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Auch ein Weihnachtsgeschenk.
Herr Culpcnlhal theilt seinem altadeligen Schwiegersohn mit, daß er Pleite gemacht hat.
Aufwärts.
^Aenn Sorgenflnthen mich umbrausen
Und mich das Leid zur Tiefe zieht.
Wenn Schicksalsstürme mich umsausen
Und jedes lichte Zternlein flieht:
Dann heb' ich auf der Dichtung Schwingen
Mich über diese dunkle Welt
Und lass' ein Helles Lied erklingen.
An dem das trübe Leid zerschellt.
wenn mir die Welt mit ihrer Tücke
verfinstert alle Heiterkeit,
Wenn jede Hoffnung brach in Stücke
Und ringsum lagert Dunkelheit:
Dann steig' ich ans der Reime Leiter
Hinauf zum lichten Liedersaal
Und sing' in Tönen ernst nnd heiter
Mich frei von aller Lrdenqual.
Wenn mir im Kampfs droht Lrmatten,
Weil mich der liebste Kreund verließ.
Und alle Halben, alle Latten
Gewendet gegen mich den Lpieß:
Dann stimm' ich an im heißen Grimme
Lin Lied, ein wuchtig Freiheitslied,
Daß vor dem Donner seiner Stimme
Das feile Heer der Unechte flieht.
Das Leid ist mir ein Aucll der Lieder,
Der Lchmerz ein Born der Poesie,
Und jedes neue Leid tont wieder
In mir in neuer Melodie;
Ich singe Lieder, wenn ich leide
Des Volkes Roth, der Menschheit Lchmerz,
Ich singe Lieder, wenn ich leide —
Geschlagen tönt und klingt mein Herz.
- R. Seidel.
Der Maurerstreik.
Humoreske.
Der dicke Rentier Schulze saß beim Frühstück
und verzehrte soeben mit innigem Behagen einige
Bratcnschnittcn, als sein Seelenfrieden in unlieb-
samer Weise durch seine Haushälterin gestört wurde.
„Herr Schulze — der Herr Baumeister Weiß-
kopf wünscht Sie dringend zn sprechen."
Schulze zog eine klägliche Miene. „Was will
denn der schon wieder?" fragte er fast weinerlich.
„Bei Tag und Nacht habe ich keine Ruhe mit
dem verwünschten Bau! In meinem ganzen
Leben balle ich nicht wieder!"
Herr Schulze „baute" sich nämlich gerade
eine stattliche Villa und der Baumeister Weiß-
kopf war das Werkzeug seiner schöpferischen
Thätigkcit.
Weißkopf trat ein und begleitete seinen Gruß
mit einer militärischen Geste. Auch sonst trug
er in seinen Bewegungen absichtlich eine gewisse
unschöne Eckigkeit zur Schau, wodurch er aller
Welt kund und zu wissen thun wollte, daß er die
hohe Würde eines Reserveoffiziers besitze, was
von ihm auch durch Visitenkarte und sonstwie bei
jeder Gelegenheit verkündigt wurde.
„Eine unglaubliche — pyramidale Neuigkeit
bringe ich Ihnen, Herr Schulze", sagte er, nach-
dem er Platz genommen. „Denken Sic —", er
machte eine Kunstpause und fuhr dann mit ver-
nichtendem Hohn fort: „Unsere Arbeiter wollen
streiken! . . . Was sagen Sie dazu?"
Schulze starrte den Besucher eine Weile sprach-
los an, dann sagte er:
„Nein, so was!"
„Drei Punkte sind es, die ihr Ultimatum
enthält", refcrirte der Baumeister, ein Papier
entfaltend.
„Drei Punkte!" wiederholte der dicke Schulze
kopfschüttelnd und biß in eine Wurstscheibe.
„Erstens", fuhr Weißkopf fort, „wünschen die
Arbeiter eine Lohnerhöhung von fünfzehn Prozent
— denken Sic, fünfzehn Prozent! Ist das nicht
stark?"
„Allerdings", bestätigte Schulze, „fünfzehn
Prozent — so viel zahlt heutzutage Niemand."
„Es wäre eine Lohnerhöhung von etwa zwei
bis vier Mark pro Mann und per Woche."
„Na", lenkte Schulze ein, „das ist nicht so
schlimm, das konnte man ihnen ja geben."
„Nein", protcstirte der Baumeister, „dazu sind
wir durchaus nicht verpflichtet, ich bin für
energische Ablehnung."
„Wenn Sic meinen — lehnen wir ab", stimmte
der Rentier zu.
„Der zweite Punkt", sprach Weißkopf, „be-
trifft eine Verkürzung der Arbeitszeit. Den guten
Leutchen beliebt es, künftig anstatt zehn Stunde»
nur neun arbeiten zn wollen."
„Meinetwegen, es ist ja lange genug", sagte
Schulze, der sich eine neunstündige Arbeitszeit
überhaupt nicht vorstellen konnte.
Aber der schneidige Reserveoffizier bekämpfte
auch diese Bewilligung, weil die Arbeiter, wenn
sie zu viel müßige Zeit hätten, sozialdemokratische
Versammlungen besuchten und sonstigen groben
Unfug treiben würden.
„Nun — wie Sic meinen", bemerkte Schulze,
im höchsten Grade ärgerlich über das viele Gerede,
mit dem der Baumeister sein Frühstück störte.
Aber dieser war noch lange nickt fertig. „Es
giebt noch einen dritten Punkt, und das ist der
schlimmste", sagte er bedeutungsvoll. „Diese
Menschen haben so alle Ordnung und Disziplin
vergessen, daß sie es sogar wagen, gegen mich,
den sachverständigen Baumeister ihr Haupt zu
erheben. Sie behaupten — cs ist infam! — ich
verstünde nur zu kommandiren, aber nicht zu
bauen, und sic wünschen eine bessere technische
Leitung, wobei sic die tolle Behauptung aufstellen,
die Pfeiler der Kcllergewölbe seien nicht genügend
tragfähig und bei der weiteren Belastung durch
Fortschreiten des Baues werde die ganze „Bude"
cinstürzen, weshalb sie unter den gegenwärtigen
Umständen nicht weiter arbeiten wollen! Was
sagen Sie zu einer solchen Ungeheuerlichkeit?"
Herr Schulze hatte den Darlegungen des
Baumeisters bisher nur widerwillig mit halbem
Ohre zugehört, jetzt wurde er aber aufmerksam.
„Wie?" fragte er. „Meine Villa soll einstürzen,
wo ich so viel Geld hineingebaut habe? — Und
was würde die Behörde sagen? — Nein, nein,
das müssen Sie sofort ändern, ich will keine
Scherereien haben."
Weißkopf protcstirte in langen technischen Aus-
einandersetzungen, aber der Rentier gab in diesem
Puukic nicht nach.
Der Baumeister mußte sich bescheiden und be-
endete zur großen Genugthuuiig Schulzes die Kon-
ferenz, um sich sofort nach dem Bauplatz zu be-
geben, der nur zehn Minuten weit entfernt war.
Herr Schulze hatte nämlich eigens in der Villen-
vorstadt Wohnung genommen, um seinen Bau
stets persönlich zu überwache» oder, wie er sagte,
selbst zu bauen.
„Achtung!" kommandirte Weißkopf, als er vor
der Baubude des Neubaues stand.
Auch ein Weihnachtsgeschenk.
Herr Culpcnlhal theilt seinem altadeligen Schwiegersohn mit, daß er Pleite gemacht hat.
Aufwärts.
^Aenn Sorgenflnthen mich umbrausen
Und mich das Leid zur Tiefe zieht.
Wenn Schicksalsstürme mich umsausen
Und jedes lichte Zternlein flieht:
Dann heb' ich auf der Dichtung Schwingen
Mich über diese dunkle Welt
Und lass' ein Helles Lied erklingen.
An dem das trübe Leid zerschellt.
wenn mir die Welt mit ihrer Tücke
verfinstert alle Heiterkeit,
Wenn jede Hoffnung brach in Stücke
Und ringsum lagert Dunkelheit:
Dann steig' ich ans der Reime Leiter
Hinauf zum lichten Liedersaal
Und sing' in Tönen ernst nnd heiter
Mich frei von aller Lrdenqual.
Wenn mir im Kampfs droht Lrmatten,
Weil mich der liebste Kreund verließ.
Und alle Halben, alle Latten
Gewendet gegen mich den Lpieß:
Dann stimm' ich an im heißen Grimme
Lin Lied, ein wuchtig Freiheitslied,
Daß vor dem Donner seiner Stimme
Das feile Heer der Unechte flieht.
Das Leid ist mir ein Aucll der Lieder,
Der Lchmerz ein Born der Poesie,
Und jedes neue Leid tont wieder
In mir in neuer Melodie;
Ich singe Lieder, wenn ich leide
Des Volkes Roth, der Menschheit Lchmerz,
Ich singe Lieder, wenn ich leide —
Geschlagen tönt und klingt mein Herz.
- R. Seidel.
Der Maurerstreik.
Humoreske.
Der dicke Rentier Schulze saß beim Frühstück
und verzehrte soeben mit innigem Behagen einige
Bratcnschnittcn, als sein Seelenfrieden in unlieb-
samer Weise durch seine Haushälterin gestört wurde.
„Herr Schulze — der Herr Baumeister Weiß-
kopf wünscht Sie dringend zn sprechen."
Schulze zog eine klägliche Miene. „Was will
denn der schon wieder?" fragte er fast weinerlich.
„Bei Tag und Nacht habe ich keine Ruhe mit
dem verwünschten Bau! In meinem ganzen
Leben balle ich nicht wieder!"
Herr Schulze „baute" sich nämlich gerade
eine stattliche Villa und der Baumeister Weiß-
kopf war das Werkzeug seiner schöpferischen
Thätigkcit.
Weißkopf trat ein und begleitete seinen Gruß
mit einer militärischen Geste. Auch sonst trug
er in seinen Bewegungen absichtlich eine gewisse
unschöne Eckigkeit zur Schau, wodurch er aller
Welt kund und zu wissen thun wollte, daß er die
hohe Würde eines Reserveoffiziers besitze, was
von ihm auch durch Visitenkarte und sonstwie bei
jeder Gelegenheit verkündigt wurde.
„Eine unglaubliche — pyramidale Neuigkeit
bringe ich Ihnen, Herr Schulze", sagte er, nach-
dem er Platz genommen. „Denken Sic —", er
machte eine Kunstpause und fuhr dann mit ver-
nichtendem Hohn fort: „Unsere Arbeiter wollen
streiken! . . . Was sagen Sie dazu?"
Schulze starrte den Besucher eine Weile sprach-
los an, dann sagte er:
„Nein, so was!"
„Drei Punkte sind es, die ihr Ultimatum
enthält", refcrirte der Baumeister, ein Papier
entfaltend.
„Drei Punkte!" wiederholte der dicke Schulze
kopfschüttelnd und biß in eine Wurstscheibe.
„Erstens", fuhr Weißkopf fort, „wünschen die
Arbeiter eine Lohnerhöhung von fünfzehn Prozent
— denken Sic, fünfzehn Prozent! Ist das nicht
stark?"
„Allerdings", bestätigte Schulze, „fünfzehn
Prozent — so viel zahlt heutzutage Niemand."
„Es wäre eine Lohnerhöhung von etwa zwei
bis vier Mark pro Mann und per Woche."
„Na", lenkte Schulze ein, „das ist nicht so
schlimm, das konnte man ihnen ja geben."
„Nein", protcstirte der Baumeister, „dazu sind
wir durchaus nicht verpflichtet, ich bin für
energische Ablehnung."
„Wenn Sic meinen — lehnen wir ab", stimmte
der Rentier zu.
„Der zweite Punkt", sprach Weißkopf, „be-
trifft eine Verkürzung der Arbeitszeit. Den guten
Leutchen beliebt es, künftig anstatt zehn Stunde»
nur neun arbeiten zn wollen."
„Meinetwegen, es ist ja lange genug", sagte
Schulze, der sich eine neunstündige Arbeitszeit
überhaupt nicht vorstellen konnte.
Aber der schneidige Reserveoffizier bekämpfte
auch diese Bewilligung, weil die Arbeiter, wenn
sie zu viel müßige Zeit hätten, sozialdemokratische
Versammlungen besuchten und sonstigen groben
Unfug treiben würden.
„Nun — wie Sic meinen", bemerkte Schulze,
im höchsten Grade ärgerlich über das viele Gerede,
mit dem der Baumeister sein Frühstück störte.
Aber dieser war noch lange nickt fertig. „Es
giebt noch einen dritten Punkt, und das ist der
schlimmste", sagte er bedeutungsvoll. „Diese
Menschen haben so alle Ordnung und Disziplin
vergessen, daß sie es sogar wagen, gegen mich,
den sachverständigen Baumeister ihr Haupt zu
erheben. Sie behaupten — cs ist infam! — ich
verstünde nur zu kommandiren, aber nicht zu
bauen, und sic wünschen eine bessere technische
Leitung, wobei sic die tolle Behauptung aufstellen,
die Pfeiler der Kcllergewölbe seien nicht genügend
tragfähig und bei der weiteren Belastung durch
Fortschreiten des Baues werde die ganze „Bude"
cinstürzen, weshalb sie unter den gegenwärtigen
Umständen nicht weiter arbeiten wollen! Was
sagen Sie zu einer solchen Ungeheuerlichkeit?"
Herr Schulze hatte den Darlegungen des
Baumeisters bisher nur widerwillig mit halbem
Ohre zugehört, jetzt wurde er aber aufmerksam.
„Wie?" fragte er. „Meine Villa soll einstürzen,
wo ich so viel Geld hineingebaut habe? — Und
was würde die Behörde sagen? — Nein, nein,
das müssen Sie sofort ändern, ich will keine
Scherereien haben."
Weißkopf protcstirte in langen technischen Aus-
einandersetzungen, aber der Rentier gab in diesem
Puukic nicht nach.
Der Baumeister mußte sich bescheiden und be-
endete zur großen Genugthuuiig Schulzes die Kon-
ferenz, um sich sofort nach dem Bauplatz zu be-
geben, der nur zehn Minuten weit entfernt war.
Herr Schulze hatte nämlich eigens in der Villen-
vorstadt Wohnung genommen, um seinen Bau
stets persönlich zu überwache» oder, wie er sagte,
selbst zu bauen.
„Achtung!" kommandirte Weißkopf, als er vor
der Baubude des Neubaues stand.