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Abends auf der Herberge. Der Aomet erzählt seine Lrlebnisse.
nicht, aber dieses Pseudonym deckt sich ungefähr
mit seinem eigentlichen Namen, und da ich
nicht weiß, ob der alte Junge nicht doch noch
in irgend einer Gießhütte Sand formt und
diese Zeilen zu Gesicht bekommt, so wollen
wir's bei dem singirten Namen belassen. Er
war eine äußerst fidele Haut, Angehöriger der
„Freien Kunst" der Former und Gießer, und
aus dem deutschen Manchester, aus Chemnitz
gebürtig.
Wir hatten uns auf der Herberge in Hanau
getroffen. Hanau war damals noch „kur-
hessisch"; die „korfürschtlichen" Soldaten trugen
aber Pickelhauben wie die Preußen, hatten
Züudnadelgewehre und zwei Patronentaschen
vor dem Bauch, sahen überhaupt viel mar-
tialischer aus als die benachbarten Frankfurter
Stadtsoldaten. Deswegen wurden sie auch
1866 gebührend geschont, daß sie nicht ins Ge-
fecht kamen und an ihrer Eguipirung nichts
verdorben wurde. Also in Hanau auf der
Herberge hatte ich meinen Freund Geiger
kennen gelernt. Ich war von der alten Bischofs-
stadt am Main „herübergetippelt", hatte einen
mit Wäsche wohlgefüllten Berliner, gute „Tritt-
linge" und noch einige „Muttergroschen".
Letzterer Ausdruck trifft allerdings mit Bezug
auf die ersten zwei Silben nicht zu, denn ich
hatte mir die Groschen selbst verdient und von
der Mutter weiter nichts mitbekommen als ihre
Thränen und Segenswünsche. — — Item,
Groschen waren es immerhin, wenn sie auch
nach dem rheinischen Guldenfuß als Dreikreuzer-
stücke ausgeprägt waren. Ich will nun nicht
behaupten, daß diese Groschen allein meinen
Freund Geiger veranlaßt hätten, mit dem
jungen „Grastenfel" Freundschaft zu schließen,
aber beigetragen haben sie sicherlich dazu. Der
biedere sächsische Eisengießer war nämlich das
gerade Gegenstück zu mir; ich mar achtzehn, er
siebeuunddreißig Jahre alt; ich hatte etliche
Thaler, er keinen Pfennig; meine „Trittlinge"
hielten voraussichtlich eine Walze von fünfzehn
Wochen aus, die seinigen hatten die Eigenschaft,
daß gewisse Stellen „zugewichst" werden mußten,
und als wir etwa acht Tage zusammen getip-
pelt waren, da lugten auch schon aus allen
beiden die großen Zehen mit einer solch un-
verschämten Neugier hervor, wie ich's vor- und
nachher nicht wieder gesehen, kknd dabei war
es Februar! Geiger war ein richtiger „Komet"
vom alten Schlage.
Ein Komet? werden die jüngeren Leser
fragen. Natürlich! Solche Kometen waren be-
rühmt in ihren Gewerken, bekannt ans allen Her-
bergen, von Triest bis Hamburg, von Basel bis
Königsberg. Kometen nannte man diejenigen
Wanderburschen, welche über ein gewisses Alter
hinaus, oder, wie man zu sagen pflegt, „aus
dem Schneider" waren; die aufs Ansässig-
machen, Heirathen u. s. w. nicht mehr rechne-
ten; die nur an bestimmten Verkehrszentren
Arbeit nahmen, auf der „Fahrt" genau ihre
Routen einhielten, wenn auch ab und zu
höchst polizeiwidrig „mit Abweichen von der
Heerstraße"; die zu ganz bestimmten Zeiten auf
dieser und jener Herberge zugereist kamen, was
jedesmal zu einem großen Feste Veranlassung
gab. Man darf aber die „Kometen" beileibe
nicht mit den Stromern verwechseln. Der Komet
hielt ans Reputation und — arbeitete auch zu
bestimmten Zeiten; sehr lange allerdings meistens
nicht, aber es gab doch welche, die ein halbes
Jahr und noch länger aushielten, ehe sie wieder
auf die Fahrt gingen. War die Zeit dahin,
so mußten aus der nächsten Tour einige unter-
geordnete „Stationen" ausfallen, um wenigstens
an den Hauptpunkten rechtzeitig cintreffen zu
können.
Mit derselben Genauigkeit, weun auch nicht
gerade auf Tag und Stunde, mit welcher der
Astronom das Eintreffen des beschweiftcn Wan-
delsternes anzeigt, konnte der Herbergsvater
früherer Zeiten sagen: Diese Woche trifft der
„lange Mecklenburger" oder der „böhmische
Gustel" oder wie sonst die berühmtesten Kometen
hießen, bei uns ein. — Dann mußte man aber
einen Abend auf der Herberge erleben! Die
„halben Pfunde" kreisten, nm Ehrensitze der
Tafel unter dem Zunftschild thronte der Komet,
an dessen Lippen Aller Augen hingen. Die
jungen Gesellen hörten aufmerksam zu, wenn
er von fernen Städten und Völkern erzählte;
die Herbergsmutter uud Herbergsschwestern,
wenn welche da waren, verließen das Buffet,
hinter welchem nun der „Vater" allein zu
„walten" hatte, und gesellten sich ebenfalls zu
den Gesellen. Schnitt der Komet auf, was
wohl „ab uud zu" vorkam, und es erlaubte
sich einer von den Jungen, naseweise Bemer-
kungen zu machen, so konnte er sicher sein, an
die Luft gesetzt oder mindestens mit einem halben
Pfund bestraft zu werden.
So ein Komet war Freund Geiger. Und
in Hanau auf der Herberge der vereinigten
Rußigen war eben solch ein Festabend, an dem
ich ihn kennen lernte. Er kam aus Belgrad
und war zweiundzwanzig Wochen unterwegs.
In Pest, Wien und München hatte er schon
Arbeit nehmen sollen, allein da er seine An-
kunft in Hamburg für die Osterwoche in sichere
Aussicht gestellt hatte, so konnte er ganz unmög-
lich in einer der Städte unterwegs bleiben. Er
mußte nach Hamburg.
Hamburg! Jeder ältere Schlosser weiß,
was es seinerzeit galt, in Hamburg gewesen
zu sein. Hamburg war geradezu das Eldorado
der „Katzenköpfe". Nicht, daß dort erheblich
mehr verdient worden wäre, als anderwärts;
nein, die Löhne standen in Hamburg nicht sehr
hoch, aber es war allbekannt, daß in Hamburg
ein gutes Stück Arbeit gemacht, daß auf Sitte
und Herkommen gehalten uud kein Pfuscher,
Abends auf der Herberge. Der Aomet erzählt seine Lrlebnisse.
nicht, aber dieses Pseudonym deckt sich ungefähr
mit seinem eigentlichen Namen, und da ich
nicht weiß, ob der alte Junge nicht doch noch
in irgend einer Gießhütte Sand formt und
diese Zeilen zu Gesicht bekommt, so wollen
wir's bei dem singirten Namen belassen. Er
war eine äußerst fidele Haut, Angehöriger der
„Freien Kunst" der Former und Gießer, und
aus dem deutschen Manchester, aus Chemnitz
gebürtig.
Wir hatten uns auf der Herberge in Hanau
getroffen. Hanau war damals noch „kur-
hessisch"; die „korfürschtlichen" Soldaten trugen
aber Pickelhauben wie die Preußen, hatten
Züudnadelgewehre und zwei Patronentaschen
vor dem Bauch, sahen überhaupt viel mar-
tialischer aus als die benachbarten Frankfurter
Stadtsoldaten. Deswegen wurden sie auch
1866 gebührend geschont, daß sie nicht ins Ge-
fecht kamen und an ihrer Eguipirung nichts
verdorben wurde. Also in Hanau auf der
Herberge hatte ich meinen Freund Geiger
kennen gelernt. Ich war von der alten Bischofs-
stadt am Main „herübergetippelt", hatte einen
mit Wäsche wohlgefüllten Berliner, gute „Tritt-
linge" und noch einige „Muttergroschen".
Letzterer Ausdruck trifft allerdings mit Bezug
auf die ersten zwei Silben nicht zu, denn ich
hatte mir die Groschen selbst verdient und von
der Mutter weiter nichts mitbekommen als ihre
Thränen und Segenswünsche. — — Item,
Groschen waren es immerhin, wenn sie auch
nach dem rheinischen Guldenfuß als Dreikreuzer-
stücke ausgeprägt waren. Ich will nun nicht
behaupten, daß diese Groschen allein meinen
Freund Geiger veranlaßt hätten, mit dem
jungen „Grastenfel" Freundschaft zu schließen,
aber beigetragen haben sie sicherlich dazu. Der
biedere sächsische Eisengießer war nämlich das
gerade Gegenstück zu mir; ich mar achtzehn, er
siebeuunddreißig Jahre alt; ich hatte etliche
Thaler, er keinen Pfennig; meine „Trittlinge"
hielten voraussichtlich eine Walze von fünfzehn
Wochen aus, die seinigen hatten die Eigenschaft,
daß gewisse Stellen „zugewichst" werden mußten,
und als wir etwa acht Tage zusammen getip-
pelt waren, da lugten auch schon aus allen
beiden die großen Zehen mit einer solch un-
verschämten Neugier hervor, wie ich's vor- und
nachher nicht wieder gesehen, kknd dabei war
es Februar! Geiger war ein richtiger „Komet"
vom alten Schlage.
Ein Komet? werden die jüngeren Leser
fragen. Natürlich! Solche Kometen waren be-
rühmt in ihren Gewerken, bekannt ans allen Her-
bergen, von Triest bis Hamburg, von Basel bis
Königsberg. Kometen nannte man diejenigen
Wanderburschen, welche über ein gewisses Alter
hinaus, oder, wie man zu sagen pflegt, „aus
dem Schneider" waren; die aufs Ansässig-
machen, Heirathen u. s. w. nicht mehr rechne-
ten; die nur an bestimmten Verkehrszentren
Arbeit nahmen, auf der „Fahrt" genau ihre
Routen einhielten, wenn auch ab und zu
höchst polizeiwidrig „mit Abweichen von der
Heerstraße"; die zu ganz bestimmten Zeiten auf
dieser und jener Herberge zugereist kamen, was
jedesmal zu einem großen Feste Veranlassung
gab. Man darf aber die „Kometen" beileibe
nicht mit den Stromern verwechseln. Der Komet
hielt ans Reputation und — arbeitete auch zu
bestimmten Zeiten; sehr lange allerdings meistens
nicht, aber es gab doch welche, die ein halbes
Jahr und noch länger aushielten, ehe sie wieder
auf die Fahrt gingen. War die Zeit dahin,
so mußten aus der nächsten Tour einige unter-
geordnete „Stationen" ausfallen, um wenigstens
an den Hauptpunkten rechtzeitig cintreffen zu
können.
Mit derselben Genauigkeit, weun auch nicht
gerade auf Tag und Stunde, mit welcher der
Astronom das Eintreffen des beschweiftcn Wan-
delsternes anzeigt, konnte der Herbergsvater
früherer Zeiten sagen: Diese Woche trifft der
„lange Mecklenburger" oder der „böhmische
Gustel" oder wie sonst die berühmtesten Kometen
hießen, bei uns ein. — Dann mußte man aber
einen Abend auf der Herberge erleben! Die
„halben Pfunde" kreisten, nm Ehrensitze der
Tafel unter dem Zunftschild thronte der Komet,
an dessen Lippen Aller Augen hingen. Die
jungen Gesellen hörten aufmerksam zu, wenn
er von fernen Städten und Völkern erzählte;
die Herbergsmutter uud Herbergsschwestern,
wenn welche da waren, verließen das Buffet,
hinter welchem nun der „Vater" allein zu
„walten" hatte, und gesellten sich ebenfalls zu
den Gesellen. Schnitt der Komet auf, was
wohl „ab uud zu" vorkam, und es erlaubte
sich einer von den Jungen, naseweise Bemer-
kungen zu machen, so konnte er sicher sein, an
die Luft gesetzt oder mindestens mit einem halben
Pfund bestraft zu werden.
So ein Komet war Freund Geiger. Und
in Hanau auf der Herberge der vereinigten
Rußigen war eben solch ein Festabend, an dem
ich ihn kennen lernte. Er kam aus Belgrad
und war zweiundzwanzig Wochen unterwegs.
In Pest, Wien und München hatte er schon
Arbeit nehmen sollen, allein da er seine An-
kunft in Hamburg für die Osterwoche in sichere
Aussicht gestellt hatte, so konnte er ganz unmög-
lich in einer der Städte unterwegs bleiben. Er
mußte nach Hamburg.
Hamburg! Jeder ältere Schlosser weiß,
was es seinerzeit galt, in Hamburg gewesen
zu sein. Hamburg war geradezu das Eldorado
der „Katzenköpfe". Nicht, daß dort erheblich
mehr verdient worden wäre, als anderwärts;
nein, die Löhne standen in Hamburg nicht sehr
hoch, aber es war allbekannt, daß in Hamburg
ein gutes Stück Arbeit gemacht, daß auf Sitte
und Herkommen gehalten uud kein Pfuscher,