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Der wahre Jakob: illustrierte Zeitschrift für Satire, Humor und Unterhaltung — 14.1897

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https://doi.org/10.11588/diglit.6610#0187

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2529

sonders des „Vooruit", einer der schönsten
Unternehmungen der belgischen Arbeiterpartei.
Seit 1894 ist er, der Vläme, Abgeordneter
für Lüttich, ein rein wallonisches Arron-
dissement, und ist dort sehr beliebt. Er hat
eben, wie wir schon sagten, das richtige Tem-
perament eines Volkstribunen, hinreißend,
stürmisch — darin ganz verschieden von Denis
und Bertrand.
Schon öfter haben unsere Gegner versucht,
ihn kampfunfähig zu machen. Aber weder ihr
Feldzug in der Kammer, noch ihr so berühmt
gewordener Kampf gegen die Genossenschaft
„Vooruit" mit den
archisten Pol De-
wit haben unseren
Freund erschüt-
tern oder die Ge-
nossenschaft
schwächen können,
wie wir später
sehen werden; im
Gegentheil, ich
glaube, daß er
uns eher genützt
hat.
Auch Anseele,
der mit Bertrand
gleichalterig ist,
denkt noch nicht
daran,denKampf-
platz zu verlassen,
wo er schon so
viele Siege er-.
rungen hat.
Emil Van-
dervelde. Ein
Sohn der bürger-
lichen Klasse —
sein Vater war
Beamter. Schon
in früher Jugend
zeigte er einen
außergewöhn-
lichen Verstand.
Seine Eltern lie-
ßen ihm eine Er-
ziehung geben, wie
sie nur wenige
Kinder und junge
Leute genießen.
Man muß aber
auch hinzüfügen,
daß an ihm keine
Unterrichtsstunde,
keineAnstrengung
der Eltern ver-
loren war.
Vandervelde
studirte in Brüssel

Professor zu ernennen, der sozialistische Lehren
verbreiten würde. Er ist augenblicklich Pro-
fessor an der Freien Brüsseler Universität, und
einer der thätigsten Mitarbeiter in der Volks-
Hochschulenbewegung.
Obwohl in den letzten Jahren durch die
Ansprüche der Propaganda stark von seinen
Studien abgelenkt, hat er doch schon bedeutende
wissenschaftliche Arbeiten geliefert: „Die Be-
rufsvereine der Arbeiter und Handwerker in
Belgien" war sein erstes größeres Werk. Bereits
früher hatte er an die Pariser Ausstellung
(1889) einen Bericht gesandt über „Wohlthätig-
keitsanstalten von Unternehmern in Belgien".
Von dem Wunsche
getrieben, seine
ökonomischen und
philosophischen
Kenntnisse durch
das Studium der
Naturwissen-
schaften zu ver-
tiefen, erwirbt er
sich nicht nur diese
neuen Kenntnisse,
sondern beeilt sich
auch sie anzuwen-
den, indem er mit
einem Doktor der
Medizin eine Ar-
beit herausgiebt
über „Organi-
schen und sozialen
Parasitismus",
dessen Inhalt ge-
nügend durch den
Titel bezeichnet
wird. Seine Mit-
arbeit an den
meistenZeitschrif-
ten mit sozialisti-
scher Tendenz ist
genügendbekannt,
so daß wir nicht
des Längeren da-
von zu sprechen
brauchen. Auch
eine Anzahl Bro-
schüren für die
Propaganda be-
sitzenwirvonihm.
1893 wurde er
zum Abgeordne-
ten für das Ar-
rondissement von
Charleroi ge-
wählt. Es ist un-

und widmete sich dem Advokatenstande. Aber
daS Interesse an sozialen Fragen führte ihn zu
wissenschaftlichen Untersuchungen, in denen er
sich bald an die Seite seiner Lehrer H. Denis,
G. de Greef und Cäsar de Paepe stellte. Da
er in liberalen Kreisen erzogen war, trat er
anfänglich in die Reihen dieser Partei, aber
das Studium der sozialen Frage und sein ehr-
liches und stolzes Temperament veranlaßten ihn,
sich der im Entstehen begriffenen sozialistischen
Partei anzuschließen. Sobald ein Arbeiter-
verein in seinem Bezirk im Jahre 1885 gegrün-
det wurde, ließ er sich als Mitglied ausnehmen.
Damals gab es nur wenigs Söhne der bürger-
lichen Klasse, die es wagten, sich Angehörige
der Arbeiterpartei zu nennen, denn das
war noch ganz etwas anderes, als Sozialist
zu heißen. Jedoch nahm Vandervelde zu jener
Zeit nur wenig an der Aktion theil, er war
ein Mann des Studiums, und mit der geradezu

Eduard Anseele, Leiter des „Vooruit" (Lüttich).

nöthig zu sagen,
daß er sich in
der Kammer vom

welcher Leichtigkeit er die verwickeltsten Situa-
tionen aufklärt, init welch glücklichem Geschick
er immer das Wort ergreift. Wo er sich auch
befinden mag, immer paßt er sich der Um-
gebung an, und es ist geradezu hochinteressant,
die gänzlich verschiedene Art zu bemerken,
in der er sich ausdrückt, je nachdem er sich
an einen Kreis geistig Gebildeter, oder an
einfache Handarbeiter wendet. Seine Redner-
gabe findet sich gleich gut in alle verschiede-
nen Arten der Redekunst; bald erscheint er
als der kalte, gemüßigte Dialektiker, bald hand-
habt er die Ironie mit beißender Schärfe, bald
ist er voll poetischen und künstlerischen Gefühls.
Er hat übrigens eine wahre Künstlerseele und
eine sehr reiche künstlerische Bildung.
1890 wurde er zum Doktor promvvirt und
wäre längst Professor geworden, wenn die Staats-
universität, auf welcher er sich den Doktorgrad
erwarb, nicht zu reaktionär wäre, um einen

ersten Tage an als einer der besten Red-
ner erwies, die unser Parlament noch gehört
hat, und daß unsere Gegner in ihm einen
Mann fanden, der bei jeder Gelegenheit und
in allen Fragen bereit ist, ihnen siegreich Rede
zu stehen.
Damit haben wir die Biographie der bel-
gischen Sozialisten gegeben, auf die zur Zeit
die öffentliche Aufmerksamkeit besonders ge-
richtet ist. Viele giebt es noch außer ihnen,
deren Thaten und Charakter wir zu preisen
hätten, und um so mehr, als sie seit langen
Jahren sich der stillen Arbeit der Organisation
gewidmet haben, ohne zu hoffen oder zu for-
dern, daß der Ruhm ihre Arbeit belohne. Eine
trockene Aufzählung der Namen wäre indessen
zwecklos, und ausführlichere Biographien wür-
den den uns zur Verfügung gestellten Raum
überschreiten.

erstaunlichen Aufnahmefähigkeit, die er besitzt,
mußte er es unbedingt zu etwas bringen. Er
ist auch ein unermüdlicher Arbeiter. Diese
beiden Eigenschaften machen ihn zu einem
Gelehrten ersten Ranges. Er zeichnet sich
durch einen streng logischen Geist, von großer
Klarheit und Schärfe aus. Er hat dieselbe
vielseitige Bildung wie H. Denis; wie dieser
steht auch er unter dem Einfluß der Natur-
wissenschaften, aber er besitzt einen viel prak-
tischeren Geist als jener, einen äußerst scharfen
Blick für die Bedürfnisse des Augenblicks. Alle,
die ihm in Versammlungen oder auf Kongressen
begegnet sind, haben beobachten können, mit
 
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