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Wir wurde» ohne viel Federlesens gepackt und nach der Polizeiwache transportirt.
waagen befaßte, Arbeit sei. Da es mir darum
zu thun war, mein Wanderbuch so bald als
möglich wieder zu bekommen, so eilte ich, die
nächste beste Arbeit anzunehmen, und es dauerte
auch nicht lange, bis ich die Werkstatt des
empfohlenen Meisters in Sicht bekam. Vor-
schriftsmäßig, d. h. mit zugeknöpftem Rock, den
Berliner vor der Thür lassend, den Hut auf
dem Stock, betrat ich die Bude und meldete
mich als „fremder Schlosser". Und als der
wohlbeleibte Meister, die große Hornbrille auf
der Nase, vom Amboß weg auf mich zukommend,
zurückfragte: „Fremder Schlosser?" antwortete
ich ebenso „vorschriftsmäßig": „Ein Stück
davon!" Der Meister schien Gefallen an mir
zu finden und fragte mich nach Heimath, Her-
kunft re., zuletzt verlangte er auch meins Legiti-
mation zu sehen. Ganz offen erzählte ich ihm
da mein Abenteuer in Hildesheim, zeigte ihm
den Zwangspaß vor und rechnete darauf, daß
er keinen Anstoß daran nehmen werde. Aber
da hatte ich mich verrechnet. Ich hatte es
augenscheinlich mit einem verknöcherten Zunft-
bruder und Reaktionär zu thun. Trotz meines
klaren Nachweises, daß ich an dem Pech voll-
ständig unschuldig sei, hielt er mir eine große
Strafpredigt, gab mir zwei Dreier „Geschenk"
und jagte mich von dannen.
Das war also die erste unangenehme Folge
der polizeilichen Maßregelung. Es blieb mir
nichts weiter übrig, als es dem ältesten Walz-
bruder, dem ewigen Juden Ahasver, nachzu-
machen und unverdrossen den Weg unter die
Füße zu nehmen. Ich befand mich jetzt im
Königreich Preußen, ein Umstand, der mir
theils imponirte, theils mich einen gelinden
Schauer empfinden ließ. Welche Vorstellungen
machte man sich zu jener Zeit im Süden Deutsch-
lands in Handwerker- und Arbeiterkreisen, und
auch weiter hinauf, von Preußen! Ich hatte
stets etwas aufs Lesen gehalten und erinnerte
mich nun an die verschiedenen Beschreibungen
des Landes Westfalen, an seine Geschichte und
an das, was ich über seine Bewohner gelesen.
Auch das „Korn, sieben Schuh und drüber lang",
von den: Freiligrath singt, siel mir ein, nur
war jetzt, am Ende des Winters, noch nichts
davon zu sehen. Die Gegenden, die ich passirte,
hatten noch nicht jenen Anstrich, unter dem
man sich Westfalen im Allgemeinen vorzu-
stellen pflegt, nämlich den industriellen, sondern
waren rein ackerbautreibende Bezirke, allerdings
ackerbautreibend in einem ganz anderen Sinn,
als man das in Süddeutschland gewohnt ist.
Hier war keine Rede von dem Parzellenbauer,
der eine Kuh und ein Pferd zusammen an den
Wagen spannt und mühsam so viel einheimst,
um sich und seine Angehörigen zur Noch da-
mit durchzuschlagen. Hier war überall Groß-
betrieb, Rittergüter von endloser Ausdehnung,
Bauerngüter von einer Größe, daß man sie in
Sachsen und Thüringen beinahe Fürstenthümer
nennen würde. Weite, weite Flächen Landes
dehnen sich aus, fruchtbar und gut angebaut,
herrlich zu schauen; aber lange Märsche hat
der Wanderbursche zu machen, bis er ein größeres
Dorf erreicht, denn meist sind es nur Edelsitze
mit den dazu gehörigen Wirthschaftsgebäuden,
an denen er vorbeikommt. Ich konnte es
nie über mich gewinnen, auf einem solchen
Herrensitz „vorzusprechen", obwohl mir vielfach
versichert wurde, daß man bei deren Besitzern
häufig besser ausgenommen werde, als auf den
großen Bauernhöfen, deren Eigenthümer einen
„Bauernstolz" besitzen, der dem sprichwörtlichen
„Adelsstolz" weit über ist und sich in viel un-
angenehmerer Weise zu äußern pflegt, als jener.
Auf der „gradlinigen Heerstraße", wie der
Polizeikommissär in Hildesheim vorgeschrieben
hatte, blieb ich allerdings hier auch nicht, und
so gelangte ich nach allerlei Kreuz- und Quer-
fahrten schließlich nach Paderborn, neben Mün-
ster die katholischste Stadt des katholischen
Theiles von Westfalen. Es war kein freund-
licher Eindruck, den ich von Paderborn bekam;
finster und drohend kamen mir die Kirchen,
Klöster und Pfarrhäuser vor, langweilig und
öde die Häuser der Spießbürger, die, mit dem
Rosenkranz in der Hand, nach der Kirche
rannten, und selbst die bunten Uniformen der
Husaren, die hier in Garnison lagen und sich
augenscheinlich auch nicht wenig langweilten,
soweit es der Dienst erlaubte, vermochten dem
Bilde keinen heiteren Hintergrund zu geben.
Und doch mußte ich unter allen Uniständen
suchen, Arbeit zu erhalten, um wieder in den
Besitz meiner legalen Legitimationspapiere zu
gelangen. Der Herbergsvater war zugleich
Schlossermeister. Ich will dem Manne weiter
nichts Gutes nachreden, aber — sein Schäfchen
hat er gründlich zu scheeren verstanden. Er
theilte mir mit, daß in der schlechtesten Werk-
statt der Stadt Arbeit zu haben sei, aber vier-
zehn Tage werde fich's wohl aushalten lassen,
und dann wolle er zusehen, ob er nicht selbst
noch einen Gesellen einstellen könne. Kurz
entschlossen nahm ich also bei dem mir so „em-
pfohlenen" Meister Arbeit, gab ihm meinen
famosen Paß und empfing den Bescheid, am
nächsten Montag „anzufangen". Das Letztere
verdroß mich sehr,' denn es war erst Freitag
Nachmittag und ich empfand gar nicht das Be-
dürfniß, zwei Tage müßig auf der Herberge zu
liegen und dort einen großen Bären anzubinden.
Als ich nach der Herberge zurückkam, theilte
mir der „Vater" mit, daß vor einer halben
Stunde ein Mechaniker dagewesen sei, der einen
Schlosser suche, welcher auch etwas drehen
könne. Die Stelle sei sehr gut und ich solle
mir nur schleunigst meinen Paß wieder holen
und bei dem Anderen anfangen. Gesagt — ge-
than. Aber da kam ich bei dem Ersten schön
an! Ich habe nicht leicht ein zweites Mal
Wir wurde» ohne viel Federlesens gepackt und nach der Polizeiwache transportirt.
waagen befaßte, Arbeit sei. Da es mir darum
zu thun war, mein Wanderbuch so bald als
möglich wieder zu bekommen, so eilte ich, die
nächste beste Arbeit anzunehmen, und es dauerte
auch nicht lange, bis ich die Werkstatt des
empfohlenen Meisters in Sicht bekam. Vor-
schriftsmäßig, d. h. mit zugeknöpftem Rock, den
Berliner vor der Thür lassend, den Hut auf
dem Stock, betrat ich die Bude und meldete
mich als „fremder Schlosser". Und als der
wohlbeleibte Meister, die große Hornbrille auf
der Nase, vom Amboß weg auf mich zukommend,
zurückfragte: „Fremder Schlosser?" antwortete
ich ebenso „vorschriftsmäßig": „Ein Stück
davon!" Der Meister schien Gefallen an mir
zu finden und fragte mich nach Heimath, Her-
kunft re., zuletzt verlangte er auch meins Legiti-
mation zu sehen. Ganz offen erzählte ich ihm
da mein Abenteuer in Hildesheim, zeigte ihm
den Zwangspaß vor und rechnete darauf, daß
er keinen Anstoß daran nehmen werde. Aber
da hatte ich mich verrechnet. Ich hatte es
augenscheinlich mit einem verknöcherten Zunft-
bruder und Reaktionär zu thun. Trotz meines
klaren Nachweises, daß ich an dem Pech voll-
ständig unschuldig sei, hielt er mir eine große
Strafpredigt, gab mir zwei Dreier „Geschenk"
und jagte mich von dannen.
Das war also die erste unangenehme Folge
der polizeilichen Maßregelung. Es blieb mir
nichts weiter übrig, als es dem ältesten Walz-
bruder, dem ewigen Juden Ahasver, nachzu-
machen und unverdrossen den Weg unter die
Füße zu nehmen. Ich befand mich jetzt im
Königreich Preußen, ein Umstand, der mir
theils imponirte, theils mich einen gelinden
Schauer empfinden ließ. Welche Vorstellungen
machte man sich zu jener Zeit im Süden Deutsch-
lands in Handwerker- und Arbeiterkreisen, und
auch weiter hinauf, von Preußen! Ich hatte
stets etwas aufs Lesen gehalten und erinnerte
mich nun an die verschiedenen Beschreibungen
des Landes Westfalen, an seine Geschichte und
an das, was ich über seine Bewohner gelesen.
Auch das „Korn, sieben Schuh und drüber lang",
von den: Freiligrath singt, siel mir ein, nur
war jetzt, am Ende des Winters, noch nichts
davon zu sehen. Die Gegenden, die ich passirte,
hatten noch nicht jenen Anstrich, unter dem
man sich Westfalen im Allgemeinen vorzu-
stellen pflegt, nämlich den industriellen, sondern
waren rein ackerbautreibende Bezirke, allerdings
ackerbautreibend in einem ganz anderen Sinn,
als man das in Süddeutschland gewohnt ist.
Hier war keine Rede von dem Parzellenbauer,
der eine Kuh und ein Pferd zusammen an den
Wagen spannt und mühsam so viel einheimst,
um sich und seine Angehörigen zur Noch da-
mit durchzuschlagen. Hier war überall Groß-
betrieb, Rittergüter von endloser Ausdehnung,
Bauerngüter von einer Größe, daß man sie in
Sachsen und Thüringen beinahe Fürstenthümer
nennen würde. Weite, weite Flächen Landes
dehnen sich aus, fruchtbar und gut angebaut,
herrlich zu schauen; aber lange Märsche hat
der Wanderbursche zu machen, bis er ein größeres
Dorf erreicht, denn meist sind es nur Edelsitze
mit den dazu gehörigen Wirthschaftsgebäuden,
an denen er vorbeikommt. Ich konnte es
nie über mich gewinnen, auf einem solchen
Herrensitz „vorzusprechen", obwohl mir vielfach
versichert wurde, daß man bei deren Besitzern
häufig besser ausgenommen werde, als auf den
großen Bauernhöfen, deren Eigenthümer einen
„Bauernstolz" besitzen, der dem sprichwörtlichen
„Adelsstolz" weit über ist und sich in viel un-
angenehmerer Weise zu äußern pflegt, als jener.
Auf der „gradlinigen Heerstraße", wie der
Polizeikommissär in Hildesheim vorgeschrieben
hatte, blieb ich allerdings hier auch nicht, und
so gelangte ich nach allerlei Kreuz- und Quer-
fahrten schließlich nach Paderborn, neben Mün-
ster die katholischste Stadt des katholischen
Theiles von Westfalen. Es war kein freund-
licher Eindruck, den ich von Paderborn bekam;
finster und drohend kamen mir die Kirchen,
Klöster und Pfarrhäuser vor, langweilig und
öde die Häuser der Spießbürger, die, mit dem
Rosenkranz in der Hand, nach der Kirche
rannten, und selbst die bunten Uniformen der
Husaren, die hier in Garnison lagen und sich
augenscheinlich auch nicht wenig langweilten,
soweit es der Dienst erlaubte, vermochten dem
Bilde keinen heiteren Hintergrund zu geben.
Und doch mußte ich unter allen Uniständen
suchen, Arbeit zu erhalten, um wieder in den
Besitz meiner legalen Legitimationspapiere zu
gelangen. Der Herbergsvater war zugleich
Schlossermeister. Ich will dem Manne weiter
nichts Gutes nachreden, aber — sein Schäfchen
hat er gründlich zu scheeren verstanden. Er
theilte mir mit, daß in der schlechtesten Werk-
statt der Stadt Arbeit zu haben sei, aber vier-
zehn Tage werde fich's wohl aushalten lassen,
und dann wolle er zusehen, ob er nicht selbst
noch einen Gesellen einstellen könne. Kurz
entschlossen nahm ich also bei dem mir so „em-
pfohlenen" Meister Arbeit, gab ihm meinen
famosen Paß und empfing den Bescheid, am
nächsten Montag „anzufangen". Das Letztere
verdroß mich sehr,' denn es war erst Freitag
Nachmittag und ich empfand gar nicht das Be-
dürfniß, zwei Tage müßig auf der Herberge zu
liegen und dort einen großen Bären anzubinden.
Als ich nach der Herberge zurückkam, theilte
mir der „Vater" mit, daß vor einer halben
Stunde ein Mechaniker dagewesen sei, der einen
Schlosser suche, welcher auch etwas drehen
könne. Die Stelle sei sehr gut und ich solle
mir nur schleunigst meinen Paß wieder holen
und bei dem Anderen anfangen. Gesagt — ge-
than. Aber da kam ich bei dem Ersten schön
an! Ich habe nicht leicht ein zweites Mal