Die Sozialöemokratie im Camburger ödafen.
„Triumpyzug? Will der von alten heidnischen
Zeiten erzählen, wo der Sieger die Bente und
die Besiegten dem Volk zeigte, nm die Lust am
Krieg wieder frisch anzufachen?
Gemach — von einem fürstlichen Triumph-
zug will ich euch nicht erzählen, wohl aber von
einem Trinmphzug des Volks. Und ein Triumph-
zug des Volks kann nicht dem blutigen Moloch
des Kriegs gelten.
Das deutsche Parlament der Arbeit
tagte Heuer in Hamburg — in der Weltstadt
Hamburg, wo das Auge ausschaut in das weite
Weltmeer, wo die Straßen ansgehcn in die ganze
Welt und ausmünden aus der ganzen Welt. In
der Weltstadt Hamburg — denn jede Hafen-
stadt ist eine Weltstadt und Haneburg steht als
Hafenstadt nur hinter London und New Kork.
Und in der Arbeitsstadt Hamburg, in der
deutschen Hochburg des klasscnbewußtcn Prole-
tariats — der Sozialdemokratie.
Die Arbeiter Hamburgs luden uns — das
Arbciterparlament — ein zu einer Hafenfahrt
auf Donnerstag punkt zwei Uhr. Und Donners-
tag punkt zwei Uhr waren wir an Bord der
„Union", unter der stolz wehenden rothen Fahne,
und die Hafenfahrt begann — durch die endlosen
Häfen, zwischen endlosen Reihen von Schiffen aus
allen Ländern der Welt.
Staunend betrachten die Landratten das un-
gewohnte Schauspiel.-
Was ist das? Was braust durch die Luft?
Was regt sich ringsum? Auf den Schiffen ist's
lebendig geworden. Die Matrosen sind auf die
Raaen gestiegen und schwenken die Mützen! Die
Arbeiter an den Schiffswänden, an Bord der
Schiffe, an den Krahnen, in den hin- und her-
eilenden Ewern und Schuten — alles jubelt und
grüßt, schwenkt die Hüte und Mützen. Und auf
den Schiffen sind die Wimpel gehißt — aber
nicht die ordonanzmäßigen Paradewimpel, son-
dern Taschentücher und Zeugstücke in allen Farben.
Es war ein wunderbarer Anblick. Ich habe in
England große Flotienparaden gesehen — Aehn-
liches habe ich nie gesehen und werde ich nicht
sehen,-
Da stehen sie — flammende Begeisterung im
Blick, im Ruf, im Antlitz, in jeder Bewegung,
in rührend innigem Vertrauen auf die Männer
schauend — meist einfache Arbeiter wie sie selbst —
die Männer, denen das deutsche Proletariat seine
Vertretung, die Führung des Kampfes und die
Ehre des Vorkampfes — bei uns giebt es keine
Befehlshaber hinter der Front — anvertraut hat.
Da stehen sie, und während ich sie betrachte, ver-
wandelt sich mir plötzlich das Bild. Es sind die-
selben Männer — aber nicht freudig erregt, nicht
ihres Geistes höchsten Gedanken, ihres Herzens
heißestes Gefühl in brausendem Jnbelgruß zum
Ausdruck bringend. Ein anderes Bild. Männer
in zornigem Trotz die Lippen zusamniengcpreßt,
entschlossen, für ihre doch so bescheidenen Forde-
rungen zu ringen gegen das Nimmersatte Kapital,
das ihnen das letzte Mark anspressen will aus
den Knochen, das sic bedrohen will, weil sie sich
erkühnt haben, von dem kargen Recht Gebrauch
zu machen, welches das Reich der Reichen ihnen
gnädig gewährt hat.
Mächtige Versammlungen von Tausenden von
Männern — immer dieselben Gesichter wie oben—,
sie sollen den Nacken beugen unter das dräuend
hingehaltene Joch, zurückkehrcn in das alte Elend,
in die alte Sklaverei! Nimmermehr!
Aber der Hunger thut weh. Die Freunde
im Lande helfen so gut sie können —, doch sie
sind auch arm, und den Herren voin Pfcffersack
drücken die Herren von Stumm und Konsorten die
Hand, sie anfmnntcrnd, nicht nachzugcben den
Sklaven, die ihre Ketten zerbrechen gewollt, und
Hilfe bietend, die Widerspenstigen wieder in Ketten
zu legen.
Der Hunger thut weh und der Winter ist
hart. Da sitzen in: ärmlichen Stübchen finstere
Männer — dieselben wie eben da draußen —,
an der Seite des Mannes die abgehärmte Frau,
um sie die Schaar der Kinder, nach Brot ver-
langend. --
Und das Unvermeidliche kant. Der Hnnger
und der Winter sie thaten ihre Arbeit —, das
trotzige Haupt mußte sich beugen unter das Joch.
Und höhnend rief das fette Volk von Kapitals
Gnaden den Geschlagenen zu: „Wo ist die Sozial-
demokratie, auf die Ihr gehofft? Hat sie Euch
Arbeit gegeben und Brot? Wendet Euch ab von
den falschen Propheten. Erkennt, daß wir Eure
Brotherren sind — gnädige Herren von Gottes
Gnaden —, Eure Herren, die keine Auflehnung
dulden, deren Willen für Euch oberstes Gesetz ist,
von denen Ihr Euer tägliches Brot empfangt,
wenn Ihr Euch hübsch fügt wie wohlerzogene
Hunde, und die Euch den Brotkorb hoch hängen,
wenn Ihr nicht stumme, gehorsame Sklaven
seid. Wir sind Eure Wohlthäter! Küßt uns die
Hand, die Euch Brot giebt. Flucht der frevel-
haften Sozialdemokratie, die gegen Gott und sein
heiliges Kapital, gegen die göttliche Weltordnung
des Gottes der Götter, Mammon, sich empört
hat und Euch in ihre Netze und ins Verderben
hineinreißen will. Flucht Ihr!"-
Und Hurrah! braust es. Deutsch, Hollän-
disch, Dänischs Schwedisch Hurrah; Englisch und
Russisch Hurrah; und damit sich mischend in
gewaltigem Einklang Französisch Vivs! Ita-
lienisch Lvviva! Ein babylonisches Sprachen-
gemenge — nicht babylonische Verwirrung,
Sie alle haben sich in einem Gedanken, in einem
Gefühl zusammengefunden, und statt ziellos und
rathlos auseinanderzulaufen, wie die verblendeten
Völker der Bibel, haben sie begriffen, daß alle
Völker der Erde Brüder sind, und daß das Volk
der Arbeit, gehöre cs zu welcher Nation cs wolle,
Beilage zum „Wahren Jacob" Ar. t8d7.