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Der wahre Jakob: illustrierte Zeitschrift für Satire, Humor und Unterhaltung — 30.1913

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https://doi.org/10.11588/diglit.7671#0039
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7795

Die trauernden Linterbliebenen.

„Du brauchst nicht so sehr um den Verstorbeucn
zu trauern, Rosaliude. Erstens sieht niemand zu und
zweitens ist er mir ncch fünfzig Mark schuldig ge-
blieben."

Aber wir holen sie noch ein, lieber Jacob,
verlast Dich drauf! Herr Peylrignet konstatiert,
dast ivir auf dein besten Wege dazu sind;
oder vielmehr, daß ivir sie in der diesmaligen
Silvesternacht schon eingeholt haben. Da gab
es>im Esplanadchotel zu Berlin nämlich ein
genau so feines und ebenso teures Menü ivie
im Earltonhotel zu London.

Na, begreifst Du jetzt, warum ich mich
ärgere, daß ich ganz allein nicht dabei war,
tvähreud ganz Berlin die neue kulinarische
Epoche einschlemmte? Begreifst Du nun auch,
daß ich unbedingt und schleunigst tausend
Mark Vorschuß haben muß?

Nein, schicke lieber gleich zehntausend! Der
Einfachheit halber, damit Du Dich vor dem
nächsten Ersten nicht mehr zu bemühen brauchst.

So ein Essen kostet nämlich 25 Mark. Dazu
kommen dann noch die Getränke und was
sonst drum und dran hängt, macht rund
50 Mark. Da ich aber doch auch eine Dame
dabei haben muß, schon als Kavalier ä la
ancien rögime, so reichen zehntausend pro
Monat gerade nur so eben aus.

Aber „wir Berliner" leben nun jetzt mal
so. Und als Mitarbeiter des gelesensten und
vornehmsten Blattes habe ich geradezu die
Pflicht, mit an der Spitze der Kultur zu stehen.

Also los! Schicke das Geld und nimm mei-
nen besten Dank im voraus! Dein getreuer
Hans Hungerling.

P. 8.! Eile tut not, lieber Jacob. Denke Dir,
der bayerische Gesandte Graf Lerchenfeld will
sich zum Bannerträger der neuen Kultur auf-
werfen. Er führt bereits, wie Herr Peytrignet
mitteilt, „eine geradezu berühmte Küche". Das
ist doch unerhört! So ein Bierbayer und Erz-
katholik will sich uns Berlinern als Führer auf-
drängen. Dahinter steckt natürlich Herr v. Hert-
ling. Dieser schlaue Fuchs will eben dem Ultra-
montanismus die Führung auf allen Gebieten
der Kultur sichern.

Also schicke das Geld mit telegraphischer An-
weisung und gleich 20000 Mark, damit ich das
ultramontane Manöver gründlich durchkreuzen
kann. W

Splitter.

Es fehlt an graben Balken,

Sie haben sich all gebogen.

Weil gar so furchtbar wurde
Im Türkenkrieg gelogen.

Wer war's?

Heinrich der Nemmndncunzigste, Prinz zu Reust'
saß im Lehnstuhl und schlief.

Zwei volle Stunden lang war er in ein genaues
Studium der Geschichte beider Staaten Reich ver-
tieft gewesen; er war. mit leuchtenden Augen durch
die glanzvollen Jahre im Zeichen Napoleons rück-
wärts gewandert, hatte dann aber etwas zu lange
auf jenes grellfarbige Kunterbunt geguckt, das ihm
„die deutschen Staaten im Jahre 1789" geographisch
klarznmachen bestrebt war.

Hier hatte seine geistige Spannkraft die lahm-
gewordenen Flügel gesenkt, um sich »lüde und matt
in ein simpleres Traumland hinüberzuschleichen. Denn
daß Rcuß illi Jahre 1789 sozusagen „vierfach" war und
den vier regierenden Grafen zu Gera, Greiz, Schlei;,
Lobenstein gehorchte — das bedeutete für Heinrich den
Neunundncunzigsteu zwar keine Überraschung mehr,
wohl aber hatte es ihn dann zu einem verblüffend
schwierigen Unternehmen verleitet! Er begann näm-
lich scstzustelleu, wieviel Grafen überhaupt um diese
Zeit herum je einen Flicken des Heiligen Römischen'
Reiches Deutscher Nation als „ihr eigen" behandeln
durften. Und siche da! Es waren mehr denn dreißig,
ja sogar sehr viel mehr denn vierzig.

Als Heinrich der Neunundneunzigste dann aber
auch noch die Jubiläumsnummer „50" bucheli konnte,
die ihr Zepter damals über. Limburg-Spcckfcld
schwang und in der Tat nicht leicht zu „finden" war,
da tanzte ihm der galize Reichtum allmählich blau-
rot-gelb-grün-braun vor dem geistigen Auge herum.

„Jetzt fehlte bloß noch, daß ich auch die dritthalb-
hundert Fetzen der reichsrittcrschafllichen Gebiete zu
studieren hätte!" stöhnte er voll Ingrimm. „Tenn
dann wär' man ja mit Krethi und Plcthi erst richtig
beisammen ... und ... das soll von mir aus der
Deubel holen!"

Mit dieser summarischen Verwünschung auf den
Lippen schlief er ein; doch von der Weltgeschichte kam
sein duselnder Verstand so leicht nicht wieder los.
„Der Teufel hnt's ja übrigens zum größten Teil
schon geholt!" so spann sein Hirn, das jetzt natür-
lich keine „Disziplin" mehr kannte, den einmal auf-
gegriffcnen Gcdankensaden weiter: Da ist zunächst
mal der Rcichsdeputatioushauptschluß von 1803 ...
dann folgen 1806 und später jene Landkartenrcvisionen
durch den großen Napoleon, gegen die sich dasrzute,
alte Deutsche Reich schon deshalb nicht mehr wehren
konnte, weil cs sich inzwischen in Wohlgefallen auf-
gelöst hatte . . . na, und dann, 1815, räumt auch
der fainose Wiener Kongreß noch 'ne Masse Ge-
rümpel beiseite!"

In der Gcdaukenflucht trat eine kleine Pause ein.

„Nachher kam Bismarck; Hannover, Hessen-Kassel,
Nassau, Frankfurt hat er sich auf einen Schlag ge-
holt! Hm! Bismarck . . . Satan . . . Satan . . .
Bismarck? Hm! Ach was: er ist auf jeden Fall der
Einiger des neuen Deutschen Reiches! Das heißt
allerdings . .. hm!"

Heinrich der Neunundneunzigste stieß einen tiefen
Seufzer ans und warf sich dann mit halber Drehung
um seine eigene Achse herum.

„Auch Neuß wird eines Tages noch seinen Bis-
marck finden; aber nicht etwa den 1866er, sondern
den von 1871 und so weiter! Geradeso, wie jener,
wird sich dann auch Reußens Bismarck kurzerhand
und rücksichtslos zu dem heroischen Mittel entschließen,
daß er-■"

„„— daß er in den Landen Renß das allgemeine,
gleiche und geheime Wahlrecht als ein Fundament
der ganzen Zukunft festlegt! Sehr wohl, Durch-
laucht!""

„He?? Was war das? Ist da wer? Wer ist da... ?"

So ries Heinrich der Neunundneunzigste, jäh in
die Höhe fahrend; dann war er auch schonuvie der
Blitz aus dein Lehnstuhl heraus, um mit peinlichster
Sorgfalt alle nur denkbaren Verstecke des Zimmers
zu untersuche»! Doch nichts tvar zu entdecken.

Er stand verdutzt und mißtrauisch vor einem Rätsel
und philosophierte schließlich: „Bisinarck ist das nicht
gewesen! Bismarck hat's ja schon beim zweiten roten
Dutzend cingesehe», daß das Rcichstagswahlrecht der
dritte und gröbste von seinen berühmten drei Fehlern
war! Folglich also . . . hm, tja . . ."

Heinrich der Neuuundneunzigste sah sich scheu um
und rief drohend mitten ins Zimmer hinein: „Sie!!
Scheren Sie sich wieder dorthin, wo Sie hingehören,
Sie ... oder lassen Sic wenigstens mal die deutsche»
Kleinstaaten in Ruhe!" T.

Berechtigte Entrüstung.

„Wat, wejen die zwee Äppel wollen Sc wer ver-
haften? Wat machen Se denn nachher mit de Balkan-
keenije, die den Türken so ville Land jemaust haben?"

Schwere Zeiten.

Es war nicht mehr zu bestreiten: die Not nahm
überhand und kroch auch zu den Ministersessel» empor.

Bei Schorlemcrs wurde nur noch einmal in der
Woche warm gegessen und mit Jubel wurde ein
Hering begrüßt, den der Papa sich durch mühsame
Nebenarbeit erworben hatte. Er arbeitete jetzt selber
in seinen Weinbergen am Rhein und sann bereits
angestrengt darüber nach, ob die Rebläuse, die er
dabei fand und die zweifellos auch einen Eiwciß-
gchalt hatte», nicht als Volksnahrungsmittel cmp-
fohlen werden könnten.

Herr von Hceringen hielt andauernd humoristische
Reden und wurde als Komiker für den Winter-
garten engagiert.

Der Kultusminister Trott zu Solz ging in seinen
Freistunden mit alten Katechismen hausieren und ver-
kaufte Bibeln aus Abzahlung.

Tirpitz erklärte im Kicntopp Seeschlachtenbildcr. Auf
einer Drehorgel, die ihm ein Veteran gepumpt hatte,
spielte er dann dazu den „Sang an Ägir". Öfters sah
mau ihn auch am Landwehrkanal und am Rummcls-
burger See nach Stichlingen angeln, die er zur Ver-
vollständigung seines Frühstücks verwendete.

Delbrück bekam Freisuppen aus dem nächstgelege-
neu Kloster, ans Dankbarkeit für seine Auslegung
der päpstlichen Gewerkschafts-Enzyklika.

Am schlechtesten erging cs dem armen Dallwitz.
Nichts wollte ihm glücke». Selbst sein Freund Jagow
konnte ihm keinen Nebenverdienst beschaffen, den der
Unglückliche doch so nötig brauchte. DcnndicKriminal-
bcamten- und Arbeitswilligen-Stelleu waren besetzt
und es fehlte ihm doch sehr an der praktischen Hand-
habnng des Gummischlauchs, den er theoretisch einst
so gepriesen hatte. Er ernährt sich jetzt kümmerlich
durch das Kopieren alter Gesetze.

Ans alledem ersieht auch der hartgesottenste Nörg-
ler, daß vor allem eins bitter nottut: die Erhöhung
der Ministergehälter!

Schon die nächste Session wird hoffentlich eine
solche Vorlage bringen, falls bis dahin nicht der
Finanzminister, der sie cinzubringen hätte, vor Hunger
entkräftet zusammengcbrochen ist.

Erklärung.

In der Ausgabe vom 21. Februar 1912 habe
ich ein Gedicht veröffentlicht, betitelt „DerFürst-
bischof von Breslau". Wegen dieses Gedichtes
ist gegen mich ein Strafverfahren eiugeleitet
worden. Infolge eines geschlossenen Vergleichs
erkläre ich, daß ich die Veröffentlichung des
Gedichts bedaure, da ich mich von der Unwahr-
heit der dort gegen den Herrn Kardinal und
Fürstbischof Dr. Kopp in Breslau erhobenen
Anschuldigungen überzeugt habe, und daß ich
die dort enthaltenen Beleidigungen mit dem
Ausdruck des Bedauerns zurücknehme.

Berthold Heymann,
Redakteur des Wahren Jacob.
 
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