8046
❖ Memel. ❖
Ein jedes Heer - so spricht der Russe -
Zeigt/ wenn man es genauer kennt/
In diesem oder jenem Punkte
Ein ganz besonderes Ealent/
Mit meinem ist - was hilft das Leugnen?-
ilm allgemeinen nicht viel los,
3m Felde kriegt es dauernd Dresche - -
Jedoch km plündern ist es groß!
Grad wollten wir im sichern Neste
Des schönen Raubes uns erfreun,
Da naht - wo kam er her? - der Deutsche
Und kriegte uns beim Hammelbein/
Dreitausend macht er zu Gefangnen/
Beinah so viel schickt er ins Grab/
Und bis zum letzten Silberlöffel
Knöpft er uns alles wieder ab!
Die Sache schien ganz ungefährlich/
Denn Hindenburg/ gottlob/ war weit/
Und so begann Mord/Brand und Einbruch
Mit fröhlicher Geschäftigkeit/
Rasch wurde alles ausgeräubert
Mit sichrer/ kunstgeübter Hand/
indessen draußen vor dem ^ore
Der Generalstab Schmiere stand.
Nun sitz' ich hier in Sack und Mche/
Blamiert/ geschunden und zerbleut -
Die Prügel zwar sind zu verschmerzen/
Doch um das Silber tut mir's leid/
Und seufzend muß ich eingestehen:
Schlimm ist'« bestellt mit Rußlands Heer/
Das einz'ge/ was uns stets noch glückte/
^Ich, selbst das plündern flutscht nicht mehr! Suva.
3n Tilsit/ Insterburg/ Gumbinnen,
Gerdauen, Stalluponen, Lpck
Bewiesen unsere Begabung
Wir wiederholt und stets mit Glück/
Jetzt ward was Neues ausbaldowert:
sJn einem Städtchen, reich und schön,
Dem friedlich ahnungslosen Memel,
Da gab's für uns ein Ding zu drehn!
Feldpostbriefe.
XVII.
Geliebte Rieke! Ich wohne augenblicklich sehr
nobel. Meine Adresse ist „Villa Juliusturm".
Wir haben diesen mit allem Pariser Komfort
eingerichteten Unterstand vor acht Tagen den
Franzosen abgemietet, die aus Gesundheits-
rücksichten eine kleine Luftveränderung nach
rückwärts Vornahmen. Es wurde ihnen hier
nämlich zu „stürmisch". Bei dem schnellen Aus-
zug vergaßen sie ihre Regimentskasse mitzu-
nehmen, die wir unversehrt vorfanden und nach
der unser Logis den obigen wohlklingenden
Namen erhalten hat.
Vorher sind wir aber viel unterwegs ge-
wesen. Es war gerade um den ersten April
herum, wo ja auch zu Hause die Umzugstermine
stattfinden. Jeden Tag lagen wir wo anders,
aber schön war es nirgends. Zum Beispiel
gab es nirgends die geringste Wasch- oder
Badegelegenheit, was wir besonders schmerz-
haft entbehrten, da wir schon seit mehreren
Wochen keinen Tropfen Flüssigkeit mehr in
äußerliche Anwendung gebracht hatten.
Zuerst lagen wir in einer Brauerei, die aber
leider gänzlich ausgetrocknet war. Trotzdem be-
trachteten wir das Gebäude mit die schuldige
Ehrfurcht. Aber schon nach vierundzwanzig
Stunden zogen wir wieder aus und näherten
uns den Franzosen auf achtzehn Meter, so daß
wir schon beinahe in die feindlichen Linien
Schlafstelle hatten. Badegelegenheit gab es auch
hier nicht, aber wir konnten die Brüder ganz
deutlich reden hören, und der Einjährige Müller
sagte, daß sie eine sehr gute französische Aus-
sprache hätten, und er versuchte, ihnen die
sogenannten Nasenlaute naturgemäß nachzu-
ahmen, wobei ihm aber schlecht wurde.
Am nächsten Tage wurde ich als Beobach-
tungsposten kommandiert und quartierte mich
mit zwei andern Kaineraden hoch oben in eine
alte Kiefer ein. Badegelegenheit war hier auch
nicht und das Logis überhaupt sehr mangel-
haft. Der Blick von die Höhe herab gibt ja
allerdings dem menschlichen Geiste etwas Er-
habenes, aber der Hintere wird doch auf die
Dauer allzusehr strapaziert, denn vierundzwan-
zig Stunden auf einem Kiefernast sitzen, das
hält auch das widerstandsfähigste Grenadier-
gesäß nicht aus. Wir fühlten uns schließlich
nicht mehr wie Menschen, sondern wie ein paar
alte Kolkraben, und es fehlte nicht viel, dann
hätten wir angefangen Eier zu legen. Jedoch
wurden wir noch kurz vorher abgelöst und gleich
darauf kam das Kommando „Sturmangriff".
Dabei freute ich mir sehr über die Franzosen.
Ein Teil lief mit große Geschwindigkeit davon,
andere aber hielten stand und ließen uns ganz
dichte rankommen. Dann legten sie das Ge-
wehr beiseite und sagten „Pardon", woraus
man sehen konnte, daß die Franzosen gut er-
zogene Leute sind. Wir zeigten aber auch, daß
wir eine feine Kinderstube genossen hatten, und
antworteten: „Bitte sehr, hat nischt zu sagen",
nahmen ihnen beim Schlafittchen und führten
ihnen ab.
Während diesem Austausch von Höflichkeiten
bemächtigten wir uns des vordersten feindlichen
Schützengrabens. Meine von die vierundzwan-
zig Stunden Kiefernast bocksdämlich geworde-
nen Spazierhölzer hatten aber alle Disziplin
verloren, und wie sie erst mal in Schwung
gekommen waren, da gab es kein Halten nicht
mehr. Ich hatte mir unbewußt schon ein ganzes
Ende über unsere Linie hinaus bewegt, und
plötzlich sehe ich mir vor einem breiten, bis
an den Rand gefüllte» Wassergraben, in den
ich im selbigen Augenblick auch schon hinein-
falle.
Als ich mir vom ersten Schreck erholt
hatte, gedachte ich, meinen Aufenthaltsort zu
wechseln, da ich mir als Trockenwohner in
dieses Logis nicht gewachsen fühlte. Aber so-
wie ich die Kohlrübe über den Grabenrand
erhob, gaben die Franzosen von drüben auf
mir Schnellfeuer, und sowie die Deutschen das
bemerkten, antworteten sie in dieselbe Gang-
art. Ich drohte mit der Faust nach der feind-
lichen Linie und ich winkte mit liebenswürdiges
Lächeln unseren Leuten zu — aber ich kriegte
egal Feuer von beiden Seiten. Ich sage Dir,
geliebte Rieke, der Krieg wäre noch einmal so
angenehm, wenn bloß die verdammte Schießerei
nicht wäre! Es blieb mir in meine bedrängte
Lage schließlich nichts anderes übrig, als eine
wohlwollend neutrale Haltung anzunehmen und
mir andauernd zu ducken. Dies war nun seit
langer Zeit das erste Quartier mit Badege-
legenheit, aber ich müßte leugnen, daß ich mir
glücklich gefühlt hätte. Ich saß bis an die
oberste Kragenlitze im Wasser, und es war
verflucht kalt. Drei geschlagene Stunden dauerte
der Genuß. Ich klapperte vor Frost schließ-
lich so laut mit den Zähnen, daß unsere Leute
geglaubt haben müssen, es werde General-
marsch geschlagen. Jedenfalls gingen sie plötz-
lich aus ihre Deckung hoch und zum zweiten
Sturmangriff vor. Das war meine Rettung!
Ich krabbelte aus das feuchte Element heraus,
schloß mir ihnen an und gelangte, nachdem wir
auch die zweite französische Stellung genom-
men hatten, in die obige Villa, wo ich mir
hoffentlich ein paar Tage lang werde austrock-
nen können. Badegelegenheit ist da, aber ich
will nicht.
Geliebte Rieke, wenn ein Mensch in Frie-
denszeiten Anfang April ein solches Freibad
nimmt, so bekommt er unwiderruflich Lungen-
entzündung, Rippenfellentzündung, Milzbrand,
Darmverschlingung und dieganzeJanitscharen-
musik. Hier aber steht man Gott sei Dank unter
den Kriegsgesehen, und da ist dergleichen ver-
boten. Ich mußte mir daher init einem starken
Schnupfen begnügen, gegen den mir der Herr
Oberstabsarzt steifen Grog von Rum als Me-
dizin auch noch für die nächsten Wochen zur
Nachkur strengstens verordnet hat. Ich brauche
mir Dir gegenüber wohl nicht deutlicher auszu-
sprechen und erwarte eine umgehende Sendung
als Dein Dir dankbar grüßender Bräutigam
August Säge jun., Garde-Grenadier.
MW" Die Mai-Nummer des Wahren Jacob erscheint am 30. April.
❖ Memel. ❖
Ein jedes Heer - so spricht der Russe -
Zeigt/ wenn man es genauer kennt/
In diesem oder jenem Punkte
Ein ganz besonderes Ealent/
Mit meinem ist - was hilft das Leugnen?-
ilm allgemeinen nicht viel los,
3m Felde kriegt es dauernd Dresche - -
Jedoch km plündern ist es groß!
Grad wollten wir im sichern Neste
Des schönen Raubes uns erfreun,
Da naht - wo kam er her? - der Deutsche
Und kriegte uns beim Hammelbein/
Dreitausend macht er zu Gefangnen/
Beinah so viel schickt er ins Grab/
Und bis zum letzten Silberlöffel
Knöpft er uns alles wieder ab!
Die Sache schien ganz ungefährlich/
Denn Hindenburg/ gottlob/ war weit/
Und so begann Mord/Brand und Einbruch
Mit fröhlicher Geschäftigkeit/
Rasch wurde alles ausgeräubert
Mit sichrer/ kunstgeübter Hand/
indessen draußen vor dem ^ore
Der Generalstab Schmiere stand.
Nun sitz' ich hier in Sack und Mche/
Blamiert/ geschunden und zerbleut -
Die Prügel zwar sind zu verschmerzen/
Doch um das Silber tut mir's leid/
Und seufzend muß ich eingestehen:
Schlimm ist'« bestellt mit Rußlands Heer/
Das einz'ge/ was uns stets noch glückte/
^Ich, selbst das plündern flutscht nicht mehr! Suva.
3n Tilsit/ Insterburg/ Gumbinnen,
Gerdauen, Stalluponen, Lpck
Bewiesen unsere Begabung
Wir wiederholt und stets mit Glück/
Jetzt ward was Neues ausbaldowert:
sJn einem Städtchen, reich und schön,
Dem friedlich ahnungslosen Memel,
Da gab's für uns ein Ding zu drehn!
Feldpostbriefe.
XVII.
Geliebte Rieke! Ich wohne augenblicklich sehr
nobel. Meine Adresse ist „Villa Juliusturm".
Wir haben diesen mit allem Pariser Komfort
eingerichteten Unterstand vor acht Tagen den
Franzosen abgemietet, die aus Gesundheits-
rücksichten eine kleine Luftveränderung nach
rückwärts Vornahmen. Es wurde ihnen hier
nämlich zu „stürmisch". Bei dem schnellen Aus-
zug vergaßen sie ihre Regimentskasse mitzu-
nehmen, die wir unversehrt vorfanden und nach
der unser Logis den obigen wohlklingenden
Namen erhalten hat.
Vorher sind wir aber viel unterwegs ge-
wesen. Es war gerade um den ersten April
herum, wo ja auch zu Hause die Umzugstermine
stattfinden. Jeden Tag lagen wir wo anders,
aber schön war es nirgends. Zum Beispiel
gab es nirgends die geringste Wasch- oder
Badegelegenheit, was wir besonders schmerz-
haft entbehrten, da wir schon seit mehreren
Wochen keinen Tropfen Flüssigkeit mehr in
äußerliche Anwendung gebracht hatten.
Zuerst lagen wir in einer Brauerei, die aber
leider gänzlich ausgetrocknet war. Trotzdem be-
trachteten wir das Gebäude mit die schuldige
Ehrfurcht. Aber schon nach vierundzwanzig
Stunden zogen wir wieder aus und näherten
uns den Franzosen auf achtzehn Meter, so daß
wir schon beinahe in die feindlichen Linien
Schlafstelle hatten. Badegelegenheit gab es auch
hier nicht, aber wir konnten die Brüder ganz
deutlich reden hören, und der Einjährige Müller
sagte, daß sie eine sehr gute französische Aus-
sprache hätten, und er versuchte, ihnen die
sogenannten Nasenlaute naturgemäß nachzu-
ahmen, wobei ihm aber schlecht wurde.
Am nächsten Tage wurde ich als Beobach-
tungsposten kommandiert und quartierte mich
mit zwei andern Kaineraden hoch oben in eine
alte Kiefer ein. Badegelegenheit war hier auch
nicht und das Logis überhaupt sehr mangel-
haft. Der Blick von die Höhe herab gibt ja
allerdings dem menschlichen Geiste etwas Er-
habenes, aber der Hintere wird doch auf die
Dauer allzusehr strapaziert, denn vierundzwan-
zig Stunden auf einem Kiefernast sitzen, das
hält auch das widerstandsfähigste Grenadier-
gesäß nicht aus. Wir fühlten uns schließlich
nicht mehr wie Menschen, sondern wie ein paar
alte Kolkraben, und es fehlte nicht viel, dann
hätten wir angefangen Eier zu legen. Jedoch
wurden wir noch kurz vorher abgelöst und gleich
darauf kam das Kommando „Sturmangriff".
Dabei freute ich mir sehr über die Franzosen.
Ein Teil lief mit große Geschwindigkeit davon,
andere aber hielten stand und ließen uns ganz
dichte rankommen. Dann legten sie das Ge-
wehr beiseite und sagten „Pardon", woraus
man sehen konnte, daß die Franzosen gut er-
zogene Leute sind. Wir zeigten aber auch, daß
wir eine feine Kinderstube genossen hatten, und
antworteten: „Bitte sehr, hat nischt zu sagen",
nahmen ihnen beim Schlafittchen und führten
ihnen ab.
Während diesem Austausch von Höflichkeiten
bemächtigten wir uns des vordersten feindlichen
Schützengrabens. Meine von die vierundzwan-
zig Stunden Kiefernast bocksdämlich geworde-
nen Spazierhölzer hatten aber alle Disziplin
verloren, und wie sie erst mal in Schwung
gekommen waren, da gab es kein Halten nicht
mehr. Ich hatte mir unbewußt schon ein ganzes
Ende über unsere Linie hinaus bewegt, und
plötzlich sehe ich mir vor einem breiten, bis
an den Rand gefüllte» Wassergraben, in den
ich im selbigen Augenblick auch schon hinein-
falle.
Als ich mir vom ersten Schreck erholt
hatte, gedachte ich, meinen Aufenthaltsort zu
wechseln, da ich mir als Trockenwohner in
dieses Logis nicht gewachsen fühlte. Aber so-
wie ich die Kohlrübe über den Grabenrand
erhob, gaben die Franzosen von drüben auf
mir Schnellfeuer, und sowie die Deutschen das
bemerkten, antworteten sie in dieselbe Gang-
art. Ich drohte mit der Faust nach der feind-
lichen Linie und ich winkte mit liebenswürdiges
Lächeln unseren Leuten zu — aber ich kriegte
egal Feuer von beiden Seiten. Ich sage Dir,
geliebte Rieke, der Krieg wäre noch einmal so
angenehm, wenn bloß die verdammte Schießerei
nicht wäre! Es blieb mir in meine bedrängte
Lage schließlich nichts anderes übrig, als eine
wohlwollend neutrale Haltung anzunehmen und
mir andauernd zu ducken. Dies war nun seit
langer Zeit das erste Quartier mit Badege-
legenheit, aber ich müßte leugnen, daß ich mir
glücklich gefühlt hätte. Ich saß bis an die
oberste Kragenlitze im Wasser, und es war
verflucht kalt. Drei geschlagene Stunden dauerte
der Genuß. Ich klapperte vor Frost schließ-
lich so laut mit den Zähnen, daß unsere Leute
geglaubt haben müssen, es werde General-
marsch geschlagen. Jedenfalls gingen sie plötz-
lich aus ihre Deckung hoch und zum zweiten
Sturmangriff vor. Das war meine Rettung!
Ich krabbelte aus das feuchte Element heraus,
schloß mir ihnen an und gelangte, nachdem wir
auch die zweite französische Stellung genom-
men hatten, in die obige Villa, wo ich mir
hoffentlich ein paar Tage lang werde austrock-
nen können. Badegelegenheit ist da, aber ich
will nicht.
Geliebte Rieke, wenn ein Mensch in Frie-
denszeiten Anfang April ein solches Freibad
nimmt, so bekommt er unwiderruflich Lungen-
entzündung, Rippenfellentzündung, Milzbrand,
Darmverschlingung und dieganzeJanitscharen-
musik. Hier aber steht man Gott sei Dank unter
den Kriegsgesehen, und da ist dergleichen ver-
boten. Ich mußte mir daher init einem starken
Schnupfen begnügen, gegen den mir der Herr
Oberstabsarzt steifen Grog von Rum als Me-
dizin auch noch für die nächsten Wochen zur
Nachkur strengstens verordnet hat. Ich brauche
mir Dir gegenüber wohl nicht deutlicher auszu-
sprechen und erwarte eine umgehende Sendung
als Dein Dir dankbar grüßender Bräutigam
August Säge jun., Garde-Grenadier.
MW" Die Mai-Nummer des Wahren Jacob erscheint am 30. April.