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Der wahre Jakob: illustrierte Zeitschrift für Satire, Humor und Unterhaltung — 14.1897

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https://doi.org/10.11588/diglit.6610#0178

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2520

Machten auch die Wirthe und Brauer saure
Gesichter zu dieser Art Preisregulirung, so war
das „Volk" von Maiuz, insbesondere die „Rhein-
kadetten" nebst Anhang, den „tapferen Bayern"
um so dankbarer und diese selbst waren nicht
wenig stolz auf ihre „Heldeuthat". Es fiel keinem
von ihnen ein, ihre That für eine Brutalität
zu halten. Man war „im Krieg", da muhte
zugchauen werden, und da keine Preußen da
waren, so zerschlug man Bierglüser, Fenster,
Tische und Stühle.
Am andern Tage schossen die Preußen von
Biebrich aus auf eines der entlegenercn Vor-
werke von Mainz, wurden aber durch das
Feuer der schweren bayerischen Geschütze bald
aus ihrer Stellung vertrieben. Drüben fing
es auch an zu brennen, es soll eine Glasfabrik
gewesen sein. Das war ein Schauspiel für die
„Mecnzer"! Auf der Schiffbrücke standen Hun-
derte von Menschen, die sich über die Kanonade
amüsirten wie über eine Zirkusvorstellung, und
in den Wirthshäusern wurde dazu getrunken,
oder besser — gesoffen; es war wirtlich der reinste
Karneval!
Ein Glück, daß es nicht zum wirklichen
blutigen Ernst kam. Die Mainzer würden dann
wohl ähnliche Gesichter gemacht haben, wie die
Straßburger, als 1870 ihre Stadt durch die
berühmten „astronomischen Instrumente" „obser-
virt" wurde.
Es war ein Leben in dem alten Mainz wie
in „Wallensteins Lager"; nur war kein Kapu-
ziner da, wir haben wenigstens keinen gesehen.
Nach vier Tagen hieß es, der Verkehrsei wieder
vollständig frei, man könne nach allen Rich-
tungen ungehindert passiven. Es waren noch
allerlei dunkle Gerüchte über unglückliche Ge-
fechte am Main eingetroffen, die jedoch kein
Mensch glaubte. Man war im Gegentheil
felsenfest überzeugt, daß die Preußen an der
Mainlinie seitens der Bundesarmee ohne Senf
und Sauerkraut aufgefressen werden würden.
Mir war die Bummelei in Mainz allmälig
doch langweilig geworden. Arbeit im Hand-
werk gab's nicht, schanzen wollte ich nicht, das
Geld wurde auch weniger, und so trollte ich
denn am Morgen des fünften Tages in der
Richtung nach Worms zum Thor hinaus. Mein
Reisekollege, mit dem ich von Köln bis Mainz
zusammen gewesen, hatte sich schon am zweiten
Tage von mir getrennt und war an den mütter-
lichen Herd in Weisenau geflüchtet. Ich tippelte
also allein dahin. Trotz der herrlichen Gegend
bewegten mich allerhand sonderbare Gedanken.
Von jeher war ich ein „politisches Thier" ge-
wesen. Als halbwüchsiger Bursche hatte ich das
Verschwinden der fünfziger Reaktiousperiode,das
Wiederauftaucheu der Turnvereine, die großen
nationalen Sänger- und Schützenfeste vom An-
fang der sechziger Jahre u. s. w. erlebt und ich
war deshalb, trotz des noch nicht ganz erloschenen
weibblauen Partikularismus, der mir au der
Ruhr eine so vollwichtige Tracht westfälischer
Prügel eingetragen hatte, doch so sehr von
deutschnationalen Ideen belebt, daß mir förm-
lich das Herz blutete, wenn ich daran dachte,
wie jetzt ganz in der Nähe meiner Heimath
Deutsche auf Deutsche schossen, wobei man nicht
einmal wußte, wie weit bei den Kommandeuren
einiger kleinstaatlicher Kontingente der Ernst
ging, d. h. wie viel Leute ganz pro uibilo ge-
opfert wurden. Es war ein gehöriger Welt-
schmerz, den ich da auf der Landstraße mit mir
Herumtrug. Die „Großen" dieser Welt, welche
da meinen, daß unsereiner blos für sie da sei,
haben vermnthlich keine Ahnung, daß auch der
Handwerksbursche solche Gefühle hegen kann.
Die verschiedenen Dörfer und Städtchen am
Rhein, in denen der Wein nicht blos auf den

Bergen, sondern theilweise auch im Keller wächst,
die diversen „Heime", wie Laubenheim, Oppen-
heim re. zogen au mir vorüber wie im Traum,
nur war ich mir nicht bewußt, ob ich wachend
träumte oder ob die wundervollen Landschaften
träumten, verzaubert waren. Worms war bald
erreicht. Ich versäumte nicht, mir diese alt-
ehrwürdige Stadt, die von ihrer früheren Be-
deutung, seitdem sie von Melac abgebrannt
worden, so unendlich viel verloren hat, recht
genau zu besehen. Der in romanischem Stil
erbaute Dom iuteressirte mich weniger als die
alte Judeusynngoge, das älteste Bauwerk dieser
Art in Deutschland.
Nachdem ich in einem netten Dörfchen jen-
seits Worms übernachtet hatte, wanderte ich,
immer noch ohne Reisegesellschaft, fürbaß in
die Pfalz hinein. In Frankenthal und Oggers-
heim interessirte es mich, noch die Spuren der
ersten französischen Republik, die Inschriften an
den Thoren rc. anzutreffen; noch viel mehr aber
freute ich mich über die Vermächtnisse Napo-
leons, über die herrlichen Chausseen, die er an-
gelegt und die heute noch eine Zierde der Pfalz
sind. Mögen es auch vielleicht lediglich mili-
tärische, strategische Gründe gewesen sein, die
den gewaltigen Korsenzur Anlage dieserStraßen-
bauten veranlaßten, — immerhin sind sie da,
großartige Kulturwerke, die der heutigen Ge-
neration und ferneren Geschlechtern zu Gute
kommen.
Ludwigshafen, heute die bedeutendste In-
dustriestadt der Pfalz, war damals noch ein
herzlich unbedeutendes Nest und ich hielt es da-
her auch nicht der Mühe werth, mich darin
aufzuhalteu, sondern marschirte ohne Aufenthalt
hindurch, zahlte auf der Schiffbrücke den ab-
geforderten Zoll nicht — selbstredend unter der
Motivirung, die dem Handwerksburschen selbst
ein bärbeißiger badischer Rheinzölluer nicht
übel nehmen kann: daß ich kein Geld habe — und
rückte durch den Hofgnrten, von dem man jetzt
ein Stück abgeschnitten und zu Gunsten der
Bourgeoisie dem allgemeinen Verkehr entzogen
hat, in Mannheim ein.
Arbeit gab's auch in Mannheim nicht, der
Kriegstrubel hatte Alles lahm gelegt. Wundern
mußte ich mich nur, woher trotz der intensivsten
Geschäftsstockung die Leute das Geld nahmen,
um den ganzen lieben langen Tag im Wirths-
hans sitzen zu können. Die Mannheimer sind
bekanntlich nicht minder lebhaften Temperaments
wie die Mainzer; man behauptet sogar, sie ge-
hörten wie die bayerischen Pfälzer zu dem Ge-
schlecht der „Krischer". Das will ich ihnen
aber nicht zur Last legen, denn ich hab's auch
blos erzählen hören. Also, Leben und Bewegung
gab's genug in „Mannem", aber keine Arbeit.
Die Herbergen lagen voll reisender Handwerks-
burschen, von denen die meisten „arme Reisende"
in des Wortes vollster Bedeutung waren. Da
mir's im „Halben Mond", wo ich logirte, ohne-
hin nicht recht gefallen wollte, so hielt ich mich
nicht länger als anderthalb Tage in der alten
Residenz der kurpfälzischen Selbstherrscher auf,
ich lenkte meine Schritte gen Heidelberg.
Auch einen Reisegefährten hatte ich gefun-
den, noch dazu einen Landsmann, der irgend-
wo an der österreichischen Grenze in einem ob-
skuren oberpfälzischen Nest zu Hause wär. Seines
Zeichens war er ein Seiler, ein ziemlich be-
reister Bursche und dabei ein guter Kerl, wie
man sich ihn als Reisekameraden nur wünschen
kann. Mit meinem Geld ging es bedenklich zur
Neige, und um nicht gänzlich „blank" zu wer-
den, fochten wir nebenbei ein Bischen, um eine
kleine Zubuße zu haben. Einige Wochen später
mußte freilich dies Geschäft schon viel nach-
drücklicher besorgt werden, da hieß es „fechten,
daß der Stock schwitzte."

Es war Ende Juli und ein prächtiger
Sommertag, fast ein wenig zu heiß. Wir hatten
bei einer freundlichen Bauersfrau tüchtig zu
Mittag gegessen und lenkten nun unfern Weg
von der Chaussee ab, um den Neckar entlang
zu laufen. Da fiel mir ein, daß es meiner
„Leibwäsche" — zwei Hemden, eins im Ber-
liner, eins ans dem Leibe — auch nichts schaden
könnte, wenn sie mit den Gewässern des Neckars
einigermaßen Bekanntschaft machen würde. Mein
Kollege hatte nichts dagegen, der seinigen die-
selbe Rechtswohlthat zu Theil werden zu lassen
und so machten wir kurzen Prozeß, setzten uns
hinter einen Weidenbusch und wuschen sein
säuberlich unsere Hemden, hingen sie an unseren
Walzknüppeln zum Trocknen auf und lauerten
dann, nachdem mir selbst ein Bad genommen,
im Kostüm unseres angeblichen Stammvaters
Adam, bis die Wäsche trocken war. Gerollt,
gestärkt und gebügelt wurde sie nicht. Es that
Einem aber doch recht wohl, wieder einmal mit
frischem „Weißzeug" ausgestattet zu sein. Wäh-
rend wir im Sand lagen, um den Trocken-
prozeß abzuwarten, ging oben auf der Chaussee
ein badischer Gendarm, die damals noch die
großen Federhüte trugen, vorüber. Wir hatten
doch einige Angst, daß er uns sehen möchte,
denn es wäre uns nicht ganz einerlei gewesen,
in dieser Toilette „gesteppt" zu werden. Er
ging aber glücklich vorbei, ohne uns zu bemer-
ken. Recht merkwürdig kam uns ein in Zwischen-
pausen erfolgendes, aus nordöstlicher Richtung
kommendes Getöse vor, welches sich wie ganz
ferner Donner anhörte. Und doch hatte es, so-
weit man bei der unzweifelhaft sehr großen
Entfernung wahrnehmen konnte, so verteufelte
Aehnlichkeit mit einer Kanonade. In der Nacht
des andern Tages sollten wir's in Heidelberg
erfahren, was es war. Wir kamen dort etwas
spät an und nahmen daher am folgenden Tage
Veranlassung, die Stadt und das alte Schloß
mit dem großen Faß zu besichtigen, unsere
Namen auf einer Mauerkante zu verewigen
und dann unter gemüthlichem Umherschweifen die
übrigen Herrlichkeiten der Umgegend zu ge-
nießen. Zum „Schwan" hieß, glaube ich, das
Wirthshaus, in dem wir uns einlogirt hatten,
doch will ich's nicht beschwören, es kann auch
ein anderer Vogel gewesen sein. Wir legten
uns an diesem zweiten Abend, ziemlich müde
und um nicht zu viel verzehren zu müssen,
auch zeitig zu Bette. Nach etwa einer Stunde
brach meine Bettlade auf der einen Seite durch,
was mich aber nicht abhielt, ruhig liegen zu
bleiben und mich „nach der Decke zu strecken".
Die Ruhe dauerte aber nicht lange; nach einer
Weile hörten wir einen furchtbaren Tumult auf
der Straße, das Laufen vieler Menschen, dann
das Geräusch einer militärischen Marschkolonne
und — Rrrum bidibum, rrrnm bidibum —!
Aha, diesen Trommelschlag kannte ich, das waren
Preußen. Richtig, aus der Richtung von Taubcr-
bischofsheim her, wo am Nachmittag des vorigen
Tages die Schwaben von den Preußen „Haue"
gekriegt hatten, war eine preußische Kolonne
angerückt gekommen. Sie brachten einige Wagen
verwundeter Württemberger mit und verlangten
natürlich Quartier für sich und ihre gefangenen
Patienten. Unter diesen Umständen wurde mit
den Herren Haudwerksburschen kurzer Prozeß
gemacht: wir wurden aus den Betten gejagt,
in welche sich flugs die Preußen legten. Ich
machte den Rest der Nacht „Bankarbeit" im
Gastzimmer, zahlte am andern Morgen natür-
lich auch die sonst üblichen sechs Kreuzer für
das Quartier nicht und freute mich wie ein
Schneekönig darüber, daß der Preuße, welcher
in mein durchgebrochencs Bette zu liegen kam,
wenigstens krumme und lahme Knochen davon
bekommen werde.

Verantwortlich für die Redaktion Georg Baßler in Stuttgart. — Druck und Verlag von I. H. W. Dietz Nachf. (G. m. b. H.) in Stuttgart.
 
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