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Der wahre Jakob: illustrierte Zeitschrift für Satire, Humor und Unterhaltung — 14.1897

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https://doi.org/10.11588/diglit.6610#0125

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2468

einen und Oberherr Türke von der anderen
Seite her ins Land und stellen einträchtig mit
Waffengewalt das alte System der Trennung
wieder her. Der Krimkrieg schuf indeß hier
Besserung. Im Pariser Vertrag (1886) wurde
die russische Schutzherrschaft über die Donau-

Pappa Maleko, Insurgentenführer aus Kreta.


Provinzen aufgehoben und eine Neuregelung
der Stellung der beiden Fürstenthümer ange-
bahnt, die zwar von den Vertragsmächten so
ungeschickt wie nur möglich ins Werk gesetzt,
von den Walachen selbst aber durch einen klugen
Streich zu gutem Ende gebracht wurde. Die
beiden Fürstenthümer sollten eine politische Ein-
heit mit Doppelregierung und Doppelvertretung
bilden. Da sie aber das Recht der Wahl ihrer
Fürsten hatten, so wählten beide Vertretungen
—1859 — ein und dieselbe Person zum Fürsten
und stellten so zunächst eine Personalunion her,
die nach zwei Jahren zur wirklichen Verbindung
beider Länder unter dem Titel des Fürstenthums
Rumänien führte. Der russisch-türkische Krieg
gab den Rumänen Gelegenheit, ihre Unab-
hängigkeit zu erklären. Als Dank für die sehr
wirksame Hilfe, welche sie Rußland in diesem
Krieg geleistet, nahm das letztere den Ru-
mänen das sette Bessarabien ab und gab ihnen
dafür die ungesunde Dobrudscha.
Die Guerilla-Kämpfe der Montenegriner
mit der Türkei im Einzelnen zu schildern, hat
keinen Zweck. Das Ländchen erhielt im Ber-
liner Vertrag seine Unabhängigkeit und einen
Landzuwachs, der ihm endlich den ersehnten
Zugang zum Meer verschaffte.
Die Bulgare» haben erst in diesem Jahr-
hundert angefangen, sich ernsthaft gegen die
Türkenherrschaft aufzulehnen. Das türkische
Regiment mußte schon sehr geschwächt sein,
bevor die Bulgaren darauf hoffen konnten,
durch Rebellion sich seiner erledigen zu können.
Auch kann man zweifeln, ob die Masse des
bulgarischen Volkes durch wirthschaftliche Be-
drängniß zum Ausstand getrieben wurde. Ein-
zelne bulgarische Landestheile erfreuten sich
wenigstens auch unter der türkischen Herrschaft
eines gewissen Wohlstands. Aber es war nur
natürlich, daß, nachdem Rumänen und Serben
eine gewisse nationale Unabhängigkeit erlangt
hatten, sich die nationalpatriotische Strömung '
auch der Bulgaren bemächtigte. Sie wurde durch !
russische Agenten genährt und schon während
des russisch-türkischen Krieges von 1828—29^
kam ein bulgarischer Aufstand zu Stande, der
Tausenden von Bulgaren das Leben oder die
Existenz in der Heimath kostete, im Uebrigen

aber nur Rußlands Vorrücken
förderte. Ganz unzweifelhaft
war auch der 1876 ausge-
brochene bulgarische Aufstand
zu einem großen Theil das
Werk russischer Panslavisten.
Die Gewaltthaten, welche die
Bulgaren dabei an Türken resp.
Muhamedanern verüben, wer-
den bei der Unterdrückung des
Aufstands von den türkischen
Soldaten durch noch ärgere
Greuel vergolten, insbesondere
vollführen die türkischen irregu-
lären Truppen, zumeist gar
keine Türken, sondern Alba-
nesen, Tscherkessen, muhame-
danische Bulgaren re. und von
den Türken selbst Baschibozuks,
d. h. Wirrköpfe, Halbwilde ge-
nannt, Scheußlichkeiten, die
berechtigte Entrüstung in Eu-
ropa erregen. Von England
unterstützt, stellt Rußland an
die Türkei allerhand Reform-
forderungen zu Gunsten der
Bulgaren. Die Einwände der
Türkei werden zum Anlaß oder
Vorwand für den russischen
Befreiungskrieg von 1877 bis
1878.
Als die Türkei am Boden

Türkische Baschibozuks.


liegt, bedingt Rußland im
Vertrag von San Stefano, daß die bul-
garischen Landestheile der Türkei zu einem
eigenen Fürstenthum vereinigt werden sollen,
das aber unter türkischer Oberhoheit bleiben
und zwei Jahre hindurch einen russischen
Kommissar als Vermalter und eine russische
Armee von 50000 Mann als Schutztruppe
im Land behalten soll. Der Berliner Kon-
greß wirft diese Abmachung indeß um, beläßt
einen Theil des von Rußland für Bulgarien
reklamirten Gebiets (die Provinz Adrianopel re.)
der Türkei und theilt — echte Kongreßweisheit,
deren Grundsatz es ist. Niemand zu befriedigen
und nichts definitiv zu erledigen — das übrige
Bulgarien in ein autonomes Tributarfürsten-
thum und eine autonome Provinz, die als „Ost-
Rumelien" dem Sultan verbleiben, aber einen
christlichen Generalgouverneur erhalten sollte.
Die Frist für die Besetzung der Provinz durch
die Russen wurde auf neun Monate herab-
gesetzt.
Die letzte Bestimmung war die beste, denn
sie verhinderte die Russifizirung Bulgariens.
Der Versuch Rußlands, die befreiten Bulgaren
ebenso zu behandeln, wie seinerzeit die befreiten
Walachen, erfuhr so ziemlich die gleiche Ant-
wort. Die Bulgaren schüttelten sich erst die
gar zu aufdringlichen russischen Rathgeber ab
und vernichteten dann die Perle des Berliner
Vertrags: die Zerreißung der beiden Bulgarien.
Jetzt war Niemand mehr über die Rückkehr
zum Vertrag von San Stefano empört als —
Rußland, das ihn sabrizirt hatte.
Jetzt hetzte es die Serben auf die Bulgaren
und bereitete dann dem ungerathenen Fürsten
derselben, Alexander von Battenberg, das Schick-
sal des Walachenfürsten Alexander Ghika. Dank
der Feigheit und gegenseitigen Eifersucht der
anderen Großmächte hat Rußland durch seine
Treibereien die Bulgaren dahin gebracht, ihm
wieder einen Einfluß auf diePolitik ihres Landes
einzuräumen, aber die Vereinigung der beiden
bulgarischen Provinzen bleibt Thatsache und
mit der Verwandlung Bulgariens in eine rus-
sische Provinz hat es so gute Wege wie mit!
der Bevormundung Rumäniens.
Im Ganzen hat Rußland sein Programm
der Zerstückelung der Türkei in Europa so

weit durchgeführt, daß sich das Resultat schon
jetzt übersehen läßt. Und da werden wir sagen
müssen, daß wenigstens bis jetzt Rußland seine
Rechnung nicht gefunden hat. Nicht auf der
erzielten Schwächung der Türkei beruht seine
jetzige Machtstellung in Europa, sondern auf
Rivalitäten der Mächte, die mit dem Balkan
absolut nichts zu thun haben. Je mehr sich
die Balkanstaaten befestigen, um so weniger
wahrscheinlich ist es, daß sie Rußland zu einem
Vernichtungskrieg gegen die Türkei die Hand
bieten werden, der nur den Zweck haben
könnte, sie selbst völlig unter russische Bot-
mäßigkeit zu bringen.
Die Entwicklung der Dinge ist mächtiger
als die Pläne der mächtigsten Despoten. Die
Menschen sind keine Schachfiguren, und die
Unternehmungen von Welteroberern sind wie-
derholt am Widerstand unbedeutender Völker-
schaften gescheitert. Denken wir darum nicht zu
gering von den griechischen Ziegenhirten. Ihr
Widerstand mag oft das Resultat beschränkten
Gesichtskreises sein, aber sie haben gekämpft, wo
die erleuchtetsten Geister sich unterwarfen und
schwiegen. Wer weiß, wie viel Impuls die
Juli-Revolution dem griechischen Freiheits-
kampf verdankt.
Die Demokratie hat ganz zweifellos Recht,
die Augen offen zu halten und die Dinge
kritisch zu betrachten. Aber nichts steht ihr
schlechter an, als einer Nation den Kampf für
ihr Recht darum zu verübeln, weil sie klein ist,
weil man ihr in der Geburt die Mittel ge-
sunden Wachsthums genommen und seitdem
hartnäckig vorenthalten hat. Gewiß haben die
Rodomontaden der Griechen vor und während
des jetzt verlorenen Feldzugs oftmals den Spott
herausgefordert, aber im Grunde genommen
konnten dem freiheitsliebenden Volke die Sym-
pathien nicht versagt werden. Eine höhere
Kultur kämpfte gegen eine in Europa unhaltbar
gewordene Barbarei. Die letztere hat noch
einmal durch erdrückende Uebermacht und nicht
zum wenigsten durch die Eifersucht der euro-
päischen Großmächte untereinander gesiegt. Für
die Griechen gilt indessen auch heute noch das
Wort: „Was ihr dem Kleinsten dieser thut,
das habt ihr mir gethan".

Verantwortlich für die Redaktion Georg Baßler in Stuttgart. — Druck und Verlag von I. H. W. Dietz in Stuttgart.
 
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