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Der wahre Jakob: illustrierte Zeitschrift für Satire, Humor und Unterhaltung — 14.1897

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https://doi.org/10.11588/diglit.6610#0252

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— 2594

Europas Schurerzen.

In ganz Europa liest das Mißvergnügen
Man in der weisen Staatenlenker Zügen,
Und nur das Eine kann man spöttisch fragen:
wer hat das schwerste Bündelchen zu tragen?
In Oestreich ist's besonders lustig heute,
Es schnappen pol' und Tscheche nach der Beute,
Auch Luegers Heer, die Christlich-Sozialen,
Sie Alle wollen ihren Senf alleine mahlen.
Der einz'ge Fels in der Erscheinung Flucht
Ist nur der Sozialisten stramme Manneszucht.
Viktoria sucht mit aufgeblas'nen Backen
Die leidige Afridi-Nuß zu knacken,
Doch kostet ihr die Arbeit manche Thräne,
Denn wacklig sind und hohl die meisten Zähne.
Der Uampfstier Euba spießt in seinem Zorne
Alsonso's Reich mit seinem spitzen Hörne,
Und man versucht umsonst mit guten Brocken
In seinen Stall zurück das Thier zu locken.
Italien steckt voll Macchiavellis List,
Der Dreibund längst ein Dorn im Äug' ihn: ist,
Drum mit Old-England hat's ganz ungenirt
Ein Zweibunds-Techtelmechtel inszenirt.

Der Türke fragt sich zweifelnd und beklommen:
„wirst du vom Griechen auch dein Geld bekommen?"
Der Grieche aber sinnt umsonst auf Tücken,
Um die Bezahlung sich herumzudrücken,
Denn diese geht ihm wirklich an die Nieren,
Da er gewöhnt, die Gläub'ger anzuschmieren.
Der Schmerz, den Alle leiden, ist ein echter:
Frankreich und Deutschland aber geht's-noch schlechter.
Die beiden sind die wahren Lazarusse.
Auf Frankreichs Tasche liegt der biedre Russe
Und Frankreichs Sparern liegt bedenklich nah
Auf diese Art ein zweites Panama.
Nachdem verraucht das erste Freudenfeuer,
Nennt man die Zaren-Allianz — zu theuer.
Dem Deutschen aber — ihm versagt die Rotte
Der Schwarzen und der Rothen eine Flotte,
Obgleich er doch nach menschlichen Begriffen
Noch viel zu wenig hat an Panzerschiffen.
Weib, Rind, Haus, Hof, Magd, Vieh kann man entbehren —
Man lebt und stirbt dann arm, jedoch in Ehren,
Man existirt und sei es auch beschwerlich —
Die Schiffe aber, die find unentbehrlich,
Und somit ist das schwerste Loos von allen
Dein armen Deutschen wieder zugefallen.

Inhalt der Unterhaltung«-Beilage.
Zur badischen Landtagswahl. (Jllustrirt.) — Hyäne, Wolf
und Bär. Eine Fabel. — Vor fünfzig Jahren. Fall des
schweizerischen Sonderbunds im Winter 1847. — Zwei Bilder
aus unseren Tagen. Gedicht. (Jllustrirt.) — Des Wander-
burschen Freud und Leid. VII. Jllustrirt. (Schluß.) — Der
Streich eines Taugenichts. (Illustration.) — Auf dem Standes-
amt. (Jllustrirt.) — Anzeigen.

Willkommen.
iWenn die Wintersruhe nieder
Sich aus Wald und Nluren senkt,
Regl's im Varkament sich wieder,
Wo des „Volkes Wohl" man lenkt.
Ja, die Herren sind beisammen,
Und es nimmt sich prächtig aus,
Wenn mit Patriot'schen Mammen
Wird geheizt bas hohe Haus.
König Ltumm mit Herrschermiene
And des eignen Werthes voll,
Tapfer kämpst er für Alarine,
Kirchenzucht und Heringszoll.
Gierig schnappt nach Liebesgaben
Deutschlands edles Junkerthum,
Und des Zentrums schwarze Raken
brächten gern die Sozi um.
Seht, mit welcher schönen Vose
Nhlwardt seine Juden krät,
Dein die Löcher in der Hose
Hat sein Weibchen zugenäht.
Dort des Vaterlandes „Retter"
Rach dem Staatsstreich mächtig schrei'» —
Ja, ein Schauspiel muß für Götter
Solche „Volksvertretung" sein.
Heuer ist's zum letzten Wale,
Daß in jetziger Gestalt
Sie in des Valastes Saale
Ueket ihres Amts Gewalt.
Deshalb gern sei zugewendet
Dieseni Reichstag Dankbarkeit,
Nur die Kurzweil, die er spendet
An der trüben Winterszeit.

Drr Reitknecht als Minister.
Das Leben eines richtigen Bnrcankraten fließt
sanft und ruhig dahin gleich den Gewässern eines
Mühlgrabens, deren Lauf durch hohe Ufer geregelt
ist, so daß sie sich nicht einfallcn lassen können,
auf eigene Faust das grüne Gelände zu überfluthen.
Auch der königliche Ministerialsekretär Hahne-
mann führte solch ein friedliches Bcamtenleben
und sein Blick schweifte nicht einmal zu den Akten-
bergen der Nachbarbureaus, viel weniger kümmerte
er sich um das Leben und Treiben des großen
Publikums. Er steckte mit gekrümmtem Rücken
sein Gehalt und seine „Nasen" ein, zerfloß in
Ergebenheit vor dem Herrn Staatsminister und
pflegte in seinen kühnsten Träumen nur die Hoff-
nung, einstens die Medaille für treu geleistete
Dienste zu empfangen.
Herr Hahnemann besaß ein schon recht heiraths-
fähiges Töchterlein, welches er zu einer musterhaften
Beamtengattin erzogen zu haben glaubte. Bisher
war ihm aber noch keiner der jüngeren Beamten für
diesen Zweck gut genug erschienen, und Fräulein
Antonie Hahnemann, der das Warten zu lange
dauerte, hatte sich einstweilen in einen flotten
Reitknecht des königlichen Marstalles verliebt.
Das war der erste große Kummer, der die treue
Beamtenseele des Ministerialsckretärs bewegte. Er
hatte ja selbstverständlich den schuldigen Respekt
auch vor der Stalluniform des Hofes, aber es
schauderte ihn förmlich, wenn er daran dachte, den
Kollegen „meine Tochter, die Frau Reitknecht" vor-
stellen zu müssen, und so ward der arme Reitknecht
Konrad Nessclspieß, als er um die Hand des Fräu-
lein Antonie bat, sehr energisch abgewiesen.
Nesselspieß hatte sich, zum großen Kummer
Antoniens, seit dieser Zeit nicht mehr in der
Residenz sehen lassen. Er war nach einem aus-
wärtigen Lustschloß des Königs beordert worden
und vergaß wohl im Eifer der Pflichterfüllung
seinen Liebeskummer.
Ilm diese Zeit gingen in der Residenz sonder-
bare Gerüchte um. Es hieß, der König habe

alle Minister entlassen und mit der Bildung
eines neuen Ministeriums seinen Reitknecht
Nesselspicß beauftragt!
Hahnemann schloß die Augen und sperrte den
Mund auf, unfähig, einen klaren Gedanken zu
fassen. Der von ihm abgewiesenc und beleidigte
Freier seiner Tochter, der arme Reitknecht ein
königlicher Günstling und Ministerpräsident!
Die Verwirrung war eine allgemeine, man
wußte nicht, ob man den glücklichen Reitknecht
festlich empfangen oder verhaften solle... nur
der junge, pfiffige Bureaudicner Hahnemanns
behielt den Kopf oben. Er rieth dem Sekretär,
sofort um eine Audienz bei Nesselspieß sich zu
bemühen und um gutes Wetter zu bitten. Er,
der Bureaudicner, wolle die Sache vermitteln.
Noch am Nachmittag desselben Tages erschien
der Ministerialsekretär Hahnemann in den duf-
tenden Hallen der königlichen Pferdeställe, um der
neuen Exzellenz seine Aufwartung zu machen.
Nesselspieß empfing den alten Beamten, der
sich unter tiefen Bücklingen näherte, mit der
Miene eines Imperators und deutete dann mit
gnädigem Winke auf eine Haferkiste, wo Herr
Hahnemann schüchtern Platz nahm.
„Was wollen Sie?" fragte Nesselspieß.
Hahnemann erläuterte in langer, wohlgesetzter
Rede, wie er es bereue, den hohen Herrn durch
seine Weigerung betreffs der Hand seiner Tochter
gekränkt zu haben, und wie er entschlossen sei,
dem Bunde seinen Segen zu geben.
„Sehr vernünftig von Ihnen. Werde mir's
überlegen", sagte Nesselspieß hochmüthig.
Nun wagte der Sekretär einige Fragen —
was denn wohl aus dem Ministerium seines
Ressorts würde? Die Beamten blieben doch
hoffentlich in ununterbrochener Thätigkeit; das
Wohl des Staates erfordere es ja.
Aber Nesselspieß schüttelte den Kopf. Er habe
Befehle in der Tasche, die ganz anders lauteten.
Die Bude werde geschlossen und die Akten an
die Käsehändler verkauft, damit Geld in die Kasse
komme.
 
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