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Der wahre Jakob: illustrierte Zeitschrift für Satire, Humor und Unterhaltung — 14.1897

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https://doi.org/10.11588/diglit.6610#0127

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2470

Der Helö öes Tages.

^ach altem Brauch, der längst sich überlebt,
Dem aber sklavisch und gedankenlos
Noch heute folgt -er G^mnasialprofessor,
Fuhrt unsrer ,,höhren" Jugend man als Muster
Die alten Griechen vor — Solon, Lv'kurg,
Leonidas, -en Thermox^len-Löwen.
Das sind die Männer, die als Staatenlenker
Und große Bürger man beredtsam preist;
Mit solchen Bildern sucht die Phantasie
Der skatbefliss'nen Herrn Rommentstndenten
Man zu entflammen, und in ihre Herzen
pflanzt man die Sehnsucht, jenen gleich zn werden,
Zunr schwersten Opfer jederzeit bereit,
Gera- und aufrecht, ohne Ligennutz
Und unabhängig bis zum letzten Hauch.
Läßt ärgere Verkehrtheit sich ersinnen
Und kann -er künft'ge höhere Beamte
Die Tugen- brauchen, die am Griechen man
Als Höchstes preist? Die Klassik ist versunken,
Unwiederbringlich, und die Gegenwart
Hat andre heil'ge Güter und Int'ressen
Mit Umsicht, Weisheit und Ergebenheit
Vor Umsturz zu beschützen; höhre Ziele

Sind ihr gesteckt und bessre Männer brauchen
wir heut, als Griechenland sie einst gezeugt.
Und fehlt's an Mustern aus der Gegenwart?
Hat Deutschland keinen Metternich gehabt,
Dess kleiner Finger ganz Europa lenkte!
Reckt sich Manteuffels bronzene Gestalt
Nicht zu den Sternen? Hat der eiserne,
Gewalt'ge Kanzler nicht sein Friedrichsrnh
Gemacht zum Mekka für den deutschen Mann?
Hat kein puttkamer durch empörte Fluthen
Mit starkem Arm des Staates Schiff gelenkt?
Und wollt ihr Muster aus -en jüngsten Tagen,
Vor die voll Ehrfurcht man die Jugend führt,
Um ihren Sinn zu adeln, reinen Ehrgeiz
In ihre Brust zu pflanzen? Heil der Zeit,
Die makellose Charaktere schmiedet
Jur Prüfungsfeuer, heil dein Manne auch,
Der triumphirend geht durch Schmach und Noth,
wie unser oller, ehrlicher v. Tausch!
Die Jugend aber, die zu solchen Mustern
Bewundernd anfblickt, läßt mail mit der Griechen
Bescheidner Größe künftig wohl in Ruh —
Sie ist veraltet und nicht zeitgemäß.

An unsere Leser.
In unserer Unterhaltungs-Beilage beginnen wir
heute mit dein Abdruck eines Zyklus der „Lieder eines
Sklaven" von S. Cech. Das Nähere bitten wir in der Fuß-
note der Beilage nachzulesen. Sodann folgt „Des Wander-
burschen Freud und Leid." Ueber den Inhalt wollen wir
nichts weiter sagen; unsere geehrten Leserinnen und Leser-
werden ihre Freude daran haben.
Ferner liegt der Unterhaltungs-Beilage ein Kunstblatt
,,An der Fähre" bei. Jede Bemerkung zu dem reizenden
Bilde ist überflüssig. Höchstens könnten wir die Frage mancher
Leserin, ob das junge Mädchen wohl in irgend einer Be-
ziehung zu dem flotten Burschen auf der Fähre stände, mit
einem Kopfnicken bejahen. Nicht ohne Grund hat der fran-
zösische Maler gerade dieses Mädchen mit dem Fährmann
zusammengebracht; der Liebesfrühling ist dem jungen Paar
aufgeschlossen. Beide werden sich „kriegen". Ob nach dem
Frühling der Sommer und dann Herbst und Winter folgen
werden, — was kümmert es uns! Jetzt ist Frühling.
In der Unterhaltungs - Beilage unserer nächsten
Nummer werden wir u. A. mit einer Darstellung der -.sozia-
listischen Bewegung in Oesterreich" beginnen; dem-
nächst folgen Italien, Belgien, Spanien, Dänemark, Rußland,
Polen, Frankreich, England u. s. w. Die Verfasser der Artikel
sind bekannte Parteigenossen in den betreffenden Ländern, so
daß ihrer Darstellung der volle Reiz der Ursprünglichkeit
verbleibt.
Selbstverständlich ist dafür gesorgt, daß jede Nummer ein
in sich abgeschlossenes Bild bietet.
Verlag und Redaktion.
Zur Rettung des Handwerks.
Lin altes Weib, noch sehr kokett,
Nit Runzeln und grauen Haaren,
Hat heftig die Reize zurückersehnt
Aus ihren jungen Jahren.
Sie ging zum Arzt: „V könnten Sie
Befriedigen mein Verlangen
Rach schwellenden Gliedern, blondem Gelock
Und frischen rosigen Wangen!"
Der Arzt versetzte: „Liebe Krau,
Das ist ein thöricht Begehren;
Die Jugend, die einmal entflohn.
Rann niemals wiederkehren."

Drauf lenkte die Thörin ärgerlich
Ium Wunderdoktor die Schritte.
Der sprach: „Nein Lebenselixir
Lrfüllt gar schnell Ihre Bitte."
Die Alte siel auf den Schwindel hinein.
Sie nahm das Tränklein täglich.
Die Jugend aber blieb aus; dafür
Der Magen litt unsäglich.
„Mir werden", meinte der Doktor frech,
„Die Dosen verdoppeln müssen."
Sie that's, und wenige Wochen darauf
Hat sie — ins Gras gebissen.
Die Milttär-Strafprozrßvrduuttg
muß eine außerordentlich schwierige gesetzgeberische
Aufgabe sein, da sie bis heute noch nicht das Licht
der Welt erblickt hat. Da wird sich denn der
„Wahre Jacob" wieder einmal ins Mittel legen
müssen, nm die nöthigc Richtung anzugcben, in
welcher die Reform sich bewegen soll.
Es handelt sich zunächst um die Gerichtshöfe,
vor die man den angcklagten Soldaten zn stellen
hat. Hier ist sofort mit der gründlichen Reforni
zu beginnen. Es ist gar nicht nöthig, daß diese
Gerichte aus Militärpcrsoncn bestehen. Man
läßt ja die Schmuggler auch nicht durch Schmuggler
und die Spitzbuben nicht durch Spitzbuben ab-
urtheilen. Es ist viel richtiger, wenn man die
Soldaten vor ein bürgerliches Gericht stellt; die
Staatsbürger müssen das Militär ja ernähren
und dcni Ernährer steht meistens ein gewisses
Züchtigungsrecht zu.
Welches bürgerliche Gericht würde sich nun am
besten zur Erledigung der militärischen Dinge eig-
nen? Auch diese Frage ist leicht zu beantworten, es
sind dazu die Gewerbeschiedsgerichte wie ge-
schaffen, denn sie arbeiten schnell und billig.
Um die Vortrefflichkeit dieser Gerichte gerade
für solche Aufgaben nachzuweisen, genügt die An-

führung einiger Beispiele. Wird ein Soldat miß-
handelt, so tritt der Mißhandelte einfach aus dein
Glied und geht zum Gewerbeschiedsrichter, um
seine Klage anzubringen. Er braucht nicht mehr
den gefährlichen Jnstanzengang bei seinen Vor-
gesetzten durchzninachen, die ihn dafür maltrütiren.
Das Gewerbeschiedsgericht wird erkennen, daß
thütliche Mißhandlung, gleichviel ob sie vom
Meister (dem Offizier) oder vom Werkführer
(dein Korporal) ausgehr, zum sofortigen Verlassen
des Arbeitsverhältnisses berechtigt, und wird das
Regiment verurtheilen, den Soldaten vierzehn
Tage lang für Lohn, Kost und Logis zu ent-
schädigen.
Das Exerziren bei großer Hitze, insbesondere
die sogenannten Lodesmärsche werden sehr bald
unterbleiben müssen, denn das Gewerbeschicds-
gericht wird sie für gesundheitsschädliche Arbeit
erklären, zu welcher kein Soldat gezwungen werden
kann. Auch das Aufwacheziehen am Sonntag
dürfte beanstandet werden, da es gegen die gesetz-
liche Sonntagsruhe verstößt.
Bisher wurden widerspenstige Soldaten mit
Arrest bestraft. Das ist durchaus keine Strafe,
denn der Soldat ist im Arrest freier, wie im
Glied seiner Kolonne. Er darf im Arrest die
Augen nach rechts oder links wenden, ganz wie
es ihm beliebt, er darf die Hand von der Hosen-
naht wegnehmen und an den Jackenknopf legen,
er braucht seinen Bauch nicht einzuziehen, er darf
sogar niesen und lachen, ohne dafür „Nilpferd"
oder „Mondkalb" titnlirt zu werden.
Die Bestrafung der Soldaten muß also von
ganz anderen Gesichtspunkten ausgchen. Das
Gericht muß den Grundsatz aufstellen, die Zuge-
hörigkeit zum Heere sei ein so großes Glück und
ein solcher Vorzug, daß man nur bei ganz tadel-
loser Führung dieses Glückes würdig sei. Ver-
stößt ein Soldat gegen die militärischen Vor-
schriften, kommt er z. B. zu spät und betrunken

Durch unsere Expedition ist zu beziehen: Wahlgesetz für den Deutschen Reichstag nebst Reglement zur Ausführung des Wahlgesetzes. Mit Anhang: Programm
der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands. Preis pro 100 Exemplare Mk. 2.—, pro 1000 Exemplare Mk. 15.—
 
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