Wir segelten an der Küste von Feuerland
entlang, und es war Nacht. Besondere Leucht-
feuer haben sie da nicht, weil das ganze Land ja
Feuerland ist. Da höre ich auf einmal die
Brandung so dicht bei, daß ich einsehe, wir müssen
über Stag gehen, um vom Land frei zu kommen.
Wir drehen also fix durch. Aber wie das eine
Gaffelsegel herüberhaut, läßt der Mann die Schote
los, daß sie über Bord hängt. Ich springe zu
und greife darnach. In dem Augenblick legt sich
das Schiff stark auf die Leeseite, ich purzle über
die Reeling und pcrdauz ins Wasser. Als ich
wieder hochkomme, höre ich sie rufen: „Mann
über Bord! Der Kaptän!" Ich rufe ihnen zu:
„Haltet weit ab! Kehrt euch nicht an mich!" Nun
schwamm ich aufs Land zu. Die Brandung warf
mich noch ein paarmal koppheister, aber dann
war ich am Strand.
Bald wurde es Morgen, und ich traf zwei
riesige Feuerländer, die mich Mitnahmen. Ich
wurde vor den Häuptling geführt, um den sich
die ganze Mannschaft versammelte. Erst konnten
wir uns gar nicht verstehen. Aber schließlich fand
sich ein kolossaler Kerl, der etwas Englisch ver-
stand. Er war auf See gewesen, hatte sogar
eine Reise mit einem Woermaunschen Dampfer ge-
macht. Er war aber wegen allzu nobler Behand-
lung und zu wenig Dienst im ersten besten Hafen
ausgerückt. Der spielte nun den Dolmetscher.
Ter Häuptling verlangte, und auch die Anderen
mit großem Geschrei, ich solle von meinen Reisen
erzählen. Ich überlegte nicht lange, wie ich es
für dieses Publikum interessant machen könnte.
So erzählte ich denn, was ich alles schon an-
gclroffen hätte, Menschen mit zwei Köpfen,
Zwerge, die auf Mondkälbern ritten, feuerspeiende
Schlangen, fliegende Elephnnten und mehr so'n
Zeugs. Der Dolmetscher sah mich einigemale
etwas ungläubig an, aber dann erklärte er der
lauschenden Menge alles mit schreiender Stimme
und mit Armen und Beinen zappelnd. Jedes-
mal, wenn er wieder ein neues Naturwunder
beschrieben hatte, brach ein markerschütterndes
Beifallsgehcul los. Der Häuptling nickte aller-
gnädigst und ließ mir, wenn es ihm besonders
gefiel, seine große Brauntweinflasche reichen.
Nachdem ich einige Stunden geruht hatte und
gut verpflegt worden war, mußte ich wieder heran,
alles lief zusammen, um mich iveiter erzählen zu
hören. Die Leute waren aber sehr liebenswürdig
gegen mich und betrachteten mich, so oft sie in
meine Nähe kamen, mit wohlgefälligen Blicken.
Aber die Sache wurde mir doch unheimlich, als
Einer, der etwas verhungert aussah, mciue Arme
und meine Nippen befühlte und dann den Kopf
schüttelte, als fei ich noch nicht fett genug. Ich
mußte an den Namen Feuerland denken und an
die Möglichkeit, daß die Kerls mich wohl gar am
Feuer braten wollten. Nun, solange ich ihnen
was erzählen konnte, würden siestuich gewiß leben
lassen.
So ging das einige Tage. Da fühlte ich mit
Schrecken, daß mir der Erzählungsstoff ausgehen
wollte. Ich raffte mich aber auf und redete von
merkwürdigen Bäumen, auf denen Flaschen mit
Branntwein wachsen, und von Fischen, die das
Singen lernen. Das wurde noch sehr gut aus-
genommen. Dann aber, als ich meine Phantasie
gänzlich erschöpft hatte, sing ich in meiner Herzens-
angst an, etwas aus der Wirklichkeit herzusuchcn,
was wohl gern und mit Staunen gehört werde.
Ich verfiel auf Helgoland. Als ich den Namen
nannte, sprang mein Dolmetscher vor Freuden
in die Lust und rief: „Oo8 HelooMucl! löuAlisb!"
— „blo, boz-Z sagte ich, „ist jetzt deutsch."
Er gab nun mit Armen rind Beinen und lautem
Krächzen seinen Landsleuten ein möglichst anschau-
liches Bild von der zierlichen Insel. Als ich dann
aber den jetzigen Zustand der Insel schilderte, wie
das Ganze eine Festung vorstelle, hier eine Kanone
und dort eine noch größere Kanone, da fletschte
er die Zähne gegen mich, und es machte ihm
augenscheinlich wenig Freude, ihnen das auf feuer-
ländisch zu verdeutschen. Dies fand nun mich
sehr wenig Beifall. Der Häuptling nahm einen
tüchtigen Schluck, ließ mir aber das Nachsehen.
Es dämmerte schon, aber sie verlangten noch
'was von mir zu hören. Da fing ich an, ihnen
die gegenwärtigen deutschen Zustände zu beschreiben.
Ich setzte ihnen auseinander, daß hier nur der
Soldat und der Polizist 'was zu sagen hat. Der
Dolmetscher beschrieb ihnen nun umständlich eine
Pickelhaube. Der Häuptling aber ließ sich ein
großes tutenförmiges Blatt abpflücken und stülpte
sich das auf den Schädel, so daß der abgebrochene
Stengel nach oben zeigte. Dann richtete er sich
hoch auf und tippte sich immerzu mit dem Finger
auf die Brust, wobei er jedesmal init breitmäu-
ligem Grinsen schnarrte: „Ah, Preuß, Prcuß!"
So, dachte ich, jetzt bist du im richtigen Fahr-
wasser. Ich erzählte also, wie unsere Polizisten
mit Bürgern auf der Wachtstube umgehen, was
für Urtheile unsere Richter fällen, wie die Sol-
daten von ihren Vorgesetzten behandelt werden,
von Meineidsprozcsscn, von Urtheilen gegen hohe
Beamte aus Afrika, von Sccamtssprüchen über
2625
Trimmerselbstmorde, und wie die hungernden
Arbeiter noch immer mehr für Kanonen und
riesige Kriegsschiffe bezahlen sollen.
Meine Zuhörerschaft wurde aber immer un-
ruhiger, mich trafen feindselige Blicke. Der Dol-
metscher hatte mir schon längst bösartige Grimassen
geschnitten. Auf einmal sprang er auf und schrie:
„Alles haben wir dir geglaubt, aber jetzt lügst
du!" Dann krähte er den Häuptling und die
Menge an, hüpfte dabei wie ein Frosch und schlug
mit den Armen in der Luft herum wie eine Wind-
mühle. Alles schrie nun wütheud durcheinander,
und ich dachte schon: nun werden sie dich gleich
bei den Ohren kriegen und dich wegen Vertrauens-
mißbrauch zum Abendbrot verspeisen.
Aber erst 'mal banden sie mich an einen Pfahl.
Als der Mann, den sie als Wache dabeigestellt
hatten, eingeschlafen war, kam eine stattliche Feuer-
länderin herangeschlichen und band mich los. Sie
zog mich mit sich fort, und als ich ihr beim Mond-
schein voll ins Gesicht sah, merkte ich, daß sie
eine röthlich angcstrichene Weiße war; der Sprache
nach mußte sie eine Hamburgerin sein. Und ich
hatte gut gcratheu. Sie erzählte wir, sie sei aus
Hamburg ausgewandcrt, habe Schiffbruch gelitten,
sei hier angetrieben und erste Häuptlingsfrau ge-
worden. Als sie mich gesehen und gehört hatte,
war ihre Heimathsliebe wieder erwacht; sie war
sofort entschlossen, mich zu retten. „Weddcr mit
uo Hamborg reisen", meinte sie, „geilst woll nich;
upp St. Pauli is to vcel Konkurrenz, un ut
Schüllrn un Waschen gähn mag ick nich; da
bliew ick leewcr hier Königin." Sie eilte mit mir
zur Küste, wo ich ein Kanoe vorfand, mit dein
ich mich — nach einem heftigen Abschied — an
mein Schiff ruderte. Ich hatte am Abend gesehen,
daß es unweit der Küste noch vor Anker lag."
„Noch 'n Glas Grog für Krischan Wehncke",
schrieen die Theerjacken, die von der lauteren
Wahrheit des eben Gehörten felsenfest überzeugt
waren und mit dem alten Kapitän die Feuer-
länder und ihre Königin kräftig hochleben ließen.
Schnitzel,
Wir hatten gehofft, daß der Lucanus uns za Weihnachten
einen neuen Kanzler bescheren werde; statt dessen macht er
es, wie sparsame Eltern mit den Puppen, und legt uns nur
den alten, reparirt und frisch lackirt, auf den Weihnachtstisch
des Hauses. .
Weihnachten ist das Fest der Liebe, aber durchaus
nicht das Fest der Liebe zur Knute.
„Was gemacht werden kann, wird gemacht", sagte der
Fiuauzministcr, da machte er Schulden.
entlang, und es war Nacht. Besondere Leucht-
feuer haben sie da nicht, weil das ganze Land ja
Feuerland ist. Da höre ich auf einmal die
Brandung so dicht bei, daß ich einsehe, wir müssen
über Stag gehen, um vom Land frei zu kommen.
Wir drehen also fix durch. Aber wie das eine
Gaffelsegel herüberhaut, läßt der Mann die Schote
los, daß sie über Bord hängt. Ich springe zu
und greife darnach. In dem Augenblick legt sich
das Schiff stark auf die Leeseite, ich purzle über
die Reeling und pcrdauz ins Wasser. Als ich
wieder hochkomme, höre ich sie rufen: „Mann
über Bord! Der Kaptän!" Ich rufe ihnen zu:
„Haltet weit ab! Kehrt euch nicht an mich!" Nun
schwamm ich aufs Land zu. Die Brandung warf
mich noch ein paarmal koppheister, aber dann
war ich am Strand.
Bald wurde es Morgen, und ich traf zwei
riesige Feuerländer, die mich Mitnahmen. Ich
wurde vor den Häuptling geführt, um den sich
die ganze Mannschaft versammelte. Erst konnten
wir uns gar nicht verstehen. Aber schließlich fand
sich ein kolossaler Kerl, der etwas Englisch ver-
stand. Er war auf See gewesen, hatte sogar
eine Reise mit einem Woermaunschen Dampfer ge-
macht. Er war aber wegen allzu nobler Behand-
lung und zu wenig Dienst im ersten besten Hafen
ausgerückt. Der spielte nun den Dolmetscher.
Ter Häuptling verlangte, und auch die Anderen
mit großem Geschrei, ich solle von meinen Reisen
erzählen. Ich überlegte nicht lange, wie ich es
für dieses Publikum interessant machen könnte.
So erzählte ich denn, was ich alles schon an-
gclroffen hätte, Menschen mit zwei Köpfen,
Zwerge, die auf Mondkälbern ritten, feuerspeiende
Schlangen, fliegende Elephnnten und mehr so'n
Zeugs. Der Dolmetscher sah mich einigemale
etwas ungläubig an, aber dann erklärte er der
lauschenden Menge alles mit schreiender Stimme
und mit Armen und Beinen zappelnd. Jedes-
mal, wenn er wieder ein neues Naturwunder
beschrieben hatte, brach ein markerschütterndes
Beifallsgehcul los. Der Häuptling nickte aller-
gnädigst und ließ mir, wenn es ihm besonders
gefiel, seine große Brauntweinflasche reichen.
Nachdem ich einige Stunden geruht hatte und
gut verpflegt worden war, mußte ich wieder heran,
alles lief zusammen, um mich iveiter erzählen zu
hören. Die Leute waren aber sehr liebenswürdig
gegen mich und betrachteten mich, so oft sie in
meine Nähe kamen, mit wohlgefälligen Blicken.
Aber die Sache wurde mir doch unheimlich, als
Einer, der etwas verhungert aussah, mciue Arme
und meine Nippen befühlte und dann den Kopf
schüttelte, als fei ich noch nicht fett genug. Ich
mußte an den Namen Feuerland denken und an
die Möglichkeit, daß die Kerls mich wohl gar am
Feuer braten wollten. Nun, solange ich ihnen
was erzählen konnte, würden siestuich gewiß leben
lassen.
So ging das einige Tage. Da fühlte ich mit
Schrecken, daß mir der Erzählungsstoff ausgehen
wollte. Ich raffte mich aber auf und redete von
merkwürdigen Bäumen, auf denen Flaschen mit
Branntwein wachsen, und von Fischen, die das
Singen lernen. Das wurde noch sehr gut aus-
genommen. Dann aber, als ich meine Phantasie
gänzlich erschöpft hatte, sing ich in meiner Herzens-
angst an, etwas aus der Wirklichkeit herzusuchcn,
was wohl gern und mit Staunen gehört werde.
Ich verfiel auf Helgoland. Als ich den Namen
nannte, sprang mein Dolmetscher vor Freuden
in die Lust und rief: „Oo8 HelooMucl! löuAlisb!"
— „blo, boz-Z sagte ich, „ist jetzt deutsch."
Er gab nun mit Armen rind Beinen und lautem
Krächzen seinen Landsleuten ein möglichst anschau-
liches Bild von der zierlichen Insel. Als ich dann
aber den jetzigen Zustand der Insel schilderte, wie
das Ganze eine Festung vorstelle, hier eine Kanone
und dort eine noch größere Kanone, da fletschte
er die Zähne gegen mich, und es machte ihm
augenscheinlich wenig Freude, ihnen das auf feuer-
ländisch zu verdeutschen. Dies fand nun mich
sehr wenig Beifall. Der Häuptling nahm einen
tüchtigen Schluck, ließ mir aber das Nachsehen.
Es dämmerte schon, aber sie verlangten noch
'was von mir zu hören. Da fing ich an, ihnen
die gegenwärtigen deutschen Zustände zu beschreiben.
Ich setzte ihnen auseinander, daß hier nur der
Soldat und der Polizist 'was zu sagen hat. Der
Dolmetscher beschrieb ihnen nun umständlich eine
Pickelhaube. Der Häuptling aber ließ sich ein
großes tutenförmiges Blatt abpflücken und stülpte
sich das auf den Schädel, so daß der abgebrochene
Stengel nach oben zeigte. Dann richtete er sich
hoch auf und tippte sich immerzu mit dem Finger
auf die Brust, wobei er jedesmal init breitmäu-
ligem Grinsen schnarrte: „Ah, Preuß, Prcuß!"
So, dachte ich, jetzt bist du im richtigen Fahr-
wasser. Ich erzählte also, wie unsere Polizisten
mit Bürgern auf der Wachtstube umgehen, was
für Urtheile unsere Richter fällen, wie die Sol-
daten von ihren Vorgesetzten behandelt werden,
von Meineidsprozcsscn, von Urtheilen gegen hohe
Beamte aus Afrika, von Sccamtssprüchen über
2625
Trimmerselbstmorde, und wie die hungernden
Arbeiter noch immer mehr für Kanonen und
riesige Kriegsschiffe bezahlen sollen.
Meine Zuhörerschaft wurde aber immer un-
ruhiger, mich trafen feindselige Blicke. Der Dol-
metscher hatte mir schon längst bösartige Grimassen
geschnitten. Auf einmal sprang er auf und schrie:
„Alles haben wir dir geglaubt, aber jetzt lügst
du!" Dann krähte er den Häuptling und die
Menge an, hüpfte dabei wie ein Frosch und schlug
mit den Armen in der Luft herum wie eine Wind-
mühle. Alles schrie nun wütheud durcheinander,
und ich dachte schon: nun werden sie dich gleich
bei den Ohren kriegen und dich wegen Vertrauens-
mißbrauch zum Abendbrot verspeisen.
Aber erst 'mal banden sie mich an einen Pfahl.
Als der Mann, den sie als Wache dabeigestellt
hatten, eingeschlafen war, kam eine stattliche Feuer-
länderin herangeschlichen und band mich los. Sie
zog mich mit sich fort, und als ich ihr beim Mond-
schein voll ins Gesicht sah, merkte ich, daß sie
eine röthlich angcstrichene Weiße war; der Sprache
nach mußte sie eine Hamburgerin sein. Und ich
hatte gut gcratheu. Sie erzählte wir, sie sei aus
Hamburg ausgewandcrt, habe Schiffbruch gelitten,
sei hier angetrieben und erste Häuptlingsfrau ge-
worden. Als sie mich gesehen und gehört hatte,
war ihre Heimathsliebe wieder erwacht; sie war
sofort entschlossen, mich zu retten. „Weddcr mit
uo Hamborg reisen", meinte sie, „geilst woll nich;
upp St. Pauli is to vcel Konkurrenz, un ut
Schüllrn un Waschen gähn mag ick nich; da
bliew ick leewcr hier Königin." Sie eilte mit mir
zur Küste, wo ich ein Kanoe vorfand, mit dein
ich mich — nach einem heftigen Abschied — an
mein Schiff ruderte. Ich hatte am Abend gesehen,
daß es unweit der Küste noch vor Anker lag."
„Noch 'n Glas Grog für Krischan Wehncke",
schrieen die Theerjacken, die von der lauteren
Wahrheit des eben Gehörten felsenfest überzeugt
waren und mit dem alten Kapitän die Feuer-
länder und ihre Königin kräftig hochleben ließen.
Schnitzel,
Wir hatten gehofft, daß der Lucanus uns za Weihnachten
einen neuen Kanzler bescheren werde; statt dessen macht er
es, wie sparsame Eltern mit den Puppen, und legt uns nur
den alten, reparirt und frisch lackirt, auf den Weihnachtstisch
des Hauses. .
Weihnachten ist das Fest der Liebe, aber durchaus
nicht das Fest der Liebe zur Knute.
„Was gemacht werden kann, wird gemacht", sagte der
Fiuauzministcr, da machte er Schulden.