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Der wahre Jakob: illustrierte Zeitschrift für Satire, Humor und Unterhaltung — 14.1897

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https://doi.org/10.11588/diglit.6610#0141

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2483

Die Allikitklbewrgliilg in Oesterreich.
Vom Hainfelder Parkeikag 1889 bis 1897.
Von vr. W. Ellenbogen.
„Wir haben den Despotismus, gemildert durch
Schlamperei." Victor Adler.
Oesterreich ist allerwegen das Land der
Halbheit gewesen. Die Rückständigkeit auf
allen Gebieten mit allen ihren Wirkungen auf
das öffentliche Leben ist insofern auch eine
individuell charakteristische Eigenschaft dieses
Staates, als sie mehr ein fortwährendes
Stehenbleiben auf fortschrittlichen Anfängen
ist. Es ist kein europäisches und kein asia-
tisches Land, sondern von beiden etwas. Es
ist überhaupt von allem etwas, aber von

italienischen herrschte der gewerbliche Klein-
betrieb oder die bäuerliche Parzellen- und
Zwergwirthschaft oder der Großgrundbesitz vor.
Industriezentren gab und giebt es wesentlich
nur im flacheren Norden, die Alpenländer sind
bis zum heutigen Tage mit Fabrikbetrieben
sehr dünn besät. Dazu kam der Gegensatz
zwischen der jung emporgekommenen indu-
striellen Bourgeoisie und der noch lange nicht
überwundenen Großgrundbesitz - Aristokratie.
Diese nützte den ungeheuren Einfluß, den sie
durch den beinahe ausschließlich ihren Reihen
entnommenen höheren Beamtenstand auf die
Gestaltung der inneren Verhältnisse ausübt,
zu einer starr industriefeindlichen Politik aus
und machte so eine reiche Entwicklung des
I Industrialismus unmöglich. In Oesterreich

außerordentlicher politischer Begabung und
großer, rücksichtsloser Energie. Sein schlag-
fertiger Witz und seine lebendige Beweglichkeit,
sein seiner politischer Instinkt, sowie die gründ-
lichen Studien, die er der Frage des Arbeiter-
schutzes gewidmet hatte, machten ihn zu einem
vorzüglichen Journalisten, eine Begabung, die
er vor Allem in der von ihm gegründeten
und geleiteten „Gleichheit" in mustergiltiger
Weise zum Ausdruck brachte. Dieses Blatt
zog vermöge seines frischen, herzhaften Tones
die Arbeiter aller Gruppen an, und erwarb
sich ein großes Verdienst um die Verbreitung
sozialdemokratischen Denkens im Proletariat,
da es trotz der frischen Popularität seiner
Schreibweise immer auf der Höhe einer ernsten
und konsequenten wissenschaftlichen Anschau-

vc. Victor Adler.


nichts etwas Ganzes. Ein von
Deutschen zusammengerafftes
Staatswesen, wird es fortwäh-
rend vom widerlichsten Nationa-
litätengezänke durchwühlt. Halb
Neuzeit, halb Mittelalter, halb
fortschrittliche Aufgeklärtheit,
halb bornirter Obskurantismus,
halb konstitutionelle Freiheit, halb
bureaukratischer Absolutismus,
halb Gemüthlichkeit, halb Roh-
heit, „a bisserl" bürgerlich und
a bisserl aristokratisch, a bisserl
klerikal und a bisserl sozialistisch
(wir meinen die „maßgebenden"
Kreise), und als Zusammen-
fassung aller dieser Richtungen
eine tüchtige Portion ristlich-
sozial, nirgends Entschiedenheit,
nirgends Kraft, nirgends Größe,
und darum zum ewigen Nach-
humpeln im europäischen Konzert
verurtheilt.
Die Gründe dieser Erschei-
nung aufzuklären ist hier nicht
unsere Aufgabe. Aber man muß
dieses Oesterreich mit dem geisti-
gen Tiefstand seiner Bevölkerung,
mit dem unsicheren Schwanken
seiner Politik, mit der Wider-
haarigkeit seiner tausendfachen
inneren Gegensätze erfassen, wenn
man die Psychologie der öster-
reichischen Arbeiterbewegung ver-
stehen will. Ihr fehlte von vorn-
herein die sichere Grundlage,
weil ihr der entschiedene Gegner
fehlte. Sie hatte nicht mit einer
klassenmäßig versteiften Bour-
geoisie zu thun, weil diese in
ihrer Revolution sich selbst noch nicht vom
alten Feudalismus befreit hatte. Sie konnte
von Anfang an keinen großen Kampf führen,
weil die Politik der kleinen Mittel, der Polizei-
hänseleien, in Oesterreich die Stelle der Welt-
politik vertritt, und sie somit zu einem Guerilla-
krieg gegen Polizeiräthe, Staatsanwälte, Be-
zirkshauptleute und Gemeindewächter verur-
theilte. Sie mußte sich den Boden für den
Klassenkampf erst durch Beseitigung dieser
Niedrigkeiten schaffen, sie muhte in das öffent-
liche Leben Oesterreichs den großen Zug erst
hineintragen.
Die Arbeiterbewegung vor 1889 erschöpfte
sich in explosiven Aeußerungen des inneren
revolutionären Dranges des Proletariats. Von
Geschlossenheit in ihr konnte schon darum keine
Rede sein, weil die nationalen und geographi-
schen Unterschiede auch ökonomische Unterschiede
bedeuteten. Die deutschen Theile, insbesondere
Böhmens, waren großkapitalistisch entwickelt,
in den tschechischen, polnischen, slovenischen und

giebt es daher auch verhältnißmäßig wenig
industrielles Proletariat, das somit auch nur
schwer jene gewichtige und entscheidende Macht
entfalten kann, wie etwa das deutsche oder
belgische.
Eine der Kinderkrankheiten der Bewegung
war ihre Spaltung in „Radikale" und „Ge-
mäßigte" gewesen, die eine große Unklarheit
über die Richtung einer zielbewußten prole-
tarischen Politik in beiden Gruppen bekundete.
Die Entwicklung der Industrie, der Wegfall
des Anarchistengesetzes und das Zunehmen der
politischen Einsicht in den Reihen der Arbeiter
bewirkte endlich die Wiedervereinigung, die
auf dem Parteitag in Hainfeld in den letzten
Tagen des Jahres 1888 auf Grund eines
klaren, konsequent sozialdemokratischen Pro-
gramms erfolgte.
Einen wesentlichen Antheil an dem Zu-
standekommen dieser Einigung hatte der in der
Mitte der achtziger Jahre in die Partei ein-
getretene Or. Victor Adler, ein Mann von

ung blieb. Im Jahre 1889 von
der Polizei sistirt, wurde es bald
darauf durch die „Arbeiter-Zei-
tung" ersetzt, die seither nicht
nur das erklärte Zentralorgan
der österreichischen Sozialdemo-
kratie, sondern auch nach dem
Ausspruche politischer Gegner
das lesenswertheste und gedie-
genste, ja das „einzige anstän-
dige" Blatt Oesterreichs wurde.
Die „Arbeiter-Zeitung" ist eine
Individualität und schon als
solche ein bedeutsames Wahr-
zeichen für den großartigen Um-
schwung, der sich in dem charakter-
losen Oesterreich zu vollziehen
begonnen hat. Ohne „Gleichheit"
und „Arbeiter-Zeitung" ist die
moderne österreichische Arbeiter-
bewegung nicht denkbar. Das
größte Verdienst, das sich diese
beiden Blätter erworben haben,
liegt in dem zähen, und durch
diese in Oesterreich unerhörte
Zähigkeit allein vernichtenden
Kampf gegen die kleinlich bos-
hafte Polizeiwillkür der Beamten.
Sie haben die Konfiskations-
willkür der Staatsanwälte auf
ein Mindestmaß reduzirt, das
Kolportageverbot völlig illuso-
risch gemacht und dadurch der
Arbeiterschaft ein größeres Maß
von Preßfreiheit verschafft; sie
haben die Paschawirthschaft der
Bezirkshauptleute aus dem Ge-
biete des Vereins- und Versamm-
lungsrechtes sozusagen wegglos-
sirt — die „Glosse", eine kurze
politische Notiz voll beißender Satire, ist die
stärkste Waffe der „Arbeiter-Zeitung" —, sie
haben selbst in die bureaukratischen Dickschädel
ein paar Funken sozialpolitischen Denkens
hineingetragen, kurz, sie haben, was die Pflicht
einer guten und redlichen Journalistik ist, die
öffentliche Meinung dieses versumpften Staates
erzogen. Die „Arbeiter-Zeitung" bedeutet
ein Stück unvergänglicher österreichischer Ge-
schichte.
In diesem Kampfe gegen die eingefressene
Gewohnheit der politischen Schlamperei und
des Uebelwollens gegen die Arbeiterschaft er-
hielt ferner die neubeginnende Arbeiterbewe-
gung nachdrückliche Unterstützung durch zwei
Männer: Pernerstorfer und Kronawetter,
beide Abgeordnete des österreichischen Reichs-
raths. Beide waren Unika in diesem ver-
rosteten Vertretungskörper, denn sie waren
ehrlich, selbstlos, besaßen eine Ueberzeugung
und vertraten die Sache der verachteten Ar-
beiter. Pernerstorfer mit herzerfrischendem
 
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