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Touristen gemacht wird, etwa per Bahn von
Offenburg aus über Triberg, wo man extra
Station macht, um Forellen zu essen, nach
Villingen, Immendingen, am Hohentwiel vor-
bei, nach Singen; oder im luftigen Sommer-
wagen die neueröffnete Höllenthalbnhn entlang.
Nein, das ging immer hübsch sachte auf Schusters
Rappen, oder, wie ein späterer Kollege von mir
sich so reizend ausdrückte: per IZesnss apostu-
lorurn, die Berge hinan. Meine Straßburger
Rheinkähne fingen bereits an, krumme Absätze
zu kriegen, woran ja allerdings die kugelförmige
Gestalt der Erde schuld sein soll, denn immer
tritt man die Absätze nach außen schief und
nicht nach innen, es sei denn, daß man untadel-
hafte X-Beine besitzt. Diese „Unebenheit des
Standpunktes" vergällte mir anch sehr wesent-
lich den Genuß der herrlichen Natur, die sich
um uns aufthat. Und als mir am Abend in
der Herberge zu Neustadt mitgethcilt wurde,
daß ein Meister in genanntem Städtchen einen
jungen Gesellen suche, da athmete ich hoch auf
und verabschiedete mich von meinem biederen
Reisegefährten, der „in die Villinken" weiter
trollte.
Aber meines Bleibens war in Neustadt
nicht lange. Die Bude, in der ich anfing, war
die eines richtigen Krauterers und der letztere
selbst ein Hypochonder ohne Gleichen. Dazu
kein ordentliches Stückchen Werkzeug, eine so
geringe Kost, daß ich mich fast nach den „ge-
fochtenen" Mahlzeiten zurücksehnte, und — was
das Schlimmste war — als Schlafkollegen einen
blödsinnigen Schwager des Meisters, welcher die
ganze Nacht hindurch die Schlafkammer mit
einem entsetzlichen Gebrüll erfüllte, oder, wie der
Meister auf allemannisch sich ausdrückte: „chai-
berte".
Vierzehn Tage blieb ich aber doch. Ich hätte
vielleicht trotz aller Unannehmlichkeiten noch
länger ausgehalten, wenn nicht der „Alte" ein
unerträglich streitsüchtiger Mensch gewesen wäre.
Eines Tages hatte ich, da keine Bohrmaschine
da war, auf einer kleinen Uhrmacherdrehbank
Löcher in eine Herdplatte zu bohren, wobei ich
Niemand zum Halten der senkrecht stehenden
Platte hatte und mit den Füßen tüchtig tram-
peln mußte, um den Karren in Bewegung zu
setzen. Dabei passirte mir das Malheur, daß
der Bohrer brach, worüber der Krauterer einen
solchen Lärm aufschlug, mich derart beschimpfte
und sogar die konfessionellen Gegensätze — er
war stockultramontan — mit ins Gefecht führte,
daß ich ihm den Bettelsack vor die Thüre warf.
Er zahlte mir meinen Lohn aus, wovon ich
nach Abzug des für ein Vierteljahr voraus-
zuzahlenden Spitalgelds noch zwei Gulden heraus-
bekam, und ich ging zum Nachbar Nagelschmied,
mir für zwei Kreuzer Schuhnägel zu kaufen. Mit
diesen ausgerüstet trat ich zum Abschied noch-
mal an meinen Schraubstock, nagelte meine Ab-
sätze gerade und sagte meinem Meister und der
Uhrenstadt Neustadt Valet.
Von da bis Donaueschingen, wo man be-
kanntlich die Donau mit dem Fuß aufhalten
kann, ist eine herrliche Gegend. Dazu war präch-
tiges Wetter. In Donaueschingen schlossen sich
zwei Bremer Zigarrenmacher — Piependreher
nannten sich die kreuzfidelen Jungens — an
mich an und so wanderten wir denn wohl-
gemuth durch den Rest des Schwarzwalds, dem
Seekreis zu, besuchten das alte, freundliche
Ueberlingen, die Inseln Mainau und Reichenau
und langten in bester Laune — hatte doch in
Reichenau jeder binnen einer Stunde sechsund-
zwanzig Kreuzer erfochten — eines schönen
Abends in Konstanz an.
Der nächste Morgen sollte uns in die „freie"
Schweiz bringen. Von all den vielen Hand-
werksburschen, die auf der Herberge lagen und
die fast alle das Verbot, die Schweiz zu be-
treten, im Wanderbuch hatten, kehrte sich auch
nicht einer daran. Die Kerle hatten nicht den
mindesten Respekt vor der durch den Stempel
im Buch ausgedrückten staatlichen „Autorität",
trotzdem, wie ich mir zu wetten getrauen würde,
keiner unter ihnen war, der etwa gewußt Hütte,
was Sozialdemokrat heißt.
Nachdem wir am andern Morgen den Hussen-
stein gesehen, das Gebäude, in welchem das
berüchtigte Konzilium gehalten worden, von
außen betrachtet und das Herz an dem un-
sagbar schönen Anblick, den der Bodensee
hier bietet, gelabt hatten, traten wir, drei Mann
hoch, den Gang zum schweizerischen Grenzpfahl
an. Dicht vor Kreuzlingen (Chrützlinge) stand
der Grenzjägerposten. Der erste von uns, welcher
„antrat", um sein Reisegeld vorzuzeigen, war
ein Schweizer, ein Meisterssohn aus Wahlen,
der aus Hamburg kam. Diesem Sohne der
Eidgenossenschaft konnte, obwohl seine Baar-
schaft keinen Franken betrug, der Eintritt nicht
verwehrt werden. Der zweite, ein Kupferschmied
aus Szegedin in Ungarn, hatte drei österreichische
Silbergulden, zu jener Zeit eine wahre Rarität,
in einer Schweinsblase verwahrt und galt deshalb
für vollwichtig. Meine „Baarmittel" dagegen
bestanden noch aus vier badischen Kupferkreuzern,
die der gestrenge Grenzwachmann als absolut
unzureichend erklärte für eine Schweizerreise.
Dies schien mir nun allerdings gar nicht so
ganz unrichtig zu sein, aber hinein wollte ich
doch und so suchte ich ihm einzureden, daß ich
lediglich die Absicht hätte, ein wenig am See
entlang zu wandern und in der Richtung nach
Bregenz oder Lindau zu das Schweizergcbiet
wieder zu verlassen. Ich fand zwar damit
keinen Glauben, denn der uniformirte Examinator
meinte: „Wenn d'r erseht drinne siget, ganget 'r
nimme uffe," aber passircn ließ er mich schließ-
lich doch, weil ich „so a jnngs Bluet" war, wie
er sagte. Und so war ich denn in der Schweiz
und konnte darin mein „Glück probiren".
Touristen gemacht wird, etwa per Bahn von
Offenburg aus über Triberg, wo man extra
Station macht, um Forellen zu essen, nach
Villingen, Immendingen, am Hohentwiel vor-
bei, nach Singen; oder im luftigen Sommer-
wagen die neueröffnete Höllenthalbnhn entlang.
Nein, das ging immer hübsch sachte auf Schusters
Rappen, oder, wie ein späterer Kollege von mir
sich so reizend ausdrückte: per IZesnss apostu-
lorurn, die Berge hinan. Meine Straßburger
Rheinkähne fingen bereits an, krumme Absätze
zu kriegen, woran ja allerdings die kugelförmige
Gestalt der Erde schuld sein soll, denn immer
tritt man die Absätze nach außen schief und
nicht nach innen, es sei denn, daß man untadel-
hafte X-Beine besitzt. Diese „Unebenheit des
Standpunktes" vergällte mir anch sehr wesent-
lich den Genuß der herrlichen Natur, die sich
um uns aufthat. Und als mir am Abend in
der Herberge zu Neustadt mitgethcilt wurde,
daß ein Meister in genanntem Städtchen einen
jungen Gesellen suche, da athmete ich hoch auf
und verabschiedete mich von meinem biederen
Reisegefährten, der „in die Villinken" weiter
trollte.
Aber meines Bleibens war in Neustadt
nicht lange. Die Bude, in der ich anfing, war
die eines richtigen Krauterers und der letztere
selbst ein Hypochonder ohne Gleichen. Dazu
kein ordentliches Stückchen Werkzeug, eine so
geringe Kost, daß ich mich fast nach den „ge-
fochtenen" Mahlzeiten zurücksehnte, und — was
das Schlimmste war — als Schlafkollegen einen
blödsinnigen Schwager des Meisters, welcher die
ganze Nacht hindurch die Schlafkammer mit
einem entsetzlichen Gebrüll erfüllte, oder, wie der
Meister auf allemannisch sich ausdrückte: „chai-
berte".
Vierzehn Tage blieb ich aber doch. Ich hätte
vielleicht trotz aller Unannehmlichkeiten noch
länger ausgehalten, wenn nicht der „Alte" ein
unerträglich streitsüchtiger Mensch gewesen wäre.
Eines Tages hatte ich, da keine Bohrmaschine
da war, auf einer kleinen Uhrmacherdrehbank
Löcher in eine Herdplatte zu bohren, wobei ich
Niemand zum Halten der senkrecht stehenden
Platte hatte und mit den Füßen tüchtig tram-
peln mußte, um den Karren in Bewegung zu
setzen. Dabei passirte mir das Malheur, daß
der Bohrer brach, worüber der Krauterer einen
solchen Lärm aufschlug, mich derart beschimpfte
und sogar die konfessionellen Gegensätze — er
war stockultramontan — mit ins Gefecht führte,
daß ich ihm den Bettelsack vor die Thüre warf.
Er zahlte mir meinen Lohn aus, wovon ich
nach Abzug des für ein Vierteljahr voraus-
zuzahlenden Spitalgelds noch zwei Gulden heraus-
bekam, und ich ging zum Nachbar Nagelschmied,
mir für zwei Kreuzer Schuhnägel zu kaufen. Mit
diesen ausgerüstet trat ich zum Abschied noch-
mal an meinen Schraubstock, nagelte meine Ab-
sätze gerade und sagte meinem Meister und der
Uhrenstadt Neustadt Valet.
Von da bis Donaueschingen, wo man be-
kanntlich die Donau mit dem Fuß aufhalten
kann, ist eine herrliche Gegend. Dazu war präch-
tiges Wetter. In Donaueschingen schlossen sich
zwei Bremer Zigarrenmacher — Piependreher
nannten sich die kreuzfidelen Jungens — an
mich an und so wanderten wir denn wohl-
gemuth durch den Rest des Schwarzwalds, dem
Seekreis zu, besuchten das alte, freundliche
Ueberlingen, die Inseln Mainau und Reichenau
und langten in bester Laune — hatte doch in
Reichenau jeder binnen einer Stunde sechsund-
zwanzig Kreuzer erfochten — eines schönen
Abends in Konstanz an.
Der nächste Morgen sollte uns in die „freie"
Schweiz bringen. Von all den vielen Hand-
werksburschen, die auf der Herberge lagen und
die fast alle das Verbot, die Schweiz zu be-
treten, im Wanderbuch hatten, kehrte sich auch
nicht einer daran. Die Kerle hatten nicht den
mindesten Respekt vor der durch den Stempel
im Buch ausgedrückten staatlichen „Autorität",
trotzdem, wie ich mir zu wetten getrauen würde,
keiner unter ihnen war, der etwa gewußt Hütte,
was Sozialdemokrat heißt.
Nachdem wir am andern Morgen den Hussen-
stein gesehen, das Gebäude, in welchem das
berüchtigte Konzilium gehalten worden, von
außen betrachtet und das Herz an dem un-
sagbar schönen Anblick, den der Bodensee
hier bietet, gelabt hatten, traten wir, drei Mann
hoch, den Gang zum schweizerischen Grenzpfahl
an. Dicht vor Kreuzlingen (Chrützlinge) stand
der Grenzjägerposten. Der erste von uns, welcher
„antrat", um sein Reisegeld vorzuzeigen, war
ein Schweizer, ein Meisterssohn aus Wahlen,
der aus Hamburg kam. Diesem Sohne der
Eidgenossenschaft konnte, obwohl seine Baar-
schaft keinen Franken betrug, der Eintritt nicht
verwehrt werden. Der zweite, ein Kupferschmied
aus Szegedin in Ungarn, hatte drei österreichische
Silbergulden, zu jener Zeit eine wahre Rarität,
in einer Schweinsblase verwahrt und galt deshalb
für vollwichtig. Meine „Baarmittel" dagegen
bestanden noch aus vier badischen Kupferkreuzern,
die der gestrenge Grenzwachmann als absolut
unzureichend erklärte für eine Schweizerreise.
Dies schien mir nun allerdings gar nicht so
ganz unrichtig zu sein, aber hinein wollte ich
doch und so suchte ich ihm einzureden, daß ich
lediglich die Absicht hätte, ein wenig am See
entlang zu wandern und in der Richtung nach
Bregenz oder Lindau zu das Schweizergcbiet
wieder zu verlassen. Ich fand zwar damit
keinen Glauben, denn der uniformirte Examinator
meinte: „Wenn d'r erseht drinne siget, ganget 'r
nimme uffe," aber passircn ließ er mich schließ-
lich doch, weil ich „so a jnngs Bluet" war, wie
er sagte. Und so war ich denn in der Schweiz
und konnte darin mein „Glück probiren".