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Der wahre Jakob: illustrierte Zeitschrift für Satire, Humor und Unterhaltung — 14.1897

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https://doi.org/10.11588/diglit.6610#0246

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2586

dem Feuer des Kampfes, der zahllose Siege
und Erfolge weit über die höchsten Hoffnungen
hinaus gebracht hatte, und in dem frischen Genuß
einer soeben vollbrachten Kampfthat.
Nein - einen schöneren Tod hat Keiner
gehabt und wird Keiner haben.
Er hat ihn verdient.
Verdient auch noch in anderem Sinne —
ihn durch sein Kämpfen hcrbeigeführt. In dieser
mächtigen Eiche, die der Blitz niederschlug, hat
schon lange der Todtenwnrm gebohrt. Niemand
wandelt ungestraft unter den Palmen der Revo-
lution. Sie zwingt zu unablässiger, aufreiben-
der Arbeit — sie zwingt, das Kapital der Kraft
zu verbrauchen. Wie erschreckend rasch alterten
die Titanen der französischen Revolution! Und
wahrlich, die Proletarier-Revolution ist nicht
weniger anspruchsvoll im Kräfteverbrauch als
die bürgerliche Revolution. Im Gegentheil.
Welcher Wald von Grabsteinen bezeichnet den
Vormarsch der sozialdemokratischen Armee. Welch
lange Liste von Opfern! Und fast Alle gestorben
im Alter, wo das gereifte Leben sollst anfängt.
Grillenberger war der Volksthümlichste von
uns Allen, das Ideal eines Volksredners.
Jede Rede entlud sich wie ein Gewitter, natür-
lich, nichts Gesuchtes, nichts Künstliches, immer
erfrischend, außer für den, auf welchen ein
zorniger Strahl zerschmetternd nicderfuhr. Nicht
daß Grillenberger seine Rede nicht vorbereitet
hätte! Aber seine vulkanisches Wesen duldete
keinen Zwang, und auch die sorgfältigst vor-
bereitete Rede wurde unter dem Eindruck des
Moments zur Improvisation.
Ueberhaupt studirt hat er viel. Nur sah
man's ihm nicht an. Ich schrieb schon im
„Vorwärts": Er war einer der wenigen Ar-
beiter, die unsere — ach leider so schwierige! —
deutsche Sprache in Grammatik und Stil voll-
ständig benieistert haben. Und das zeugt von
viel, viel Arbeit.
Als ich Anfangs der Siebziger Jahre von
ihm, dem mir damals ganz Unbekannten, den
ersten Brief erhielt, in dem er seine Begeiste-
rung für die Sozialdemokratie aussprach, war
ich durch die prächtige, fließende Handschrift und
die gewandte, fehlerfreie Schreibweise so erstaunt,
daß ich - - an der Echtheit des Schlosscrgesellen
zweifelte und ein gewisses Mißtrauen empfand.

In der Fabrik.
- - - Ick) führe dich zum Volke der Verlornen,
Ich führe dich zu unerhörter Hual.
Die Räder sausen bei Tag und Rächt,
Ls pochen die Hämmer.
Ich halte die Wacht
An der Dampfmaschin'.
Ls tönen die Räder bei ihrem Lauf
Als sängen sie Lieder.
Ich horche aus
Wie der Ressel zischt:
„Die Hoffnung, du Armer, der Aermste sie kennt.
Rennst du sie? Darfst du denn hoffen?
Nur Llend und Roth stehn dir offen!
Man wirft zu altem Life» mich hin,
Menn rostig und alt ich werde;
Auch deiner wartet ein gleiches Loos
Auf dieser ,herrlichen LrdeU"
Ls sausen die Räder, der Ressel zischt
Die furchtbare Wahrheit.
Die Lampe erlischt.
Ich sink' auf die Lrde
Und weine. tzerlinger.

Bald darauf trafen wir uns, und ein Blick in
die blauen ehrlichen Augen genügte, mich zu
belehren, daß der Schlossergeselle echt war, und
ein echter Mann. Ein Mann, wie die Natur
nur in selten verschwenderischer Laune einen
formt.-
Ich habe noch gar nicht gesagt, wer und was
Karl Grillenberger der Partei war, und was mir.
Was er mir war? Das ist schnell gesagt: ein
Freund. Treu in allen Lagen des Lebens.
Und was er der Partei war? Das läßt
sich in so engen: Rahmen nicht sagen. Aber ist
es denn nöthig? Weiß nicht jeder Genosse, daß
Karl Grillenberger seit jetzt über einem Viertel-
jahrhundert unserer Armee angehört, daß er mit
der Sozialdemokratie gewachsen, verwachsen ist,
daß seine LebenSgeschichte nicht zu trennen ist
von der Geschichte der Partei? Aus dem Schlosser-
gesellen wurde ein Soldat der Proletarierarmee,
ans den: Soldat ein Offizier und ein General
— einer unserer muthigsten und schlagfertigsten
Kämpfer in Wort und Schrift; ein Organi-
sator, von Keinem übertroffen. Unfehlbar war
auch er nicht, allein nie verließ ihn sein prole-
tarischer Instinkt, und, obgleich er manch-
mal Diesen: und Jenem zu „gemäßigt" auf-
trat, war er eine durch und durch revolutio-
näre Natur.
Die Arbeitermassen haben das gefühlt. Und
keinen: der Führer ist ein größeres Maß von
Liebe und Vertrauen zu Theil geworden. Und
in: Herzen der klassenbewussten Arbeiter wohnt
Karl Grillenberger.
Das Werk, an dem er so aufopfernd ge-
arbeitet und für das er sein Leben gegeben hat
— wir — die Sozialdemokratie — wir werden
es vollenden.
Die des Gatten würdige Gattin, die an
seiner Seite gekämpft hat, und die Kinder, die
um ihn trauern, sie mögen für ihren Schmerz
zwar keinen Trost, aber Linderung finden in dem
Gedanken, daß Millionen in Deutschland und
in den übrigen Ländern, wo immer es klassen-
bewußte Arbeiter giebt, nut ihnen trauern um
Karl Grillenberger.
Das Feuer hat Deinen Leib zerstört, treuer
Freund, Dein Andenken ist unverlöschlich, in
uns, in der Sozialdemokratie, lebst Du
fort. w. Liebknecht.

Der alte Schäfer Tlzvmas.
Weltabgeschieden in den Bergen liegt das Dörf-
lein Dummerwitz. Seine Bewohner sind schlichte
Landleute, welche im frühen Morgengrauen auf
den: Felde schaffen, Abends vor den Hütten ihre
Pfeifen rauchen und am Sonntag vollzählig in
der Dorfkirche erscheinen, wo ihnen der Pfarrer
Neunauge sagt, was sie zu thun und zu lassen
haben.
Er ist ein streitbares Mitglied der ultramon-
tanen Partei, dieser Pfarrer, und er wacht mit
Eifer darüber, daß seine Domäne vom Geiste der
Neuzeit nicht „vergiftet" wird. Aber auch die welt-
liche Obrigkeit des Ortes, der bigotte Gemeinde-
vorsteher Lämmchen, maltet mit Strenge seines
Amtes und sorgt dafür, daß keine Zeitung, kein
Flugblatt, kein Wahlaufruf und kein Stimmzettel
ins Dorf kommt, außer von der ultramontanen
Partei, die im ganzen Wahlkreise unumschränkt
herrscht.
Fremde Agitatoren oder Flugblattvertheiler,
welche sich in diese Gegend wagten, wurden stets
mit Stöcken bedroht und mit Hunden gehetzt, ihr
Agitntionsmaterial wurde ungelesen vernichtet.

Eines schönen Tages aber schritt ein Haussier
durchs Dorf und machte im Wirthshause Halt,
wo er auch seine Maaren auskramte. Es waren
viele Bauern anwesend, denn die Erntearbeiten
wurden vorbereitet und einige landwirthschaftliche
Maschinen, die man durch Vermittlung der Distrikts-
behörde von auswärts entliehen hatte, waren ge-
rade angckommen und wurden von Groß und
Klein angestannt.
Der Haussier war ein lustiger Kamerad und
erzählte den Bauern allerlei Schnurren. Dann
wurde er ernster und stimmte mit einigen alten
Leuten ein in Klagen über die heutige böse Welt.
Endlich hob er gehcimnißvoll den Zeigefinger und
sagte halblaut:
„Leute, ich hab'noch etwas ganz Besonderes!"
Nun versenkte er seine Hand in den Waarcn-
kasten und brachte unter allgemeiner Spannung
kleine gedruckte Heftchen zum Vorschein, die er
behutsam auf den Tisch legte.
„Was ist denn das?" fragte man verwundert.
Ein alter Bauer buchstabirte den großgedruckten
Titel: „Dem alten Schäfer Thomas seine
siebenundsiebzigste Prophezeiung für die
Jahre 1897 bis 1900. Von ihn: selbst den gläu-
bigen Landbewohnern verkündet."
„Sie, was steht denn da drin?" wurde der
Haussier gefragt.
„Darin steht Alles, was in den nächsten Jahren
passiven wird, damit die Menschen sich darnach rich-
ten können und nicht blöde dahin leben, bis ihnen
die ungeahnte Zukunft über den Hals kommt."
Einige Zweifel wurden doch gegen diese Be-
hauptung laut. Aber ein alter Bauer trat den-
selben entgegen.
„Wißt, Kinder", sagte er, „mit dem Schäfer
Thomas ist nicht zu spaßen! Der weiß Alles.
Vor Jahren hab' ich eine solche Prophezeiung von
ihn: gelesen, da war Krieg und Brand und alles
mögliche Unglück prophezeit — und richtig, kaum
ein halbes Jahr später sind in unseren: Dorfe
drei Häuser niedergebrannt und eine Kuh ist auch
umgekommen."
Man drängte sich neugierig heran und nahn:
die Heftchen zur Hand. „Das Stück kostet nur
einen Pfennig", sprach der Haussier ermunternd.
Da regneten plötzlich die Pfennige nur so auf den
Tisch und der Kasten des Haussiers war schier
unerschöpflich, den:: es kamen immer neue Exem-
plare der Prophezeiung zum Vorschein und die
starke Nachfrage wurde voll befriedigt. Darauf
zahlte der Haussier seine Zeche, verabschiedete sich
seelcnvergnügt von den Bauern und lenkte seine
Schritte den: nahen Walde zu, in der Richtung,
wo die Försterei lag.
Es war nun ungewöhnlich still in: Wirths-
chause, denn die Gäste buchstabirte:: bedächtig an
ihrer Prophezeiung herum. Aber die meisten
kamen nut den: Lesen nicht leicht zurecht, und so
begrüßten sie es sehr beifällig, als der wackere
Einödbauer, einer der Intelligentesten in: Dorfe,
mit großer Hornbrille auf der Nase sich erbot, das
Wunderwerk des berühmten Schäfers vorzulesen.
„Und ich will den Mantel des Propheten um-
thun und Euch verkündigen, was ich geschaut habe",
begann die Vorlesung im Bibelton.
„Es ist die heutige Welt schlecht und verderbet
wie ehemals, da Sodom und Gomorrha mit Pech
und Schwefel vernichtet wurden.
„Dem armen Bauern werden unerschwingliche
Lasten anferlegt von den großen Herren, den
Adeligen und den Kapitalbesitzern. Kann der
Bauer Pacht oder Zinsen nicht pünktlich zahlen,
so wird er von Haus und Hof gejagt und zum
Bettler gemacht."
Die Bauern nickten andächtig; mancher seufzte,
denn er hörte hier sein eigenes Schicksal ver-
künden. Der Vorleser fuhr feierlich fort:
„Der Arbeiter wird nicht mehr seines Lohnes
werth erachtet, sein Verdienst ist gering. Schlecht
 
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