelle bei mir be-
werben und zeigen ein Zengniß vor, in welchem Sie als trunksüchtig und
rauflustig geschildert werden!
Hansel: Glanben's nur dem Schreiber nicht, Herr Dempflmaier;
(vertraulich, mein früherer Herr hat schon mal wegen Urkundenfälschung
gesessen!
Gericht und Polizei im westlichsten Kuhland.
Aus dem westlichsten Ruhland werden folgende Vorkommnisse be-
richtet, die ein interessantes Streiflicht auf die dortigen Gerichts- und
Verwaltnngszustände werfen.
In dem Städtchen K. wurden siebenunddreißig Personen notirt, die
den Ascheimer ein bis drei Minuten lang über die gesetzte Zeit vor der
Thür hatten stehen lassen. Sie wurden mit empfindlichen Geldbußen
und Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte bestraft.
In der belebtesten Straße der Hauptstadt des Gouvernements wurde
am Hellen Mittag an einer aus fünf Personen bestehenden Familie ein
überaus frecher Raubmord verübt. Die Mörder ließen am Thatorte zwei
neue Messer, drei Schnupftücher mit Monogramm, einen Stiefel, eine
Mütze und vier Visitenkarten zurück. Sie wurden von mehreren Haus-
bewohnern vor der That gesehen, und diese waren im Stande, eine genaue
Beschreibung von ihnen zu geben. Der Polizei fehlt bis jetzt jede Spur
von den Mördern. » , .
Die Polizei in S. entwickelt augenblicklich eine fieberhafte Thätigkeit,
indem sie auf solche Personen fahndet, die Abends nach zehn Uhr bei
geöffneten Fenstern singen oder Klavier spielen. Es ist ihr bereits gelungen,
cinhundertsiebenundneunzig Kontravenienten zu notiren und zur Bestrafung
zu bringen.
In N. wurde um sieben Uhr Abends auf offener Straße ein alter
Mann von drei Strolchen überfallen, erdolcht und ausgeraubt. Ein
Polizist war nicht in der Nähe. Aus der erregten Menge, die sich bald
um die Leiche ansammelte, stürzten zahlreiche Personen nach den nächsten
Polizeiwachen; doch waren keine Kräfte verfügbar, da die gesammte Polizei-
mannschaft aufgeboten mar, um eine angebliche Gcburtstagsversammlnng
in der Kammer des verdächtigen Studenten F. aufzuhcben. Als die Rufe
nach der Polizei immer lauter wurden, erschienen endlich mehrere berittene
Polizisten und nahmen unter den Schreiern zahlreiche Verhaftungen vor.
Eine Trockenamme der Großfürstin Olga hatte eine von dieser ver-
unreinigte Windel in verächtlicher Weise von sich geschlendert. Sie wurde
wegen Beleidigung der Großfürstin zu einem Jahr Gefängniß verurtheilt.
Der Vorstand des Gesangvereins „Polphpmnia" hatte den Vorstand
der Liedertafel „Euterpe" zum fünfundzwanzigjährigen Bestehen dieser
Vereinigung beglückwünscht. Die Polizei erblickte darin ein unerlaubtes
Jnverbindungtrcten von Vereinen, weshalb sie beide Vereine auflöste, ihr
Vermögen mit Beschlag belegte und die Vorstände zu hohen Geldstrafen
verurtheilte. n-uv».
Historie vom perversen Igel.
Vor nicht gar zn langer Zeit lebte irgendwo ein ältlicher Igel von
der gewöhnlichen Sorte, welcher sehr anmuthige Acuglein und obendrein
noch einige treffliche Geisteseigcnschaften besaß; aber, wie gesagt, er war
eben nur ein gewöhnlicher Igel, bwinaemrs suropaeus, und nährte sich
schlecht und recht von Bucheln und Eicheln und Mäusen und anderen
delikaten Dingen. Daß ich's nicht vergesse: er war Junggeselle; denn
die Blüthczeit seines Lebens hatte er in dem Keller eines gelehrten Schul-
meisters zugebracht, als Sicherhcitsbcamter und Lustigmacher.
Eines Abends im Zwielicht begann der phantastische Greis folgender-
maßen zu überlegen:
„Nehmen wir an, es gebe keine Unsterblichkeit der Seele — was
dann? Nun ja, sehr einfach, dann darf ich eben nur mit meiner Körper-
lichkeit rechnen. Höchstdieselbe muß so lang wie möglich konservirt werden,
das folgt mit unmittelbarer Evidenz aus dem mir immanenten Trieb zur
Selbsterhaltung. Nun ist aber da der Fuchs, der Uhu, der Iltis, zu-
weilen die giftige Otter, der eine und andere ungebildete Oekonomic-
beflissene, die hassen mich, beleidigen mich, verfolgen mich, wollen mir ans
Leben, verlangen in ihrer Ungebühr, daß ich mich solle in eine Pelzkappe
verwandeln lassen. Wo bleibt da die sittliche Wcltordnung?
„lürZo, und weil ich zudem, ohne mir schmeicheln zu wollen, im Ab-
lauf des Naturgeschehcns nicht ohne Bedeutung zu sein anzunehmen mich
für berechtigt halten darf..." — er schöpfte tief Athem und vergaß, den
Schluß zu Ende zu sprechen. Nicht aber vergaß er, ihn zu Ende zu
denken und erst recht durchzupraktiziren.
Das ging er folgendermaßen an: Er überlegte, daß er zur Offensive
doch nicht wohl geeignet sei; drum müsse er wohl oder übel die Defensive
wählen. Aber wie? Ein Stachelkleid hatte er zwar, aber das ließ sich
experimentell als unzulänglich nachweisen.
„Potz Blitz!" rief er aus, „wozu war ich ein Jahr und sieben Monate
bei eineni Herrn, der sich mit seiner Gelehrsamkeit grade das Salz aufs
Butterbrot verdiente? Hatte er nicht Darwin in seiner Bibliothek? Sprach
er nicht in begeisterten Momenten von der künstlichen Zuchtwahl? — Ich
muß einfach meinen Panzer widerstandskräftiger machen, dicker, härter,
stachliger. Ich muß Etwas werden, was nur noch aus Intelligenz und
Borsten besteht... Hurrah!"
— Was er von nun ab an Nahrungsmitteln in sich einführte, wurde
zu neun Zehnteln verhornt und verflachest.
Er dachte überhaupt nur noch dran, sicher seine Pfade zu pilgern
und nicht todtgeschlagen zu werden. Er fürchtete sich im Stillen vor jedem
sonderbar geformten Holzstrunk oder Stein; alles hatte es, wie er meinte,
auf ihn und nur auf ihn abgesehen: die gefühlvollen Backfische, welche
Blumen suchten, die alten Beercmveiber, die Holzfuhrgäule, die Sonne,
der Regen.
Nimmt's Wunder, daß er nach ein paar Wochen nicht mehr laufen
konnte?
Da blieb er in seinem Loch sitzen, freute sich fünf Minuten lang
seiner Talente und — verreckte.