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Äinster stieg die schroffe Kuppe des Wildbergs in die Höhe: die
Klingsteinzacken reckten sich wie starre Wildberger Felsenfinger empor und
nm den Gipfel wallten die Nebel. Der bleiche Schein der Sonne verglomm,
und über der weißen Schneefläche regte sich kein Leben. Entlaubt die
Bäume, verdeckt unter dm Flocken die Gräser und Moose, kein Vogel, kein
Wild. Die eisigen Schauer des Wintcrtages hatten die Fluren entvölkert.
Scharf hob sich von dein grauen Hintergründe, dein wogenden
Wolkengeschiebe, dem fliegenden Nebelschleier, die stolze Königstanne ab,
die stracks in die Lüfte wipfelte, auf deS Wildbcrges höchstem Schroffen.
In dunklem Grün prangten die Nadeln, hundert feine und schöngeformte
Neste und Zweige waren an dem Edelbaum emporgcsproßt, und der
Schnee war wie ein krystallner Staub mit leichter Hand darüber ge-
streut, daß er in tausend Strahlen prangte. Mit den ersten Schatten der
Dämmerung kamen die blinkenden Gestirne, die still ihre Bahnen zogen;
die Venus that sich strahlend auf, und bald war das Firmament übersät
mit den goldenen Lichtern, ein Krönungsmantel, überstickt mit Sternen.
Uebcr der Königstanne oben auf der Kuppe flammte ein prächtiger
Stern, und sie stand hoch oben in der schweigenden Größe und Ein-
samkeit, ein Wahrzeichen und Leuchtthurm.
Unten aber im Thale tönte plötzlich eine süße, Weiche Kinderstimme,
klagend, schmerzbewegt. Ein lockiger, blauäugiger Knabe irrte auf der
Schneefläche umher, in grobes Tuch gekleidet, das ärmliche Gewand
zerschlissen und geflickt, das Haupt bloß, dem Oftwind preisgegeben.
Er athmete schwer, denn der Frost ließ den Hauch in der Luft gefrieren,
und bei jedem Schritte sank der Fuß tiefer iu Schnee und Eis. Bis
zur Kreisstadt war es noch weit; über den Wildbcrg hinüber, dann
noch zwei geschlagene Wegstunde». Doch der Schulze hatte das Ge-
meiudekind in Nacht und Nebel noch geschickt, einen Brief aufs Land-
rathsamt zu tragen. Der Georg war ja jung und lebte von des Dorfes
Almosen im Hirtenhause. Also vorwärts, Bursche, und spute Dich!
Leise, verloren klangen aus der Ferne die Klänge der Glocken,
schwangen auf und nieder und vertäuten dann wie ein Hauch; sie
läuteten zur Christmette.
Dem Georg, dem Waisenknaben, putzte Niemand heute ein Bäum-
chen, Keiner gedachte seiner in zarter Neigung, er that Botendienste am
heiligen Abend. Die Wachskerzchen werden jetzt angezündet, der
glitzernde Flittertand zittert an den Tännchen, die vergoldeten Nüsse
und Acpfel schwanken am Drahte, die Lebkuchen locken, auf dem Tische
liegen die Gaben, wärmende Socken, Bilderbücher, all' die Herrlichkeiten,
die ein Kinderherz entzücken.
Vorwärts, Georg! Und er klomm die Nagelfluhklippen empor,
glitt, rutschte aus, erhob sich wieder, und ward so müde. Höher, höher,
da wo die Kuppe emporragt, wo die Königstanne ihre Krone in die
Lüfte reckt!
. Nun ist er oben, und mit hunderttausend Lichtern ist die Königs-
tanne besteckt. Auf jedem Aestchen, auf jeder Nadel leuchtet es, blaue
Flammen züngeln aus dem Geäst, und auf dem Wipfel glüht der
wundersame Stern, erhellt den Bergesgipfel und scheint so mild und
warm. Und auf dem steinigen, öden Grunde, wo sonst kein Hälmchen
gedeiht, sprießt, knospet, blüht und duftet ein ganzer Blumengarten,
Veilchen nicken, weiße Lilien heben ihre schlanken Leiber zagend empor,
Rosen und Jasmin strömen ihren berückenden Athem aus, und im Ge-
büsche schlägt die Nachtigall. Und ein hundertstimmiger Chor feiner,
zarter, schmelzender Sümmchen echoet die Triller der Nachtigall. In
den Lüften aber erklingt eine liebliche Musik, eine Kapelle von Lauten-
schlägern und Harfenspielern bringt zu dem Feste ihre holdseligen Gaben
dar; eine Fülle von herzergreifenden Melodien ergießt sich, und dem
Georg wird es so weich und wohl ums Herz.
Nun steht er vor dem Tannenbanm. Nein, ist der reich geschmückt!
Was für wunderschöne Spielsachen, welche Köstlichkeiten hängen daran,
gar nicht zu zählen! Nie geahnte Freuden, nie geschaute Herrlichkeiten,
auserlesene Dingerchens sind da zu finden. Nur zuzugreifen braucht
der Georg, und er hat sie. Was soll er zuerst nehmen? Den knus-
perigen Pfefferkuchen oder das wärmende Pelzröckchen, das feine Ball-
spiel oder das weiche Daunenbettchen? Da ein Pferd, ein wirkliches,
schnaubendes, glattes, feuriges Rößcheu, ein Rappe, wie ihn Keiner auf
zehn Meilen in der Runde hat, dort ein goldenes Uehrchen mit feinem
Kettchen, die auserlesenste Goldschmiedsarbeit. Und Bücher, und Bilder,
und gleißende Marmvrgestalten, ein stattliches Landhaus, gleich gerüstet
Äinster stieg die schroffe Kuppe des Wildbergs in die Höhe: die
Klingsteinzacken reckten sich wie starre Wildberger Felsenfinger empor und
nm den Gipfel wallten die Nebel. Der bleiche Schein der Sonne verglomm,
und über der weißen Schneefläche regte sich kein Leben. Entlaubt die
Bäume, verdeckt unter dm Flocken die Gräser und Moose, kein Vogel, kein
Wild. Die eisigen Schauer des Wintcrtages hatten die Fluren entvölkert.
Scharf hob sich von dein grauen Hintergründe, dein wogenden
Wolkengeschiebe, dem fliegenden Nebelschleier, die stolze Königstanne ab,
die stracks in die Lüfte wipfelte, auf deS Wildbcrges höchstem Schroffen.
In dunklem Grün prangten die Nadeln, hundert feine und schöngeformte
Neste und Zweige waren an dem Edelbaum emporgcsproßt, und der
Schnee war wie ein krystallner Staub mit leichter Hand darüber ge-
streut, daß er in tausend Strahlen prangte. Mit den ersten Schatten der
Dämmerung kamen die blinkenden Gestirne, die still ihre Bahnen zogen;
die Venus that sich strahlend auf, und bald war das Firmament übersät
mit den goldenen Lichtern, ein Krönungsmantel, überstickt mit Sternen.
Uebcr der Königstanne oben auf der Kuppe flammte ein prächtiger
Stern, und sie stand hoch oben in der schweigenden Größe und Ein-
samkeit, ein Wahrzeichen und Leuchtthurm.
Unten aber im Thale tönte plötzlich eine süße, Weiche Kinderstimme,
klagend, schmerzbewegt. Ein lockiger, blauäugiger Knabe irrte auf der
Schneefläche umher, in grobes Tuch gekleidet, das ärmliche Gewand
zerschlissen und geflickt, das Haupt bloß, dem Oftwind preisgegeben.
Er athmete schwer, denn der Frost ließ den Hauch in der Luft gefrieren,
und bei jedem Schritte sank der Fuß tiefer iu Schnee und Eis. Bis
zur Kreisstadt war es noch weit; über den Wildbcrg hinüber, dann
noch zwei geschlagene Wegstunde». Doch der Schulze hatte das Ge-
meiudekind in Nacht und Nebel noch geschickt, einen Brief aufs Land-
rathsamt zu tragen. Der Georg war ja jung und lebte von des Dorfes
Almosen im Hirtenhause. Also vorwärts, Bursche, und spute Dich!
Leise, verloren klangen aus der Ferne die Klänge der Glocken,
schwangen auf und nieder und vertäuten dann wie ein Hauch; sie
läuteten zur Christmette.
Dem Georg, dem Waisenknaben, putzte Niemand heute ein Bäum-
chen, Keiner gedachte seiner in zarter Neigung, er that Botendienste am
heiligen Abend. Die Wachskerzchen werden jetzt angezündet, der
glitzernde Flittertand zittert an den Tännchen, die vergoldeten Nüsse
und Acpfel schwanken am Drahte, die Lebkuchen locken, auf dem Tische
liegen die Gaben, wärmende Socken, Bilderbücher, all' die Herrlichkeiten,
die ein Kinderherz entzücken.
Vorwärts, Georg! Und er klomm die Nagelfluhklippen empor,
glitt, rutschte aus, erhob sich wieder, und ward so müde. Höher, höher,
da wo die Kuppe emporragt, wo die Königstanne ihre Krone in die
Lüfte reckt!
. Nun ist er oben, und mit hunderttausend Lichtern ist die Königs-
tanne besteckt. Auf jedem Aestchen, auf jeder Nadel leuchtet es, blaue
Flammen züngeln aus dem Geäst, und auf dem Wipfel glüht der
wundersame Stern, erhellt den Bergesgipfel und scheint so mild und
warm. Und auf dem steinigen, öden Grunde, wo sonst kein Hälmchen
gedeiht, sprießt, knospet, blüht und duftet ein ganzer Blumengarten,
Veilchen nicken, weiße Lilien heben ihre schlanken Leiber zagend empor,
Rosen und Jasmin strömen ihren berückenden Athem aus, und im Ge-
büsche schlägt die Nachtigall. Und ein hundertstimmiger Chor feiner,
zarter, schmelzender Sümmchen echoet die Triller der Nachtigall. In
den Lüften aber erklingt eine liebliche Musik, eine Kapelle von Lauten-
schlägern und Harfenspielern bringt zu dem Feste ihre holdseligen Gaben
dar; eine Fülle von herzergreifenden Melodien ergießt sich, und dem
Georg wird es so weich und wohl ums Herz.
Nun steht er vor dem Tannenbanm. Nein, ist der reich geschmückt!
Was für wunderschöne Spielsachen, welche Köstlichkeiten hängen daran,
gar nicht zu zählen! Nie geahnte Freuden, nie geschaute Herrlichkeiten,
auserlesene Dingerchens sind da zu finden. Nur zuzugreifen braucht
der Georg, und er hat sie. Was soll er zuerst nehmen? Den knus-
perigen Pfefferkuchen oder das wärmende Pelzröckchen, das feine Ball-
spiel oder das weiche Daunenbettchen? Da ein Pferd, ein wirkliches,
schnaubendes, glattes, feuriges Rößcheu, ein Rappe, wie ihn Keiner auf
zehn Meilen in der Runde hat, dort ein goldenes Uehrchen mit feinem
Kettchen, die auserlesenste Goldschmiedsarbeit. Und Bücher, und Bilder,
und gleißende Marmvrgestalten, ein stattliches Landhaus, gleich gerüstet