2506
Kunst und Gunst.
Mein Freund, was nützt dir Tverth und Geist?
Lr dient dir nur zum Tadel
Und schafft dir keinen guten Freund
Beim Mammon und beim Adel.
Mein Freund, wie lohnt dir deine Kunst?
Du bleibst ein armer Dichter,
weil Recht und Freiheit du besingst.
Anstatt die Kirchenlichter.
Mein Freund, wozu der heiße Kampf?
kein Meisterwerk wird nützen! —
Dir fehlen Freunde, fehlt die Gunst
Bei den Gesellschastsstützen.
Robert Seidel, Zürich.
Vision.
Weit und öde dehnt vor meinem Blick die Land-
straße sich hin. Erbarmungslos durchpeitscht der Wind
die grauen Baumskelette, die an beiden Seiten ragen;
wenige braune Blätter, die der Herbst vergessen, und
die weit kahler noch die leeren Aeste scheinen lassen,
wirbelt er vor meinen Füßen, treibt sie mit seinem
cis'gen Haupte über die erstarrten Felder.
Des Tages trübes Grau, es wandelt jetzt sich in
die graue Finsterniß der Nacht.
Sie wallt um mich, um alles rings deckt sich
ihr dichter Flor. Sie duldet keine Grenzen, nur ein
unendliches, unfaßbar düstres All.
Und wenn der Wolkenschleier, der den Himmel
schwarz verhüllt, sich wo zcrtheilt, erscheint ein bleicher
Stern, deß Licht aus unbekannten Fernen kalt her-
niederglänzt.
Und weiter, weiter schreit' ich zu.
Allmälig breitet in der Ferne ein matter Schein
sich von der Erd' empor; wie ein ersterbender, ver-
lorner Seufzer irrt durch die lastende Stille ein Ton
verworren zu mir herüber, die Stadt verkündend, deren
Banne ich mich nähere.
Um eine schwere Wolke, schwärzer noch als rings
die Nacht, aus Dunst und Qualm geballt, zerfließt
der Schein.
Mein Auge aber haftet unverwandt an jenem
Streif, als wollt' alle Geheimnißtiefen cs durchdringen,
die dort sich bergen unter Lichterglanz und Nacht.
Und Formen nimmt plötzlich die Wolke an. Zwei
schwarze Flügel, es spannt sich aus, ein Kopf ballt sich,
ein Körper dann zusammen und jetzo grinst, die
gierigen Klauen gekrallt, mit herzlos kalter Gluth der
grünlich düstren Augen ein Vampyr auf die Stadt.
Aus ihr empor jedoch dampft purpurrothe Gluth,
aufbäumendcr Empörung Flammenwogen gleich.
Und einen Ton braust zu mir her der Sturm,
furchtbar gemischt aus Todesröcheln, Qualgestöhn, dem
Wuthschrci des gctretnen Sklaven, und eine Stimme
dröhnt mir in das Ohr:
„Sieh, deiner Brüder Blut, zum Himmel raucht's
empor, aus Tausenden und Abertausenden gepreßt in
Arbeitsqual, in Noth und Sklaverei. Vergeltung
heischend schreit es auf nach Rettung, schreit nach
alle die „Fälle" vor ihm auf, in denen er die Partei
„pflichttreuer" Beamten gegen „renitente" Zivilpersonen
genommen hatte. Und es muß gerechtigkeitshalber
gesagt werden, daß den gefesselten Amtsrichter außer
dem körperlichen Unbehagen noch sehr intensive Reue-
gefühle belästigten. Diese wechselten ab mit auf-
schäumenden Wuthgefühlen; aber er schwieg, den
beiden Kerlen stand ja ein furchtbares Erwachen
bevor. Er beschloß, sie einstweilen gewähren und ihre
Tugenden sich noch weiter entfalten zu lassen; er
wollte jedenfalls vorläufig nichts thun, um sie aus
ihrer Verblendung zu reißen. Er wollte doch ein-
mal sehen, wie weit das ging; er war neugierig ge-
worden, und in seine Neugier mischte sich wohl auch
ein Vorgeschmack befriedigten Rachegefühls.
Auf der Wache angekommen, sträubte sich der Ar-
restant durchaus nicht, näher zu treten; gleichwohl
erstellte ihm der wüstende Schutzmann, indem er ein
kräftiges „Rrinn!" hören ließ, eine so wirksame Nach-
hilfe, daß v. Schnauzleben sofort bis in die Mitte
des Zimmers vordrang.
„Sie sehen, daß ich mißhandelt werde", rief der
Gestoßene einem Offizianten zu, der schreibend an
einem Pult stand.
„Maul halten!" riefen die beiden Schutzleute wie
aus einem Munde, und zwei Fäuste fuchtelten gleich-
zeitig dicht vor der Nase des Richters.
„Sie haben zu schweigen, bis Sie gefragt werden",
schnauzte der Offiziant vom Pult her.
„Ich brauche mich aber doch nicht ohne Grund
stoßen zu lassen!" meinte v. Schnauzleben.
„Wenn De jetzt aber nich de Schnauze hältst,
denn hau ick Dir eene runter, dat De lang hinflicgst!"
schrie wieder der thatkräftige Schutzmann. „Wir wer'n
Dir nachher schon zeigen, wat De „brauchst", alter
Freund!"
„Der 's schwer besoffen", sagte jetzt der andere
Schutzmann; „riecht uff zehn Schritt nach Spiritus.
Scheint schon 'ne Keilerei jehabt zu ha'm. Wie sicht
der Kerl aus!"
Das konnte nun v. Schnauzleben fataler Weise
nicht ganz in Abrede stellen: getrunken hatte er, da-
von war er selbst überzeugt.
„Wie heißen Sie?" fuhr der protokollircndc
Offiziant ihn an.
„v. Schnauzleben."
Der Offiziant horchte auf und fragte etwas sanfter:
„Was sind Sie?"
„Amtsrichter und Lieutenant der Reserve."
Bei dem „Amtsrichter" wollte der Schutzmann
noch auflachen, bei dem „Neservelicutenant" erblaßte
er plötzlich. So was macht Eindruck. Wenn es sich
wirklich so verhielt — dann war's schrecklich.
„Können Sie sich legitimiren?" fragte der Proto-
kollirende nahezu höflich.
Jetzt präsentirte Herr v. Schnauzleben seine Visiten-
karte und einige an ihn gerichtete Briefe.-
Den weiteren Verlauf der Sache kann man sich
denken. Die beiden Schutzleute flehten um Gnade,
die ihnen aber nicht zu Theil wurde. Und Herr
v. Schnauzleben? Er sagte sich, daß es ihm trotz
all seiner Unschuld schlimm genug hätte ergehen
können, wenn er in dieser Affäre sich selbst zum
Vision.
Rache!" —
Ein Schaudern packte mich, eng preßte ich um
meinen Leib den Mantel und schloß die Augen.
Richter gehabt hätte und womöglich gar ein Sozialdemokrat gewesen
wäre. Erst von jetzt ab bcurtheilte er die Aussagen von Polizeiüeamtcn
vorsichtiger, und daran sieht man wieder einmal, daß gewissen Agrariern
nur durch „große Mittel" zu helfen ist.
Nun wieder Nacht und Stille.
Und vor mir näher rückt, ganz nahe der bleiche Schein des Lichter-
meers der Stadt.
Mit großen Schritten schreit' ich vorwärts, vorwärts dem Herde zu.
Kunst und Gunst.
Mein Freund, was nützt dir Tverth und Geist?
Lr dient dir nur zum Tadel
Und schafft dir keinen guten Freund
Beim Mammon und beim Adel.
Mein Freund, wie lohnt dir deine Kunst?
Du bleibst ein armer Dichter,
weil Recht und Freiheit du besingst.
Anstatt die Kirchenlichter.
Mein Freund, wozu der heiße Kampf?
kein Meisterwerk wird nützen! —
Dir fehlen Freunde, fehlt die Gunst
Bei den Gesellschastsstützen.
Robert Seidel, Zürich.
Vision.
Weit und öde dehnt vor meinem Blick die Land-
straße sich hin. Erbarmungslos durchpeitscht der Wind
die grauen Baumskelette, die an beiden Seiten ragen;
wenige braune Blätter, die der Herbst vergessen, und
die weit kahler noch die leeren Aeste scheinen lassen,
wirbelt er vor meinen Füßen, treibt sie mit seinem
cis'gen Haupte über die erstarrten Felder.
Des Tages trübes Grau, es wandelt jetzt sich in
die graue Finsterniß der Nacht.
Sie wallt um mich, um alles rings deckt sich
ihr dichter Flor. Sie duldet keine Grenzen, nur ein
unendliches, unfaßbar düstres All.
Und wenn der Wolkenschleier, der den Himmel
schwarz verhüllt, sich wo zcrtheilt, erscheint ein bleicher
Stern, deß Licht aus unbekannten Fernen kalt her-
niederglänzt.
Und weiter, weiter schreit' ich zu.
Allmälig breitet in der Ferne ein matter Schein
sich von der Erd' empor; wie ein ersterbender, ver-
lorner Seufzer irrt durch die lastende Stille ein Ton
verworren zu mir herüber, die Stadt verkündend, deren
Banne ich mich nähere.
Um eine schwere Wolke, schwärzer noch als rings
die Nacht, aus Dunst und Qualm geballt, zerfließt
der Schein.
Mein Auge aber haftet unverwandt an jenem
Streif, als wollt' alle Geheimnißtiefen cs durchdringen,
die dort sich bergen unter Lichterglanz und Nacht.
Und Formen nimmt plötzlich die Wolke an. Zwei
schwarze Flügel, es spannt sich aus, ein Kopf ballt sich,
ein Körper dann zusammen und jetzo grinst, die
gierigen Klauen gekrallt, mit herzlos kalter Gluth der
grünlich düstren Augen ein Vampyr auf die Stadt.
Aus ihr empor jedoch dampft purpurrothe Gluth,
aufbäumendcr Empörung Flammenwogen gleich.
Und einen Ton braust zu mir her der Sturm,
furchtbar gemischt aus Todesröcheln, Qualgestöhn, dem
Wuthschrci des gctretnen Sklaven, und eine Stimme
dröhnt mir in das Ohr:
„Sieh, deiner Brüder Blut, zum Himmel raucht's
empor, aus Tausenden und Abertausenden gepreßt in
Arbeitsqual, in Noth und Sklaverei. Vergeltung
heischend schreit es auf nach Rettung, schreit nach
alle die „Fälle" vor ihm auf, in denen er die Partei
„pflichttreuer" Beamten gegen „renitente" Zivilpersonen
genommen hatte. Und es muß gerechtigkeitshalber
gesagt werden, daß den gefesselten Amtsrichter außer
dem körperlichen Unbehagen noch sehr intensive Reue-
gefühle belästigten. Diese wechselten ab mit auf-
schäumenden Wuthgefühlen; aber er schwieg, den
beiden Kerlen stand ja ein furchtbares Erwachen
bevor. Er beschloß, sie einstweilen gewähren und ihre
Tugenden sich noch weiter entfalten zu lassen; er
wollte jedenfalls vorläufig nichts thun, um sie aus
ihrer Verblendung zu reißen. Er wollte doch ein-
mal sehen, wie weit das ging; er war neugierig ge-
worden, und in seine Neugier mischte sich wohl auch
ein Vorgeschmack befriedigten Rachegefühls.
Auf der Wache angekommen, sträubte sich der Ar-
restant durchaus nicht, näher zu treten; gleichwohl
erstellte ihm der wüstende Schutzmann, indem er ein
kräftiges „Rrinn!" hören ließ, eine so wirksame Nach-
hilfe, daß v. Schnauzleben sofort bis in die Mitte
des Zimmers vordrang.
„Sie sehen, daß ich mißhandelt werde", rief der
Gestoßene einem Offizianten zu, der schreibend an
einem Pult stand.
„Maul halten!" riefen die beiden Schutzleute wie
aus einem Munde, und zwei Fäuste fuchtelten gleich-
zeitig dicht vor der Nase des Richters.
„Sie haben zu schweigen, bis Sie gefragt werden",
schnauzte der Offiziant vom Pult her.
„Ich brauche mich aber doch nicht ohne Grund
stoßen zu lassen!" meinte v. Schnauzleben.
„Wenn De jetzt aber nich de Schnauze hältst,
denn hau ick Dir eene runter, dat De lang hinflicgst!"
schrie wieder der thatkräftige Schutzmann. „Wir wer'n
Dir nachher schon zeigen, wat De „brauchst", alter
Freund!"
„Der 's schwer besoffen", sagte jetzt der andere
Schutzmann; „riecht uff zehn Schritt nach Spiritus.
Scheint schon 'ne Keilerei jehabt zu ha'm. Wie sicht
der Kerl aus!"
Das konnte nun v. Schnauzleben fataler Weise
nicht ganz in Abrede stellen: getrunken hatte er, da-
von war er selbst überzeugt.
„Wie heißen Sie?" fuhr der protokollircndc
Offiziant ihn an.
„v. Schnauzleben."
Der Offiziant horchte auf und fragte etwas sanfter:
„Was sind Sie?"
„Amtsrichter und Lieutenant der Reserve."
Bei dem „Amtsrichter" wollte der Schutzmann
noch auflachen, bei dem „Neservelicutenant" erblaßte
er plötzlich. So was macht Eindruck. Wenn es sich
wirklich so verhielt — dann war's schrecklich.
„Können Sie sich legitimiren?" fragte der Proto-
kollirende nahezu höflich.
Jetzt präsentirte Herr v. Schnauzleben seine Visiten-
karte und einige an ihn gerichtete Briefe.-
Den weiteren Verlauf der Sache kann man sich
denken. Die beiden Schutzleute flehten um Gnade,
die ihnen aber nicht zu Theil wurde. Und Herr
v. Schnauzleben? Er sagte sich, daß es ihm trotz
all seiner Unschuld schlimm genug hätte ergehen
können, wenn er in dieser Affäre sich selbst zum
Vision.
Rache!" —
Ein Schaudern packte mich, eng preßte ich um
meinen Leib den Mantel und schloß die Augen.
Richter gehabt hätte und womöglich gar ein Sozialdemokrat gewesen
wäre. Erst von jetzt ab bcurtheilte er die Aussagen von Polizeiüeamtcn
vorsichtiger, und daran sieht man wieder einmal, daß gewissen Agrariern
nur durch „große Mittel" zu helfen ist.
Nun wieder Nacht und Stille.
Und vor mir näher rückt, ganz nahe der bleiche Schein des Lichter-
meers der Stadt.
Mit großen Schritten schreit' ich vorwärts, vorwärts dem Herde zu.