Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Der wahre Jakob: illustrierte Zeitschrift für Satire, Humor und Unterhaltung — 14.1897

DOI Seite / Zitierlink:
https://doi.org/10.11588/diglit.6610#0222

DWork-Logo
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Als Erster, eine Kerze in der Hand, betritt Herr Klotz den Saal.


Ecken und schmalem Giebel: auf dein Dache
drehte sich heiser krächzend ein rostiger Wetter-
hahn. Die kleinen Scheiben waren dicht verhängt,
nur ein schmaler Lichtstreifen blinzelte durch die
Gardinen. Aus massigem Eichenholz war die
Thür gefügt; mit Eisen war sic beschlagen und
festverschlossen. Keine Klingel, kein Thürklopfer!
Hastig, derb pochte der Staatsanwalt, nichts
regte sich, der schmale Lichtstreif nur verglomm,
düstere Stille brütete über dem Hause. „Oeffnet,
im Namen des Gesetzes!" Keine Antwort, kein
Laut. Der Schlosser aus der Nachbarschaft wird
geweckt und kommt schlaftrunken, um zu öffnen.
Die Thür giebt nach, springt auf, Klotz,
Rauscher, die Polizisten dringen ein. Vor ihnen
eine Thür, ein Fußtritt, sie fliegt auf. Als Erster,
eine Kerze in der Hand, betritt Herr Klotz den
Saal. Ein festlich gedeckter Tisch, Champagner-
kühler, Früchte in silbernen Schalen, Sektgläscr,
halb geleert, ein Dutzend Gäste, elegante Herren
und dekolletirte Damen, ängstlich sich zusammen-
drängend, und dann — bläst der Staatsanwalt
rasch, zu Tode erschrocken, die Kerze aus, flüstert
dem Kommissar ein Wort zu. Und der geht
hinaus, mit ihm die Polizisten. Tödtliche Stille;
eine kleine Pause, und der Staatsanwalt geht
auch hinaus.
Draußen ist die Postenkette verschwunden, kein
Späher, kein Wachmann mehr da. Die kühle
Nachtluft lindert die innere Hitze, die bis zur
Stirue glüht. Der Staatsanwalt geht Heini und
sitzt bis zum Morgengrauen vor deni Schreib-
tisch. Er zerschneidet die Notizen, die er sich so
sorgfältig ausgezeichnet hat, uud wirft sie ins
Ofcnfeuer.
Derweil beriethcn die Umstürzler am anderen
Ende der Stadt ungestört über die Wahlagitation;
den Vorsitz führte ein junger, schlanker Bursch
mit schwarzem Schnurrbart und blauen Augen.
Wenn böse Zungen später allerlei Gerüchte
kolportirten, als ob der Staatsanwalt statt eines

Verschwörernestes ein Stelldichein vornehmer Lebe-
männer und leichtlebiger Weltdamen aufgehoben
Hütte, hochgestellter Herren und aristokratischer
Frauen, so ist das wieder ein Beweis für die
Schlechtigkeit der Welt und die Verleumdungs-
sucht der Leute.
Aus dem Notizbuch eines Betrachtenden.
Nicht was der Einzelne denkt und was er für
sich denkt, hat bleibenden Werth, sondern das,
was er aus der Zeit denkt uud was er für die
Zeit denkt. Und erst von hier an beginnt die
Individualität ein Recht zu besitzen: denn eine
„Individualität an sich" giebt es nicht.
Der Feige und Schwache ist es, welcher am
meisten seine eigene Persönlichkeit verleugnet: er
zeigt, daß er keine eigene Kraft besitzt, sondern
daß er fremder Kraft bedarf, um zur Geltung
zu kommen.
Der Gottesbegriff ist der Begriff der Selbst-
herrlichkeit nach außen getragen und zu einer
Weltanschauung gemacht.
List und Verstellung sind die Waffen des
Schwächeren im Kampfe nut dem Starken. Der
Starke bedarf der List nicht — ihm genügt seine
offene Kraft. Aber der Schwache gesteht erst durch
die List, wie schwach er ist.
*
Es zeugt von ganz verkehrtem Denken, wenn
man behauptet, die ganzen kulturellen, sozialen,
wissenschaftlichen und ethischen Bemühungen der
Menschen seien nur dazu da, um einigen voll-
kommeneren und prächtigeren Individuen zu
dienen. Das ist die spekulative Philosophie der
Züchter, die daran gehen, ihre Rasse zu veredeln.
Das ist die Philosophie untcrgehender Individuen,
die zu ihrer Existenzberechtigung die Gesammt-
anstrengung einer ganzen Generation nöthig haben.

Und je mehr sie dieser bedürfen, desto mehr sind
sie für den Untergang reif.
Wenn plötzlich alle Schuld auf Erden auf-
hören würde, schnell wäre ein Konzil bei der
Hand, um neue Schuld zu fabriziren.
*
Der Geist, der schafft, und der Geist, der zer-
stört, sie gehen immer Hand in Hand. Denn
nur dort, wo Ruinen standen, können unsere
neuen Häuser emporsteigen. Und der Baumeister,
der da bauen wird, wird derselbe sein, der den
Schutt der Ruinen weggeschafft hat.
Gesprengte Kerker sind immer ein unan-
genehmer Anblick für — Gefangeucnivärter.
Ein Werk vollenden und an seinem Werke zu
Grunde gehen: das ist die Tragödie der wahren
Größe. §
Es giebt nur einen Verrath, der vor Allem
verächtlich ist: gegen die Uebcrzeugungcn seines
ganzen Lebens handeln. Und gerade diesen nennt
die Welt meist: Bekehrung.
Gerade in den Zeiten des Kampfes ist der
Glaube am höchsten. Der Glaube an das Licht,
der Glaube an die Zukunft, der Glaube an den
Sieg. 2
Das Symbol der Despotie ist die Furcht: zu
allen Zeiten haben die bösartigsten Tyrannen-
gelüste in ihr die letzte Ursache gehabt.
Warum scheut man sich so sehr vor der
Vernichtung alter und unbrauchbar gewordener
Ideale? Weil man einst so viel Liebe darauf
verwendet hat, sic zu erwerben. Und daraus folgt:
erst dann wird man ernstlich an ihre Bekämpfung
gehen, wenn man sie tief und ernstlich hassen
gelernt hat.
 
Annotationen