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Der wahre Jakob: illustrierte Zeitschrift für Satire, Humor und Unterhaltung — 14.1897

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https://doi.org/10.11588/diglit.6610#0238

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sellschaft, wenn immer wieder eine Ladung
Ladies und Gentlemen an uns vorbei beför-
dert wurde, während wir „armen Ludersch"
den Schweiß stromweise vergießen mußten! Die
Zeche in dem prächtigen Wirthshaus machte
nuferen schwindsüchtigen Geldbeutel erheblich
leichter und wir beschlossen, heute unter allen
Umständen das Schlafgeld zu sparen und in
einem Bauernhause auf dem Heuschober zu
nächtigen.
Das ist in den Urkantonen nicht so schwierig,
wenn man in der Lage ist, sich mit den Bauern
zu verständigen. Es macht übrigens einen merk-
würdigen Eindruck, wenn man so von den
Stätten „überfeinerter Zivilisation", wie z. B.
Interlaken, ganz plötzlich, nach einer schwachen
Tagereise, hinüberkommt nach Obwalden und
hier sich wieder in den Zustand altschweizerisch-
bäuerischer Einfachheit versetzt sieht. Wir fan-
den in einer der aus sehr zerstreut liegenden
Einzelgehöften bestehenden Gemeinden unschwer
einen Bauer, der auf mein Zureden sich her-
beiließ, uns auf dem Heuboden ein duftiges
Quartier auzuweisen. Tabakspfeifen und Feuer-
zeug mußten wir ihm aber vorher ausliefern.
Und das war ganz vernünftig.
Am anderen Morgen erhielten wir noch
eine riesige Schüssel Buttermilch und je ein
Stück Brot, dann ging's nach einem dankbaren
„Vergelt's Gott" nach Stans und von da nach
einer der Geburtsstütten des Schweizerbundes,
nach Schwyz.
Es war Pfingstsonntag Mittag, als wir dahin
kamen. Der freundliche Ort hatte seinen besten
Sonntagsstaat angelegt, die Straße» waren so
sauber, die Maidli so nett nnd freundlich und
das Mittagessen im Kloster, wo Nikolaus von
der Flüe begraben liegen soll, so reinlich und
schmackhaft, daß ich heute noch mit Vergnügen
an den wundervollen Pfingstsonntag zurück-
denke. Nachmittags brachen wir wieder auf,
um durch das Muottathal den Aufstieg zum
Brackl oder Prackl zu gewinnen, über welchen
1799 Suworow mit seinen Russen kletterte, um
den Franzosen ein für dieselben ungünstiges
Treffen zu liefern.
Gegen Abend erreichten wir eine Senner-
hütte, wo wir von dem „Chüher" (Küher,
Schweizer) freundlichst ausgenommen und mit
Buttermilch und Käse — Brot hatte er selbst
keines — bewirthet wurden. Es schlief sich
herrlich auf dem Heu auf der Bühne ober-
halb des Kuhstalls. Am anderen Morgen vor
Sonnenaufgang begannen wir dann den Aufstieg
durch die uns schier endlos scheinenden Schnee-
gefilde. Obwohl der Brackl über 6000 Fuß
hoch ist und der Weg über den Schnee nicht
gut war, langten wir doch zwischen acht und
neun Uhr auf der anderen Seite in ungefähr
gleicher Höhe an, in welcher die Alm, wo wir
übernachteten, gelegen ist. Auch hier war kein
Bissen Brot anzutreffeu. Der Küher bot uns
aus einem Schöpflöffel, der wohl seine fünf
Liter fassen mochte, „Ankamilch" (Buttermilch)
an mit der freundlichen Einladung: „Da
chönnet'r sufe, so viel d'r wänt." Das thaten
wir denn auch herzhaft, um sodann unseren
Weg nach der Stadt Glarus fortzusetzen.
In einem Wirthshaus, in dem wir unter-
wegs einkehrten, trafen wir deutsche Touristen,
darunter einen Münchener Arzt, der sich riesig
über die Erzählung unserer Reiseabenteuer
freute und uns nicht blos mit Butterbrot,
Käse und einem Liter Tiroler regalirte, son-
dern uns auch von seinen Reisekollegen einen
„Zuschuß" von zwei Franken und etlichen
dreißig Rappen beschaffte. Nachdem wir uns

von dem Arzte verabschiedet, setzten wir un-
seren Weg nach Glarus fort, kamen aber vor-
her überein, für den größeren Theil des er-
wähnten Geldes ein großes Brot zu kaufen,
um auf zwei Tage Proviant für alle Fälle zu
haben. Das Brot wurde dem sächsischen Bäcker
auf den Berliner geschnallt, und so ausgerüstet
hielten wir gegen Abend unseren Einzug in
die reizend gelegene Hauptstadt des Kantons
Glarus.
Glarus, etliche Jahre vorher fast ganz ab-
gebrannt, war dazumal eine völlig neue Stadt;
zwischen und vor jedem der niedlichen Häuser
ein Gärtchen, prachtvolle Schulhäuser und
sonstige öffentliche Gebäude. Ich versuchte Ar-
beit zu finden, aber es war „nichts los". Die
Herberge des Deutschen Vereins befand sich im
„Rotheu Hüsli". Ich holte mein Vereins-
geschenk und dann beschlossen wir, in Anbetracht
der reichlichen Morgenernte, auch hier zu über-
nachten. Allein da die Wirthin sich weigerte,
uns Licht zu verabreichen, geriethen wir derart
in sittliche Entrüstung, daß wir am Abend noch
weiter wanderten, auf die Gefahr hin, für die
Nacht wiederum zum Heuschober unsere Zu-
flucht nehmen zu müssen.
Etwa eine Stunde von der Stadt entfernt
befanden sich eine Anzahl allein stehender Heu-
ställe auf den fetten, duftigen Wiesen. An
einem derselben stand die Leiter außen ange-
lehnt; offenbar war erst am Abend noch Futter
eingebracht worden. Kurz entschlossen, schleiften
wir die Leiter zur Bodenluke, stiegen ein,
wälzten die Leiter wieder zur Seite und betteten
uns so angenehm als möglich. Wir mochten
nur kurze Zeit geschlafen haben, als wir durch
ein höchst verdächtiges Geräusch geweckt wur-
den. Von unten vernahmen wir zuerst ein
Geflüster, dann ein Gebrumm. Sollten das
die Eigenthümer, die Bauern sein, die gekom-
men waren, uns aus der Nachtruhe aufzu-
scheuchen und vielleicht gar durchzubläuen?
Meine Kollegen verkrochen sich tiefer ins Heu,
während ich, nicht ohne eine gelindes Gruseln,
an die Luke krabbelte und mit möglichst fürch-
terlicher Stimme hinuuterrief: „Wer ist drun-
ten?" — „Wer isch drowe?" schallte es von
unten zurück. An der Aussprache der wenigen
Worte hatte ich sofort erkannt, daß die unten-
stehenden Gestalten Einheimische waren. Es
stand daher für mich fest, daß die Bauern da
waren, um uns durchzuprügeln, und ziemlich
kleinlaut erwiderte ich: „Drei Handwerks-
burschen." Ein Stein fiel uns Dreien vom
Herzen, als hierauf die Antwort erfolgte: „So,
sell isch guet, mir send au no drü." Nach Ver-
lauf von einigen Minuten waren auch die drei
Ankömmlinge, Schweizer, die in der entgegen-
gesetzten Richtung walzten, gebettet und ein
gesunder Schlaf führte nns hinüber in das
Reich der Träume.-
Bei dieser Art Nachtquartier blieb es auch
meistens auf unserem weiteren Weg nach Ragatz
(in der Nähe von Bad Pfeffers, wo Ferdinand
Lassalle noch kurz vor seinem Tode geweilt) und
ins „Bündner Land" (Graubünden) hinein, bis
nach Chur. Ich hatte die Absicht, weiter in
die rhätischen Alpen einzudringen und unter
Umständen nach Italien hinüberzusteigen. Aber
meine Sachsen flehten mich an, mit ihnen nach
Tirol zu gehen und sie in diesem „wilden Lande"
nicht allein zu lassen. Ich weiß nicht, ob die
Biederen inzwischen vielleicht Kartellbrüder ge-
worden sind und in der Vorahnung, wie ihr
Großmeister Bismarck, dies herrliche Land ein
„wildes" nannten. Da ich auch in Chur keine
Arbeit bekam, so machten wir fast denselben

Weg nach Ragatz zurück, von wo aus wir dann
am Wallensee entlang nach Werdenberg mar-
schirten und in der Nähe dieses Ortes unseren
Rheinübergang auf fürstlich Liechtensteinsches
Gebiet bewerkstelligten.
An diesen Rheinübergang kann ich nur mit
Lachen zurückdenken und „wenn ich hundert Jahre
alt werden sollte". Vater Rhein ist in der dor-
tigen Gegend noch nicht der Gewaltige, wie
etliche fünfzig Meilen weiter abwärts; er ist
nicht allzu breit, wohl auch kaum übermäßig
tief, aber er ist ein wilder, reißender Bursche,
der seinen Bergesursprung noch nicht verleug-
net. Da geht nun zwischen dem schweizerischen
Ufer und dem österreichischen Zollhaus — die
Liechtensteinsche Finanzverwaltung lag damals
schon in kaiserlich-königlichen Händen — ein
Fährboot hin und her, um den Grenzverkehr
zu vermitteln, und der Schiffer erhebt dafür
einen Tribut von zehn Rappen pro Kopf. Um
nun diesen Obolus zu ersparen, erklärte unser
sächsischer Teigkneter, er fahre nicht mit, son-
dern wolle hiuüberwaten! Der Fährmann lachte
aus vollem Halse; wir anderen Beiden bestiegen
das Boot und der Schiffer legte los. Drüben
angekommen, fanden wir einen dicken österreichi-
schen Finanzer (Zollbeamten) am Ufer, der sich
vor Lachen fast ausschütten wollte. Unser Freund
aber stieg, die Hosen bis an die Schenkel auf-
gestülpt, wie der Storch im Salat, vorsichtig
von dem niederen Ufer ins seichte, klare Wasser
und kam auch richtig etwa zehn Schritte vor-
wärts. Dann aber stand er plötzlich bis unter
die Arme ini Wasser und statt querüber zu
kommen, wurde er von der heftigen Strömung
immer weiter abwärts getrieben, wobei er etliche
Male unbarmherzig um seine eigene Achse ge-
dreht wurde. Nun fing der Aermste an, fürch-
terlich um Hilfe zu schreien, die ihm denn auch
alsbald durch den Fährmann zu Theil wurde,
der ihn unter wohlverdienten Spottreden ans
Ufer brachte.
Nachdem der Unglückswurm glücklich ge-
landet, trat der Staat mit seinen „Rechten" an
uns heran. Zollpflichtiges hatten wir natürlich
nicht. Aber Reisegeld sollten wir vorzeigen.
Ich hatte ja glücklicher Weise noch sieben baare
Fränklein, lauter glänzende Silberstücke, in
der Tasche, und dem Oesterreicher, der wohl
seit langer Zeit überhaupt, mit Ausnahme der
Scheidemünze, kein Silber gesehen haben mochte,
genügte die Vorzeigung dieser Baarschaft voll-
ständig. Dann kam unser Numismatiker mit
seiner Schweinsblase voll Kupfermünzen dran.
Frech wie Oskar stauchte derselbe den schweren
Beutel auf den Tisch, als ob er sagen wollte:
Was kostet Euer Kaiserreich? und übte damit
thatsächlich einen solchen Einfluß auf den Diener
des Hauses Habsburg aus, daß dieser nicht blos
die Oeffnung der Blase nicht verlangte, son-
dern zu dem zitternd und zagend folgenden dritten
Kameraden sagte: „Gengen's halt ruhig weiter,
ich siech schon, daß die Herrschaften gar nicht
schlecht verproviantirt san."
Nun war die Reihe des Lachens an uns.
Wir warteten damit aber wohlweislich, bis wir
aus der Hörweite einer kaiserlich-königlichen
Finauzwache waren und gaben unserer Freude
am Abend in Vaduz (Residenzdorf des Fürsten-
thums Liechtenstein) dadurch Ausdruck, daß wir
einige Seidel von dem wirklich vortrefflichen
Vaduzer Gewächs tranken, was natürlich in
Anbetracht der Umstände auf meine Kappe ging.
Als am nächsten Morgen noch das Nachtquartier
und das bischen Futter bezahlt werden mußte,
da war auch in meinen Beutel ein Loch ge-
rissen, das „tief blicken" ließ.
 
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