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Der wahre Jakob: illustrierte Zeitschrift für Satire, Humor und Unterhaltung — 14.1897

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2466

Längere Zeit hatte unter diesen Umständen
eine nationale Unabhängigkeitsbewegung unter
den Griechen wenig Aussicht, und als um
1768 Katharina II. von Rußland die Griechen
aufwiegeln ließ, damit sie ihr in dem mit der
Türkei angezettelten Krieg in die Hände ar-
beiteten, waren dieselben nur schwer zum Auf-
stand zu bringen, und als sie sich schließlich
erhoben, war es sehr zu ihrem Schaden. Die
Pforte ließ die Albanesen auf sie los, und
diese wilden Horden durchzogen nach blutiger
Niederwerfung des Aufstandes in einer Weise
mordend und plündernd das Land, daß, nach-
dem Rußland die Griechen schnöde im Stich
gelassen, die Pforte selbst sich (1779) gezwungen
sah, eine Armee nach Griechenland zu schicken
und der totalen Verwüstung desselben durch
die Albanesen mit Waffengewalt ein Ende zu
machen. Auch der zweite Krieg Katharinas
gegen die Türkei brachte den Griechen keinen
Segen. Trotzdem die Wiederherstellung des
griechischen Kaiserreichs — unter russischem
Fittich natürlich — als sein Ziel ausposaunt
worden war, kümmerte sich Rußland beim
Friedensschluß durchaus nicht um die Griechen,
sondern war damit zufrieden, einige erbeutete
Gebietsstrecken einstecken zu können. Ebenso
wurden die Griechen beim Wiener Friedens-
schluß unberücksichtigt gelassen. Aber Ruß-
lands Agenten auf der einen Seite, und die
Wellenschläge, die von der französischen Revo-
lution ausgingen, auf der anderen, ließen den
nationalen Unabhängigkeitsgedanken im griechi-
schen Volk nicht mehr einschlafen. Er er-
griff die städtische Jugend, geheime Verbin-
dungen zur Vorbereitung des nationalen Frei-
heitskampfes wurden gegründet und sanden
begeisterten Anhang, „soweit die griechische
Zunge klang". Daneben wurden öffentliche
Bildungsvereine ins Leben gerufen. Schulen
gegründet, kurz, eine mächtige Agitation ent-
faltet, welche der Nation einen neuen Geist
einflößen sollte. Endlich kam 1821 der Auf-
stand zum Ausbruch. In der Walachei erhob
der Fanariot Fürst Alexander Apsilanti die
Fahne der Rebellion, und im eigentlichen
Griechenland rief der Bischof von Patras,
Germanos, die Vaterlandsfrcunde zu den
Waffen.
Die westeuropäischen Großmächte sahen auf
all das mit scheelen Augen; sie hatten die
„heilige Allianz" ins Leben gerufen, um dem
verderblichen Einfluß der Ideen der französi-
schen Revolution ein Ende zu machen, wie
sollten sie da zu einer revolutionären Erhebung
die Hand reichen? Auch Rußland, das die
geheimen Verbindungen unablässig unter der
Hand unterstützt hatte, ließ sie offiziell schmäh-
lich im Stich und erklärte sich gegen die Er-
hebung. Ganz auf sich selbst und ihnen sich
anschließende Freunde ihrerSache (Philhellenen)
gestellt, mußten die Griechen jahrelang mit der
Pforte einen Kampf führen, der, was die Aus-
dauer der Kämpfenden und die Zahl und Größe
der gebrachten Opfer anbetrifft, in der modernen
Geschichte nirgends übertroffen worden ist. Die
russische Regierung sah kalten Blutes zu, wie
Tausende und Abertausende von Griechen hin-
gemordet, griechische Städte zerstört, griechische
Frauen und Kinder barbarisch vergewaltigt und
in die Sklaverei verkauft wurden; sie rührte
keine Hand, dem Volk zu Hilfe zu kommen,
dessen Hoffnungen sie selbst so lebhaft gefördert
hatte, und in feiger Unthätigkeit sahen die
übrigen Kabinette dem Verzweiflungskampf der
Griechen zu. Selbst als die Türken zu Ostern
1822 auf der Insel Chios ein Blutbad an-
richteten, dem mehr als fünfzigtausend Menschen
zum Opfer fielen, geschah nichts, dem Wüthen
Einhalt zu thun. Sechs Jahre mußten ver-
gehen, Griechenland mußte um ein volles Drittel

seiner Einwohnerschaft entvölkert werden, bis
europäische Kabinette ernsthaft sich ins Zeug
legten, und auch dabei ging es noch schimpflich
genug zu.
Den Wechselfällen des griechischen Freiheits-
kampfes können wir hier nicht folgen. Er wurde
hüben und drüben mit wüthender Leidenschaft
geführt. Unverantwortliche Greuelthaten, ver-
rätherische Abschlachtungen wehrloser Gegner
wurden auf beiden Seiten verübt, und der von
Natur und Geschichte in ihnen ausgebildete
Partikularismus brachte bei verschiedenen Ge-
legenheiten die Griechen der völligen Vernich-
tung ihrer Sache nahe. Alle Augenblicke platzten
die Gegensätze aufeinander, die zwischen euro-
päisch gebildeten Städtern und in Barbarismus
verfallenen Bauern der Berge, zwischen den
Seehandel treibenden Inselbewohnern und den
Anführern halbverwildeter Ziegenhirten von
selbst angezeigt waren. Aber wenn man alles
das und mehr zugiebt, so bleiben doch auf
Seite der Griechen so viel wahrhaft glänzende
Waffenthaten, so viel Beispiele des größten
patriotischen Opfermuths zurück, daß die Be-
geisterung, mit der das liberale Europa für
sie Partei ergriffen hatte, sich als durchaus
berechtigt erwies.
Apsilantis Erhebung schlug fehl, die hei-
lige „Schaar" wurde vernichtet, und Apsilanti,
der auf österreichisches Gebiet floh, ward in
der Veste Munkacs intsrnirt, in Griechenland
selbst aber wurden den Türken schon im ersten
Jahr erhebliche Niederlagen beigebracht, so daß
Ende 1821 eine in Epidaurus versammelte
Nationalversammlung eine provisorische Ver-
fassung ausarbeiten konnte, die am 1. Januar
1822 verkündet wurde. Ain 22. Januar ward
Griechenland für unabhängig und Fürst
Alexander Maurokordatos zum Präsidenten des
neuen Staatswesens erklärt. Nun rüstete die
Türkei von Neuem und sandte zwei Flotten
zur Unterstützung ihrer Landarmee gegen die
Griechen aus, aber trotz der Verwüstungen,
die dieselben anrichteten, änderten sie nur
vorübergehend den Stand der Dinge. Auf
ihre eignen Kräfte gestützt schien die Türkei mit
dem kleinen Griechenvolk nicht fertig werden zu
können. Marko Bozzaris, Konstantin Kanaris,
Demetrius Apsilanti und andere Helden brachten
den Türken zu Wasser und zu Lande empfind-
liche Schläge bei, und so zog sich der Kamps
resultatlos hin, bis Ende 1824 der Sultan an
den ehrgeizigen und von ihm mit großem Miß-
trauen betrachteten Mehemed Ali, Pascha von
Aegypten, unter großen Versprechungen das
Gesuch stellte, ihm ein Heer zu Hilfe zu schicken,
was auch geschah. Mehemed Alis Adoptiv-
sohn, Ibrahim Pascha, landete mit 20 000 wohl-
geschulten Arabern (Sudanesen u. A.) und
ISO Kanonen auf griechischem Boden, während
der türkische Heerführer, Reschid Pascha,
ebenfalls ein neues Heer heranzog, und ebenso
wurden neue Seeschiffe in die Aktion gebracht.
Die Griechen boten ihr Aeußerstcs auf, dieser
frischen Macht Stand zu halten, aber es schien,
als sei ihre Sache verloren. Die wilden Araber
warfen alles vor sich nieder. Nur die Festung
Missolunghi hielt den sie zu Wasser und zu
Lande Belagernden elf Monate in heroischster
Weise Stand. Es war die Rettung der grie-
chischen Sache. Als die Festung am 22. April
1826 fiel, wobei die Besatzungstruppe bis zuletzt
auf Leben und Tod um ihre Freiheit kämpfte,
hatten die Griechen Europa gewonnen.
Denn nun endlich kam auch von den Re-
gierungen Hilfe. In England war seit Ende
1822 der kluge George Canning an die Stelle
des engherzigen Lord Castlereagh als Minister
des Auswärtigen getreten und hatte bald ge-
zeigt, daß seine Sympathien mit den Griechen
waren, ohne freilich zunächst viel helfen zu

können. Aber kaum zeigte England ein an-
deres Gesicht, so zog auch Rußland andere
Saiten auf. Schon 1824 rückte der biedere
Alexander I. mit einem griechenfreundlichen
Projekt heraus, das die Griechen allerdings
so undankbar waren, entrüstet abzuweisen.
Darnach sollte nämlich Griechenland, und zwar
ohne die Inseln, in drei der Türkei tribut-
pflichtige Fürstenthümer getheilt werden. Man
sieht die Absicht: Die Geburt eines lebens-
fähigen griechischen Staatswesens sollte ver-
hindert werden. Canning ging auf Bitten der
Griechen nicht darauf ein und so fiel der
schöne Plan, der dem reaktionären Wiener
Kabinet noch zu revolutionär erschienen war,
ins Wasser. Da starb Alexander I. Ende 1825
— wie es heißt an Gift — und sein Nach-
folger, Nikolaus I., dem der Aufstand der
„Dekabristen" (Dezember 1825) gezeigt hatte,
daß eine starke liberalisirende und griechen-
freundliche Strömung selbst durch die russische
Armee ging, zeigte sich Cannings Vorschlägen
zu Gunsten eines griechischen Nationalstaats
geneigter. Es kam zwischen England, Ruß-
land und Frankreich ein Vertrag zu Stande,
wonach den Griechen ihre nationale Autonomie
unter nomineller Oberhoheit der Türkei zu
Theil werden sollte. Auf Grund dieses Ver-
trages wurde den Kriegführenden zunächst ge-
boten, Waffenstillstand zu schließen, und als
die Türkei dies verweigerte und zu einem
neuen Schlage ausholte, der den Griechen den
Garaus machen sollte, erfolgte im Oktober 1827
bei Navarino durch ein „unglückliches Miß-
verständniß" die Zerstörung der türkischen
Flotte durch die kombinirte Flotte der drei
Vertragsmächte. Trotzdem dauerte es noch fast
ein ganzes Jahr und bedurfte der Landung
eines französischen Korps, bis die ägyptische
Armee den Peloponnes räumte, nachdem sie
auf ihm unmenschlich mit Menschen und
Menschenwerk aufgeräumt hatte. Sie würde
auch dann kaum ohne Kampf abgezogen sein,
wenn nicht inzwischen Rußland die Türkei mit
Krieg überzogen hätte. Dieser russisch-türkische
Krieg, der 1829 mit totaler Niederlage der
Türken endete, hatte für die Griechen die Wir-
kung, daß Rußland jetzt es nicht für opportun
hielt, der Türkei die Oberhoheit über das be-
freite Griechenland zuzuerkennen, während die
englische Regierung, in der der „eiserne"
Wellington den Ton angab (Canning war
1827 gestorben), nunmehr das Bedürfnis) fühlte,
die Pforte zu schützen, und dafür eintrat, Kreta,
Thessalien und Epirus bei der Türkei zu be-
lassen. Ursprünglich wurde die Grenze des
neuen Staats sogar noch enger gezogen, aber
nachdem Leopold von Koburg, dem zuerst die
griechische Krone angeboten wurde, sie unter
der Begründung abgelehnt hatte, daß Griechen-
land innerhalb der gezogenen Grenze lebens-
unfähig sei, gab man in soweit nach, wenig-
stens die Provinzen Aetolien und Akarnanien
in Nordgriechenland, die man erst hatte halbi-
ren wollen, ungetheilt den Griechen zuzu-
sprechen. Aber auch so war das Land zu klein,
die Lasten zu tragen, die ihm der fürchterliche
Krieg und seine exponirte Lage auferlegten.
Erschöpft, im wahrsten Sinne des Wortes
ausgeblutet, mit einer Einnahme, die kaum
die Anforderungen des Kriegsbudgets deckte,
mit Schulden überladen, für die es Wucher-
zinsen zahlen muhte, so trat das griechische
Staatswesen ins Leben. Dabei herrschte unter
den Parteiführern großer Hader; die sehr ver-
schiedenartigen Elemente mit ihren so grund-
verschiedenen Auffassungen vom öffentlichen
Leben waren nur äußerst schwer zu ruhigem
! Zusammenwirken zu bringen.
1827 hatte man sich darauf geeinigt, einen
russischen Griechenfreund, den Grafen Kapo
 
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