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MN
Aber ihr, o blonde Brüder,
noch bevor euch Alter bannt.
Werdet jubelnd ihr beschreiten
der ersehnten Freiheit Strand.
Mag denn noch im Finstern walten
diese Peitsche roh und wild!
Jeder berge treu im Herzen
einer bessern Zukunft Bild!
Alle Geister fest umschlinge
eines großen Willens Band!
Laßt uns hoffen, laßt uns harren,
bis die Pfingsten ziehu ins Land!
Alle Menschheit wird verbrüdert
wie in lichtem Frühroth stehn -
Frei dann werden unsre Fahnen
über freien Häuptern wehn.
Nes Wanderburschen Freud und Leid,
von einem alten „Ratzenkopf".
6. Im Drnischcn Verein. — Wieder auf der Walze.
Sehr viel lag mir, wie schon erwähnt,
daran, mich recht bald im Deutschen Verein
vorstellen zu könne«, um einen Zufluchtsort zu
haben. Sobald ich nothdürftig equipirt war,
um mich wieder unter Menschen sehen lassen
zu können, geschah dies auch. Es war an einem
Sonntag Nachmittag, als ich mich nach dem
Hinterhaus des Gasthauses zum „Sternen" in
der Aarberger Gasse begab und die steile Treppe
zum Vereinslokal emporstieg. Es war ein läng-
licher Saal mit einem etwas schmäleren Anbau
Weisheit wohnen hier und Schönheit,
ein erhabnes Schwesternpaar;
Tugend holt sich hier das blonde,
Jugend sich das weiße Haar.
— Aber wie? Was weckt mich Armen?
Ls zerstob mein schöner Traum,
Stob wie Zommerlaub im Herbste,
eh' mein Herz ihn faßte kaum.
Aber nein! Aicht kranke Sehnsucht war es,
was den Zinn mir trog;
Linmal wird es Wahrheit werden,
was durch meine Träume zog.
was ich schaute, es wird leben,
sei es auch in schwächer«! Glanz!
Blühen werden seine Kränze —
blühn wird mir ein Todtenkranz.
Nein ergrautes Haupt wird sinken
in die Lklavengruft hinab,
Sklaven werden mit den Fesseln
bald mich senken in das Grab.
gegen den Hof zn. Außer den Bänken, einem
Rednerpult und zwei Bibliothekschränken be-
merkte ich einige Porträts von Robert Blum und
sonstigen Männern des Volkes aus den vierziger
Jahren. Als ich das Lokal betrat, befanden sich
fünf Personen in demselben: ein bleicher Mann
mit intelligentem Gesicht, an einem der Viblio-
thekschränke beschäftigt, und vier jnnge Gesellen,
die offenbar auch noch nicht lange die Land-
straße mit der Werkstatt vertauscht hatten. Der
Bibliothekar begrüßte mich überaus herzlich.
Ich theilte ihm auf seine Frage mit, daß ich
erst vor Kurzen: zugereist gekommen sei und die
Absicht hätte, mich dem Verein anzuschließen.
Er erklärte sich bereit, mich zur Aufnahme vor-
znschlagen, und lud mich ein, bis zum nächsten
Versammlungsabend das Lokal täglich zu be-
suchen. Am Montag Abend fand ich im Lokal
eine ziemlich zahlreiche Gesellschaft aus allen
i deutschen Vaterländern vor. Da war der Ber-
liner neben dem Sächser, der Rheinländer neben
dem Thüringer vertreten, alle Dialekte tönten
durcheinander. Der Verkehr war ein recht
netter, brüderlicher, die Sprache eine herzliche.
Kartenspiel und geistige Getränke jeglicher Art
waren im Vereinslokal verpönt. Ich kam die
ganze Woche hindurch jeden Abend wieder, las
die Zeitungen, rauchte meine Pfeife und war
bald mit einer großen Anzahl von Landsleuten
bekannt, ja vertraut geworden.
Am anderen Montag war Vercinsversamm-
lung und in derselben wurde ich „zum Ritter
geschlagen". Der Präsident zitirte mich vor
das Rednerpult, gab mir den Handschlag und
bemerkte dazu: Unsere gegenseitige Anrede ist
„Bürger" und „Du".
Damit war ich offiziell in den Bund ein-
getreten und ich kann wohl sagen, daß ich kein
faules Mitglied gewesen bin. Wie lange schon
hatte ich eine meinem Geschmack entsprechende
Lektüre entbehren müssen! Hier hatte ich Bücher
in Hülle und Fülle, Zeitungen aus sämmt-
lichen größeren Städten Deutschlands, das war
eine Lust für mich. Freilich, die reiche Bro-
schürenliteratur, über welche die deutsche Ar-
beiterwelt heute verfügt, existirte damals noch
nicht. Doch fanden sich höchst werthvolle Bro-
schüren aus den Jahren 1848 bis 1880, meist
in E. Wellers Verlag in Dresden erschienen,
auch lag der Berliner „Sozialdemokrat", heraus-
gegeben von I. B. Schweitzer, und Jean Phil.
Beckers „Vorbote" auf.
Wenn bei einem armen Teufel, der sich den
ganzen Tag tüchtig geplagt hat und dem Abends
meist alle Knochen knacken, von einem „systema-
tischen Studium" die Rede sein kann, so war
dies bis zu einem gewissen Grade bei mir der
Fall. Ich ochste zunächst Schlossers Welt-
geschichte, einige ältere Schriften Corvins und
eine alte Kulturgeschichte durch und nahm dann
die verschiedenen „Leben Jesu" und Zimmer-
manns „Wunder der Urwelt" vor. An Unter-
haltungslektüre hatte ich mir Eugen Sues Ro-
mane ausgewählt, die ich förmlich verschlang;
ich versäumte aber auch nicht, unsere Klassiker
fleißig zur Hand zu nehmen und machte sogar
deklamatorische Versuche, obwohl das Auswen-
diglernen nie meine starke Seite gewesen ist.
Wie manchen lieben langen Sonntag Nach-
mittag saß ich da — wenn die Witterung zu
rauh war, um hinaus an die Niedeggbrücke
zum Bärengraben zu gehen und sich mit den
Berner Wappenviechern, den „Mutzen", zu
unterhalten, — über diesen Büchern und über
dem Meyerschen Konversationslexikon! Freilich
knurrte mir oft der Magen dabei, namentlich
wenn's ein Bauernsonntag war. So nannten
wir nicht blos die Feiertage, an denen es kein
Geld gab, sondern namentlich die Sonntage,
die zwischen den eigentlichen Zahltag nnd den
Vorschußtag fielen. Da hatte man gewöhnlich
keinen Rappen in der Tasche und frierend
schlich man zum „Koschthüttli", um das Sonn-
tagsabendbrot, Kaffee mit Chäs und „Herd-
äpfelröschti" (geröstete Kartoffeln) zu verzehren.
Sowohl die Arbeit in der Werkstatt, als
das Leben im Deutschen Verein nahmen mein
Interesse derart in Anspruch, daß ich eine Reihe
von Wochen der Stadt selbst und deren herr-
licher Umgebung nur wenig Aufmerksamkeit
schenken konnte. Von letzterer sah ich lange Zeit
nichts weiter als den Bärengraben. Der Platz
um den gewaltigen Zwinger war der Sammel-
punkt für sämmtliche Zehnrappen-Privatiers
der Stadt, für die frisch zugereisten Handwerks-
burschen, die „ganz blank" waren, und für die
Gesellen, die ungefähr ebensoviel besaßen.
Weiter hinaus war ich sehr lange Zeit
nicht gekommen. Zudem kam ja bald der
Winter, wo es ohnehin schwer hält, in der
Gegend von Bern große Fußpartien zu machen;
MN
Aber ihr, o blonde Brüder,
noch bevor euch Alter bannt.
Werdet jubelnd ihr beschreiten
der ersehnten Freiheit Strand.
Mag denn noch im Finstern walten
diese Peitsche roh und wild!
Jeder berge treu im Herzen
einer bessern Zukunft Bild!
Alle Geister fest umschlinge
eines großen Willens Band!
Laßt uns hoffen, laßt uns harren,
bis die Pfingsten ziehu ins Land!
Alle Menschheit wird verbrüdert
wie in lichtem Frühroth stehn -
Frei dann werden unsre Fahnen
über freien Häuptern wehn.
Nes Wanderburschen Freud und Leid,
von einem alten „Ratzenkopf".
6. Im Drnischcn Verein. — Wieder auf der Walze.
Sehr viel lag mir, wie schon erwähnt,
daran, mich recht bald im Deutschen Verein
vorstellen zu könne«, um einen Zufluchtsort zu
haben. Sobald ich nothdürftig equipirt war,
um mich wieder unter Menschen sehen lassen
zu können, geschah dies auch. Es war an einem
Sonntag Nachmittag, als ich mich nach dem
Hinterhaus des Gasthauses zum „Sternen" in
der Aarberger Gasse begab und die steile Treppe
zum Vereinslokal emporstieg. Es war ein läng-
licher Saal mit einem etwas schmäleren Anbau
Weisheit wohnen hier und Schönheit,
ein erhabnes Schwesternpaar;
Tugend holt sich hier das blonde,
Jugend sich das weiße Haar.
— Aber wie? Was weckt mich Armen?
Ls zerstob mein schöner Traum,
Stob wie Zommerlaub im Herbste,
eh' mein Herz ihn faßte kaum.
Aber nein! Aicht kranke Sehnsucht war es,
was den Zinn mir trog;
Linmal wird es Wahrheit werden,
was durch meine Träume zog.
was ich schaute, es wird leben,
sei es auch in schwächer«! Glanz!
Blühen werden seine Kränze —
blühn wird mir ein Todtenkranz.
Nein ergrautes Haupt wird sinken
in die Lklavengruft hinab,
Sklaven werden mit den Fesseln
bald mich senken in das Grab.
gegen den Hof zn. Außer den Bänken, einem
Rednerpult und zwei Bibliothekschränken be-
merkte ich einige Porträts von Robert Blum und
sonstigen Männern des Volkes aus den vierziger
Jahren. Als ich das Lokal betrat, befanden sich
fünf Personen in demselben: ein bleicher Mann
mit intelligentem Gesicht, an einem der Viblio-
thekschränke beschäftigt, und vier jnnge Gesellen,
die offenbar auch noch nicht lange die Land-
straße mit der Werkstatt vertauscht hatten. Der
Bibliothekar begrüßte mich überaus herzlich.
Ich theilte ihm auf seine Frage mit, daß ich
erst vor Kurzen: zugereist gekommen sei und die
Absicht hätte, mich dem Verein anzuschließen.
Er erklärte sich bereit, mich zur Aufnahme vor-
znschlagen, und lud mich ein, bis zum nächsten
Versammlungsabend das Lokal täglich zu be-
suchen. Am Montag Abend fand ich im Lokal
eine ziemlich zahlreiche Gesellschaft aus allen
i deutschen Vaterländern vor. Da war der Ber-
liner neben dem Sächser, der Rheinländer neben
dem Thüringer vertreten, alle Dialekte tönten
durcheinander. Der Verkehr war ein recht
netter, brüderlicher, die Sprache eine herzliche.
Kartenspiel und geistige Getränke jeglicher Art
waren im Vereinslokal verpönt. Ich kam die
ganze Woche hindurch jeden Abend wieder, las
die Zeitungen, rauchte meine Pfeife und war
bald mit einer großen Anzahl von Landsleuten
bekannt, ja vertraut geworden.
Am anderen Montag war Vercinsversamm-
lung und in derselben wurde ich „zum Ritter
geschlagen". Der Präsident zitirte mich vor
das Rednerpult, gab mir den Handschlag und
bemerkte dazu: Unsere gegenseitige Anrede ist
„Bürger" und „Du".
Damit war ich offiziell in den Bund ein-
getreten und ich kann wohl sagen, daß ich kein
faules Mitglied gewesen bin. Wie lange schon
hatte ich eine meinem Geschmack entsprechende
Lektüre entbehren müssen! Hier hatte ich Bücher
in Hülle und Fülle, Zeitungen aus sämmt-
lichen größeren Städten Deutschlands, das war
eine Lust für mich. Freilich, die reiche Bro-
schürenliteratur, über welche die deutsche Ar-
beiterwelt heute verfügt, existirte damals noch
nicht. Doch fanden sich höchst werthvolle Bro-
schüren aus den Jahren 1848 bis 1880, meist
in E. Wellers Verlag in Dresden erschienen,
auch lag der Berliner „Sozialdemokrat", heraus-
gegeben von I. B. Schweitzer, und Jean Phil.
Beckers „Vorbote" auf.
Wenn bei einem armen Teufel, der sich den
ganzen Tag tüchtig geplagt hat und dem Abends
meist alle Knochen knacken, von einem „systema-
tischen Studium" die Rede sein kann, so war
dies bis zu einem gewissen Grade bei mir der
Fall. Ich ochste zunächst Schlossers Welt-
geschichte, einige ältere Schriften Corvins und
eine alte Kulturgeschichte durch und nahm dann
die verschiedenen „Leben Jesu" und Zimmer-
manns „Wunder der Urwelt" vor. An Unter-
haltungslektüre hatte ich mir Eugen Sues Ro-
mane ausgewählt, die ich förmlich verschlang;
ich versäumte aber auch nicht, unsere Klassiker
fleißig zur Hand zu nehmen und machte sogar
deklamatorische Versuche, obwohl das Auswen-
diglernen nie meine starke Seite gewesen ist.
Wie manchen lieben langen Sonntag Nach-
mittag saß ich da — wenn die Witterung zu
rauh war, um hinaus an die Niedeggbrücke
zum Bärengraben zu gehen und sich mit den
Berner Wappenviechern, den „Mutzen", zu
unterhalten, — über diesen Büchern und über
dem Meyerschen Konversationslexikon! Freilich
knurrte mir oft der Magen dabei, namentlich
wenn's ein Bauernsonntag war. So nannten
wir nicht blos die Feiertage, an denen es kein
Geld gab, sondern namentlich die Sonntage,
die zwischen den eigentlichen Zahltag nnd den
Vorschußtag fielen. Da hatte man gewöhnlich
keinen Rappen in der Tasche und frierend
schlich man zum „Koschthüttli", um das Sonn-
tagsabendbrot, Kaffee mit Chäs und „Herd-
äpfelröschti" (geröstete Kartoffeln) zu verzehren.
Sowohl die Arbeit in der Werkstatt, als
das Leben im Deutschen Verein nahmen mein
Interesse derart in Anspruch, daß ich eine Reihe
von Wochen der Stadt selbst und deren herr-
licher Umgebung nur wenig Aufmerksamkeit
schenken konnte. Von letzterer sah ich lange Zeit
nichts weiter als den Bärengraben. Der Platz
um den gewaltigen Zwinger war der Sammel-
punkt für sämmtliche Zehnrappen-Privatiers
der Stadt, für die frisch zugereisten Handwerks-
burschen, die „ganz blank" waren, und für die
Gesellen, die ungefähr ebensoviel besaßen.
Weiter hinaus war ich sehr lange Zeit
nicht gekommen. Zudem kam ja bald der
Winter, wo es ohnehin schwer hält, in der
Gegend von Bern große Fußpartien zu machen;