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Der wahre Jakob: illustrierte Zeitschrift für Satire, Humor und Unterhaltung — 14.1897

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. 2598

Vor fünfzig Jahren.
Der Fall des schweizerischen Sonderbundes im Winter 1847.*
„In Italien geht es ja prächtig jetzt", schrieb
Ferdinand Freiligrath am 12, April 1848; „erst
die Schweiz, nun Neapel, — wo die Revolution
auftritt, da siegt sie. Wäre nur auch erst Deutsch-
land so weit! Ohne Revolution geht's nicht. Mit
ihr - ?a ira." Und bald jauchzt er heraus aus
dem Londoner Nebel:
„Im Hochland siel der erste Schuß —
Im Hochland wider die Pfasfen!
Da kam, die fallen wird und muß.
Ja die Lawine kam in Schuß —
Drei Länder in den Waffen!
Schon kann die Schweiz von Siegen ruhn:
Das Urgebirg und die Nagelfluhn
Zittern vor Lust bis zum Kerne!"
Wie hätten die ehrlichen Alpenhäupter sich nicht
freuen sollen, endlich wieder zu wissen, wem sie
gehörten — endlich zu ihren Füßen eine freie
Eidgenossenschaft zu schauen, nicht mehr nur ein
Häuflein Kantone, in denen vom ersten Land-
ammann herunter bis zum letzten Bettelsack Alles
souverän, Vieles ehrwürdig alt, — auch elend
verwahrlost war.
Umsonst hatten die Walliser Offiziere ihre
Säbel in Berührung mit Reliquien gebracht, um-
sonst die Freiburger Soldaten Amulette unters
Hemd geschoben, umsonst die Priester der
Waldstätte Bittgänge angeordnet. Es blitzten
nirgends an den Grenzen jene fremden Bajonette,
auf welche man so fest gerechnet. Der reaktionäre
Sonderbund erlag; die „Invasions-Kanaille" —
so ward das eidgenössische Heer von einem Hof-
blatt genannt — warf ihn gründlich nieder.
Die Vorsehung hält es auch mit der Kanaille,
wenn diese gesunde und frische Gedanken hegt.
Ueber der Schweiz flammte 1798 ein kurzes
verheißendes Morgenroth auf; es waren die
Tage der einen und untheilbaren Republik, der
vielverlästerten Helvetik. Viel zu früh gekommen,
konnte sie nicht auf die Dauer bestehen; der
Boden wankte unter ihr. Doch hatte sie herrliche
Saat ausgestreut, den Volkskörper verjüngt, die
Zeichen der Zukunft aufgepflanzt. Die Besten der
Nation vergaßen sie nicht; sehnsüchtig schauten
sie nach ihr zurück, wie nach dem verlorenen
Paradiese; sie war ihr Traum, bei ihr holten sie
Hoffnung, Ideen, Impulse. Und wenn unter
der Restauration die Profoßen der heiligen Allianz
die Lichter ängstlich ausbliesen, so störte dies wohl,
doch fand die Entwicklung auch im Dunkeln
langsam ihren Weg.
Der Wiener Kongreß hatte ans der Eid-
genossenschaft gemacht, was deren Nachbarn
wünschten, einen impotenten Staatenbund, der,
ward er von außen frech chikanirt und beleidigt,
das geschah recht häufig, devot sich beschweren
durfte. Auf den Stühlen hatte noch einmal das
Patriziat Platz genommen; schroff gegen die
eigenen Unterthanen, dienerte es vor fürstlichen
Herrschaften wie besessen und handelte mit Söldnern.
Die tüchtigen Elemente regten sich; zwar
schüchtern erst, — noch war es gefährlich, wider
den Stachel zu löckcn, die gnädigen Herren spaßten
nicht. Erst nach 1830, da es von Westen her
freiheitlich zuckte, schritt Leben durch das Schweizer
Haus. In einer Reihe von Kantonen lösten die
Volksversammlungen einander ab, den Städten
wurden die Privilegien abgezwackt. Die Aspi-
rationen des kleinstädtischen Bllrgerthums und
der aufgeklärten bäuerlichen Magnaten verfechtend,
trat der Radikalismus in die Aktion. Er hatte
Helle Augen, war arbeitsfreudig und ungenirt,
sehr autoritär und leider — gar nicht demokratisch,


so daß er's früh mit den Massen verdarb; ein
Neuherrcnthum schoß in die Halme. Und die
fatale Folge war, daß der Versuch einer Um-
gestaltung des Paktes von 1815 scheiterte. Nicht
der Einspruch der Mächte war daran schuld, —
Mißtrauen und Lauheit des Volkes tödteten den
Entwurf; er ließ die Zcntralisten kalt, konvenirte
auch ihren Gegnern nicht und anderthalb Dezennien
lang blieb nun die Sache im Winkel liegen. Man
schalt auf die Ohnmacht der Tagsatzung, jammerte
ob den die Kräfte absorbirenden Wirrwarr, be-
klagte die Verfahrenheit des öffentlichen Lebens
und zürnte der Diplomatie, die fortwährend infam
stänkerte, die Flüchtlings-Umtriebe zum Vorwand
nehmend. Aber der Pauke ein Loch zu machen,
wollte nicht gelingen; den: Zentralismus gebrach
es noch an Kraft, den Föderalismus zu bändigen;
es mußte sich dieser selbst abwirthschaften.
Und dieser besorgte den Auftrag gut. Zwar
nach der Dreißiger Periode, in welcher herzhaft
aufgeräumt, vielfach nur zu gewaltthätig hantirt
worden war, konnte er glauben, sein Weizen blühe
abermals. Die Züricher Straußiade schien das
Signal einer Umkehr zu sein. Auf das konfes-
sionelle Gebiet überspringend ward der Kampf
brutal und grausam. Die Parteien schlugen
aufeinander los, „daß cs nur so flutschte".
Das war eine Zeit der lustigen und grimmen
Putsche, da man auf die Gesetze pfiff, Begehren
mit dem Knüppel unterstrich, wohl auch aus der
Rathsstube geschwind sich entfernte, daheim den
Stutzen von der Wand herunter zu holen. Der
Vorstoß des Kantons Aargau gegen seine reni-
tenten Klöster, die Berufung der Jesuiten nach
Luzern, die Freischaarenzüge und andere turbulente
Vorgänge entfachten die wildeste Leidenschaft —
hüben wie drüben. Verzagte sahen ein Ende mit
Schrecken nahen, den Muthigen ward es gewiß,
daß ihnen die Waffen den Sieg geben werden. Auch
ein noch zartes, kaum flügge gewordenes Poetlein,
Gottfried Keller, riß der Gemüther Sturm mit;
er warf ein zorniges Frühlingslied auf's Papier:
„Der Lenz ist nah, die Lawine fällt.
Sie rollt mit Brausen und Tosen ins Thal,
Ich hab' mein Hüttlein daneben gestellt
Auf grünende Matt' am sonnigen Strahl.
Und ob auch mein Hüttlein die Lawine trifft
Und nieder es führet in donnerndem Lauf:
Wenn wieder trocken die Alpentrift
So bau' ich mir singend ein neues auf.
Doch wenn in meines Landes Bann
Die verödende Laue der Knechtschaft fällt:
Dann zünd' ich selber mein Hüttchen an
Und ziehe hinaus in die weite Welt!
Denn lieber gepeitscht in Sibirien sein.
Viel lieber mit Türken Allah sch rein.
Als in Zwinglis Volk Jesuitentrabant!"
Jur Sommer 1846 erfuhr man definitiv, daß
sieben katholische konservative Stände — Uri,
Schwyz, Unterwalden, Luzern, Zug, Wallis und
Freiburg — ganz heimlich ein Scparatabkommcn
getroffen hatten — den Son derb und! — den
Zcntralisten zum Trutz, der Kirche zum Schutz.
Er war das Werk verbissener Machthaber, die
nicht um eines Fingers Breite von ihren ver-
schimmelten „Rechten" opfern wollten. Sie thaten
gleich sehr dicke, schwangen sich auf's hohe
Roß, setzten einen dummen Kriegsrath ein, wähl-
ten einen General, rasselten mit den rostigen
Heldenschwertern, riefen die heilige Jungfrau —
viel inbrünstiger aber noch das Ausland an.
Daß dieses intervenireu werde, war ihre sichere
Voraussetzung. Es hatte ihnen ermunternd zu-
genickt, einiges Kleingeld in die Tasche geschoben,
Flinten geschickt, auch etliche Kanonen. Damit
erschöpfte sich jedoch die Leistung von dieser Seite.
Die Diplomaten waren geistreich wie immer, nur
kamen sie zu spät mit ihrer nichtsnutzigen Zettelung.
Im freisinnigen Lager sputete man sich. Das
Zaudern konnte nicht weiter gehen, das war auch

die Meinung bedächtiger Kreise. Der Sonderbuud-
ring mußte zertrümmert, der Jesuitenorden aus-
gewiesen, die Bundesrevision angefaßt werden,
anders war kein Heil gedcnkbar. Es galt die
Tenne zu säubern und auf der Tagsatzung fügte
sich endlich die Majorität der Stimmen zusammen;
war sie auch knapp, so genügte sie vollauf und
sie wußte sich eins mit den rührigsten Schichten,
mit der Volks-Elite. Und ivar nicht der Führer
der Freischaarenexpedition von 1845, über den
eine Fluth von Hohn und Haß sich ergossen, war
nicht Ochsenbein zum ersten Mann in Bern, dem
ersten Kanton der Schweiz aufgerückt? Schon
diese Thatsache verrieth den intensiven Druck. Er
war es, der im Juli 1847 die entscheidende
Session der Tagsatzung durch eine Rede eröffnete,
die mit ihrem zuversichtlichen Ton und ihrer
Ahnung des nahenden Kehraus in den Ohren
der Staatsmänner herkömmlicher Sorte unheim-
lich klang:
„. . . Inmitten einer neuen geistigen Welt
stehen die alten sichtbaren Pfeiler der Vorzeit,
die mumienhaften sozialen Einrichtungen, an-
gehörend einer längst entschwundenen Anschauungs-
weise, anderen Begriffen, anderen Verhältnissen und
Bedürfnissen, auf keine anderen Grundlagen ge-
stützt als auf die Macht der Gewohnheit, des
Ehrgeizes oder des Eigennutzes, — Strukturen,
welche bei der leisesten Erschütterung wie ver-
wittertes Gemäuer auseinanderzufallen drohen.
Einzig der Verstocktheit gegenüber dem
geistigen Wehen derZeit, einzig der geisti-
gen Verwahrlosung der Institutionen,
einzig dem einem ausgebrannten Krater
gleichenden Innern der politischen Ver-
fassungen muß das die Staaten Europas
durchzuckende Feuer zu geschrieben werden.
Das Gewitter leuchtet, aber der europä-
ische Staatenkoloß achtet seiner nicht,
denn er schläft, — aber einen gefähr-
lichen Schlaf."
Das Ausland, versicherte zum Schluffe der
Sprecher energisch, möge nur keine Illusionen
hegen. Was auch Sophisten einwerfen, die Schweiz
sei kompetent, sich zu konstituiren und stark durch
die Sache wie durch die Sympathien der ringen-
den Völker werde sie wahren, was einstens die
Väter errungen . . . Bon den Vertretern des
„Staatenkoloffes" waren nur sechse zugegen; über
den Inhalt dieses „revolutionären Manifestes" wohl
im Voraus unterrichtet, hielten diejenigen Preußens
und Rußlands und Oesterreichs sich fern; schon
darin prägte sich die „Einigkeit" der Kabinette aus.
Und endlich „fiel der erste Schuß". Nicht, daß
der Sonderbund hitzig angepackt, überrumpelt
worden wäre. Man ließ ihm ordentlich Frist;
bis in den Oktober hinein ward unterhandelt.
Er lehnte jede Vermittlung unwirsch ab. Der
Krieg werde lehren, erwiderten seine Macher, —
im Stillen gleichwohl erwartend, es werde der
Kelch vorüber gehen. Sogar der Höchstkomman-
dirende von Salis-Soglio, sonst ein rechter Hau-
degen, bezweifelte sehr ein ernstes Schlagen; dafür
hatte er gleich die schönsten Händel mit seinem
Stabschef. Es herrschte kein „Elan" um ihn
herum; durch einen kühnen Ausfall gegen die Aare
hin wäre Dufour, der sehr methodische General
der eidgenössischen Truppen, wohl arg ins Ge-
dränge gebracht worden. Man warnte ihn. „Sie
wagens nicht", entgegnete er; er kannte die Leute.
Seine Divisionen — im Ganzen an die neunzig-
tausend Mann — rückten ungestört in ihre Po-
sitionen ein, das eiserne Netz ward geworfen, zog
sich zusammen und dann erfolgte der Angriff auf
Freiburg. Es kapitulirte. Das Heer marschirte
nunmehr gegen Luzern; auch dieses fiel nach
wenigen scharfen Gefechten. Am 24. Nov. 1847
zogen die Eidgenossen in die Stadt ein. Der
Sonderbund war erdrückt; die kleinen Hirten-
 
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