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Der wahre Jakob: illustrierte Zeitschrift für Satire, Humor und Unterhaltung — 14.1897

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https://doi.org/10.11588/diglit.6610#0120

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Achmed-Moschee. Hagia Sophia.


Der Bosporus. (Serail mit Achmed-Moschee und tzagia Sophia.)

Das Winamnmch in Höhr und Verfall,
von L. Bernstein.
I. Bedeutung und Folgen des Falls von Vmanx.
Der 29. Mai 1483 bleibt einer der denk-
würdigsten Geschichtsdaten. Der Einzng der
Osmanen in die Stadt Konstantins des Großen
läutete einen neuen Abschnitt in der Welt-
geschichte ein: er bildet den Mittelpunkt einer
Reihe von bedeutsamen Vorgängen, die vom
Mittelalter in die neuere Geschichte hinüber-
leiten. Er vollendet die Bewegung, welche
die Länder des Westens mit dem Wesen der
Alten bekannter werden ließ. Das Studium
der altgriechischen Literatur flüchtet sich nun
endgiltig vom östlichen nach dem westlichen
Europa, und die Wiedergeburt der Wissen-
schaften und Künste, die mit dem vierzehnten
Jahrhundert in Italien eingesetzt hatte, erhält
so immer reichere Befruchtung aus der griechi-
schen Ideenwelt. In einer anderen Sphäre
gab die Eroberung des Bosporus durch die
Türken einen noch verhängnißvolleren Anstoß.
Sic machte diese Letzteren zu Beherrschern
des Seeweges zu den Handelsemporien des
Schwarzen Meeres und drängte die Seefahrer
der westlichen Länder immer mehr darauf hin,
andere Handelswege nach Indien, dem wich-
tigsten Exportlande des Ostens, zu suchen.
Mit welchem Erfolg dies geschah, ist bekannt.
Die Entdeckung des Seeweges nach Ostindien
und die Entdeckung des westlichen Kontinents
revolutionirte den ganzen Welthandel und das
bestehende Staatensystem. Die alten Handels-
straßen Europas gingen zurück und mit ihnen
der Reichthum oder die Bedeutung der sie
verbindenden Stapelplätze, sowie die Macht
oder der Zusammenhalt der sie umschließenden
Staatswesen; neue Emporien des Land- sowie
des Seehandels blühten aus und schufen neue
Staaten oder brachten schon bestehende Staats-
wesen zu ungeahnter Entwicklung. So wurde
der Heimfall des „Schlüssels zum Osten" an
die Osmanen einer der wichtigsten Faktoren,
die im weiteren Verlauf der Entwicklung zur
Entwertung dieses Schlüssels führen sollten.
Für das Osmanenreich selbst bezeichnet
die Eroberung von Byzanz eine wichtige Stufe
in seiner Entfaltung zur Weltmacht. Hatte
es auch schon vorher in Europa Fuß gefaßt,
so hatte es jetzt erst sich fest auf dessen Boden
etablirt. Konstantinopel, unter Korrumpirung

eines griechischen Wortes von den Türken
Jstambul oder auch Stambul genannt, wurde
die Hauptstadt des türkischen Reiches, sein
„Mittelpunkt" in gleicher Weise, wie es einst
der Mittelpunkt des römischen Weltreiches
gewesen war. Die Hagia Sophia, der ur-
sprünglich von Konstantin dem Kultus der
Weisheit gewidmete, dann in eine christliche
Kirche verwandelte Tempelbau, wurde jetzt
eine muhamedanische Moschee (Gebethaus)
und ist es bis zum heutigen Tag geblieben,
und die Stätte, wo die griechischen Kaiser
residirt hatten, richteten die Osmanen zu ihrem
Serail ein.
2. Da« hrntige Konstantinopel.
Die Lage von Konstantinopel ist landschaft-
lich ebenso reizend wie sie politisch bevorzugt ist.
Am südlichen Eingang der Meerenge des
Bosporus auf sieben Hügeln ausgebreitet, auf
drei Seiten von fließendem Wasser umspült,
gewährt die Stadt der Zäsaren und Sultane
mit ihren vielen hochragenden Kuppeln und
Thürmen, ihren weißen Palästen, zwischen denen
prächtige Baumgruppen sich abzeichnen, einen
herrlichen Anblick. Ihre Straßen sind freilich
meist eng und winkelig und entsetzlich schmutzig,
aber wo immer man sich aus ihrem Gewirr
herauswindet, fesseln herrliche Naturbilder oder
gewaltige Kunstbauten, darunter viele Ueber-
bleibsel aus vergangenen Jahrtausenden, das
Auge des Beschauers. Im Süden überschauen
wir die Fluthen des Marmarameers, der
Propontis der Alten, im Osten schweift der
Blick über den Bosporus hinweg nach der
Küste Kleinasiens, wo hinter der Handelsstadt
Uesküdar (Skutari) mit ihrem Zypressenhain
und den Trümmern des alten Chalkedon
(jetzt Kadiköh genannt) hügliges Land sich er-
hebt, im Norden bietet der schönste Hafen der
Welt, das von klarhellen Bächen gespeiste,
sieben Kilometer lange und jenseits der Stadt
von lieblichen Gelände» eingefaßte „Goldene
Horn", mit seinen vielen Schiffen und dem
bewegten Treiben auf den es überspannenden
Brücken ein stets belebtes, wechselvolles Bild.
Die Brücken über das Goldene Horn führen
nach der großen Vorstadt Gal ata, dem eigent-
lichen Handelsviertel Stambuls, und weiter
hinauf nach Pera, der Stadt der Fremden,
vom türkischen Volk die „Stadt der Schweine"
genannt. Hier befinden sich die Gesandtschafts-
gebäude der europäischen Mächte und auf

der Hauptstraße Hotels, Theater, Cafss und
Restaurants von europäischem Zuschnitt. Das
eigentliche Konstantinopel ist von hohen Mauern
eingefaßt und zählt außer 9 großen Thor-
gebäuden (Pforten) 29 Thore. Hohe, mit
Schießscharten versehene und von Thürmen
flankirte Mauern schließen das Serail von der
Außenwelt ab. Wer in das Innere desselben
gelangen will, muß die Thore passtren, deren
innerstes mit zweifelhafter Berechtigung „Thor
der Glückseligkeit" heißt. Unter den Mauern
des Serail liegt in einem Thal auf der Stadt-
seite der Palast des Großwessiers, des vor-
nehmsten Ministers des Sultans. Es ist ein
mächtiger Prachtbau und wird die Hohe
Pforte genannt, von welcher Bezeichnung der
offizielle Titel der Regierung des Sultans abge-
leitet ist. Von den Moscheen der Stadt nimmt
der Riesenbau der Hagia (oder Aja) Sophia
den ersten Rang ein. Der reiche christliche
Goldschmuck, dessen diese Kirche sich unter den
Byzantinern erfreute, ist ihr von den „latei-
nischen" Kreuzfahrern geraubt, ihr Bilderschmuck
von den Muhamedanern entfernt worden, aber
der Bau selbst, mit seinen vielen großen Säulen,
seiner von kleineren Kuppeln umgebenen, im
Innern 67 Meter hohen und 25 Meter weiten
Hauptkuppel, seinen Marmor- und Porphyr-
bekleidungen, hat an Eindruckskraft nicht ver-
loren. Von anderen Moscheen Konstantinopels ist
eine der schönsten, die, gleich der Hagia Sophia
zum Serail gehörende, 1610 von Achmed I.
auf dem Atmeidan (deutsch „Roßplatz"), dem
„Hypodrom" der Alten, erbaute „Ahmedieh"
(die Achmedmoschee), ein in seiner Einfach-
heit großartiger Bau mit sechs Minarets.
Auch das Serail hat in diesem Jahrhundert
aufgehört, Residenz der Sultane zu sein.
Mahmud II. (1808 — 1839) verlegte seinen
Wohnsitz in ein Schloß, das in einem Vorort
von Konstantinopel steht. Sein Sohn, Abdul
Medschid, residirte im Palast Dolma Baghtsche
im gleichen Vorort, und auf dem Gipfel einer
Anhöhe eben dieses Vororts steht der Palast
des jetzigen Sultans, der „Kiosk der Sterne"
(„Jildiz Köschki") genannt.
3. Der türkische Harem.
Der Harem (türkisch für „das Nichtzugäng-
liche") ist der Theil des türkischen Hauses oder
Palastes, der für das weibliche Personal des-
selben, und nur für dieses, bestimmt ist, d. h.
für die Frauen und Töchter des Hausherrn

Beilage zum „wahren Jacob" Nr. 284-
 
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