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Der wahre Jakob: illustrierte Zeitschrift für Satire, Humor und Unterhaltung — 14.1897

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https://doi.org/10.11588/diglit.6610#0110

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Die Akropolis bei Athen im heutigen Zustande.


GrirchMlilld und der Snlkan mist und jetzt.

von G Bernstein.

Finstrer Ernst und trauriges Entsagen
War aus eurem heitern Dienst verbannt.
Glücklich sollten alle Herzen schlagen.
Denn euch war der Glückliche verwandt.
Damals war nichts heilig als das Schöne.
Schiller, Die Götter Griechenlands.

1. Das alte Griechenland, seine Höhe und sein
Verfall.
Kein Stück des alten Europa hat eine so
ergreifende, an tief einschneidenden Wechsel-
fallen und weltbewegenden Katastrophen reiche
Geschichte aufzmveisen, wie die im südlichen
Osten sich vorschiebende Halbinsel, die wir heute
nach dem sie theilweise durchquerenden Höhen-
zügen die Balkanhalbiusel nennen. Das be-
gabteste Volk, welches die Menschengeschichte
kennt, hat hier unvergängliche Werke der Kunst
und des Gedankens anfgeführt, und das roheste
Staatswesen der neueren Geschichte hier seinen
Zentralsitz aufgepflanzt: dieHnmath der Musen
ist sie zugleich der Ursitz des Janitscharenthnms,
dieser schlimmsten Form des militärischen
Söldnerthums. Athen und Byzanz, oder viel-
mehr Athen und Stambul — im Kreise dieses
Gegensatzes bewegt sich die Geschichte der Balkan-
völker in unzähligen Abstufungen. Von der
höchsten Entfaltung geistiger Kultur bis zur
tiefsten Erniedrigung des Menschengeistes durch-
läuft sie alle Stufen menschlicher Gesittung.
Die Bewohnerschaft der Balkanhalbinsel ist,
soweit sich dies geschichtlich feststellen läßt, ur-
sprünglich indoeuropäischen Charakters, d. h. sie
gehört jener großen Völkerfamilie an, deren
Rasseneigenthümlichkeiten auf eine gemeinsame
Abstammung von einem begabten Urvolk deuten,
dessen Sitz die Forschung nach Zentralasien
verlegt und dessen verschiedene Zweige sie sich
in wchüben und Nachschüben vorwiegend nach
Westen (Europa) und Süden (Indien) aus-
breiten läßt. In Schüben nnd Nachschüben
wird denn auch die Balkanhalbinsel besetzt.
Man nimmt an, daß ganz Griechenland zuerst
von einem sich wesentlich auf Ackerbau und

Viehzucht beschräukenden Volke, den Pelasgern,
bewohnt war, das außer Steinmauern kaum
Denkmäler der eigenen Existenz hinterlassen
! hat. Später dringen vom Norden (Thessalien
und Epirus) hellenische Stämme, in der Sage
auch znsammenfassend Achäer genannt, erobernd
vor, unterwerfen die pelasgischen Stämme,
werden theilweise wieder von anderen nach-
dringenden Stämmen (Doriern und Ioniern)
unterjocht oder vertrieben, und aus dieser Wan-
derung der Stämme, die unter gewissen Be-
dingungen zur Vermischung der Stämme führt,
erwachsen allmälig jene Staatswesen, die uns
Griechenland in seiner geschichtlichen Periode
zeigt, und deren berühmteste Vertreter Attika-
Athen als vornehmste Pflegerin des jonischen,
und Lakedämon-Sparta als einflußreichste Ver-
treterin des dorischen Geistes bildet. In Athen
findet das kommerzielle und demokratische, in
Sparta das agrarisch-aristokratische Element
des alten Griechenland seinen politischen Mittel-
punkt.
Die Entstehungsgeschichte der ersten Staats-
wesen des alten Griechenland führt weit zurück
in eine Zeit, über welche uns nur Sagen Kunde
geben. Aber was sie andeuten, zeigt uns
Aegypter und Phönizier als die unmittelbaren
Vorläufer der griechischen Kultur, als die
Lehrer des Griechenvolks, wie denn selbst in
der geschichtlichen Zeit der Griechen die geistigen
Einflüsse ägyptischer Kultur deutlich zu ver-
folgen find. Von Kekrops, dem sagenhaften
Gründer Athens und Erbauer der später zur
Akropolis erweiterten Burg dieser Stadt
wird berichtet, daß er aus der ägyptischen
Stadt Sais nach Attika gekommen sei. Von
dem Vorfahren der Heroen Agamemnon nnd
Menelaos, dem Helden Pelops, nach dem
später die nur durch die korinthische Landenge
mit dem Festland von Griechenland verbundene
Halbinsel den Namen Peloponnes erhielt, heißt
es, daß er aus Lydien (Kleinasien), von Kad-
mos, dem Gründer Thebens, daß er aus der
phönizischen Stadt Sidon herübergekommen sei,
die schon im fünfzehnten Jahrhundert vor
unserer Zeitrechnung ein bedeutender See-

handelsplatz war. Der Gründer der Burg von
Argos, der Hauptstadt des zeitweilig mit
Sparta nm die Vormacht ans dem Peloponnes
rivalisirenden Landschaft Argalis, Danaos,
ist wiederum Aegyter, und wenn die Sage seine
Töchter (die Danaiden) „die Söhne des Aegyp-
tos" tödten läßt, so hat das sicher Zusammen-
hang mit irgend welchen Kämpfen der Land-
schaft mit eingewanderten oder vielleicht als
Besatzung zurückgebliebenen Aegyptern. Mit
der Geschichte der Kämpfe nnd Wanderungen
der Stammesheroen vermittelt uns die von den
Dichtern ost in wunderbar poetische Form
gegossene Sage die Kulturgeschichte der vor-
historischen Zeit Griechenlands.
Viel weniger trennend als die hohen Ge-
birgszüge erweist sich für vorgeschrittene Völker
jener Epoche das Meer. Von den Phöniziern
haben die Völker des östlichen Griechenland die
Beherrschung des Meeres gelernt. Kreta,
das erste bedeutendere Staatswesen des griechi-
schen Jnselgebiets, war ursprünglich eine phöni-
zifche Kolonie, was schon dadurch angezeigt
wird, daß Minos, sein erster Herrscher, der
Sage nach der Sohn einer phönizischen Königs-
tochter ist, die von dem in einen Stier ver-
wandelten Zeus aus ihrer Heimath Sidon ent-
führt wird. Mit dieser Sage steht dis auf
ägyptische und phönizische Kulten deutende
Sage vom Minotaurus, dem ins Labyrinth
auf Kreta eingeschlossenen Stier, dem Menschen-
opfer gebracht werden müssen, in Verbindung.
Theseus, der Attika vou der Tributärpflicht
gegenüber Kreta befreit und die Grundlage der
attischen Staatsverfassuug legt, wird von der
Sage zum kühnen Ueberwinder des furchtbaren
Minotaurus erhoben.
Schon früh hatten die jonischen Stämme,
verdrängt von den Doriern, auf Inseln des
von der Balkanhalbinsel und der Westküste
Kleinasiens eingeschlossenen aegeischen Meeres
und an der Küste Kleinasiens selbst Nieder-
lassungen gegründet, wie dies späterhin auch
die Dorier thaten. Die jonischen Ansiedler in
Kleinasien entwickelten sehr viel schneller ein
höheres geistiges Leben als ihre Stammes-

Beilage zum „Mahren Jacob" Nr. 283,
 
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