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- 87 —

Tünnes: „Lerr Ieneral, jüh'n Se lieber weg! Sonst denken de Fisch', hier
iü die Rheinrepublik — und d a b e i ß t k e i n e r a n !"

Der Pfingstausflug

Zu Ostern unternimmt man wie Faust hoch-
stens einen Spaziergang, zu Pfingsten wagt
man schon einen Ausflug,, zumal da es seit
Goethe das liebliche Fest genannt wird. Dies-
mal schien es das Fest der Regenschirme
werden zu wollen, außerdem hatten Linde-
manns sich vorgenommen, nicht eher zu ver-
reisen, bis der sogenannte Preissturz wirklich
fühlbar geworden war. Aber Fritzchen ließ
nicht Ruhe, er hatte sich in den Kopf gesetzt,
einmal einen richtigen Kuckuck im Walde zu
hören, und schließlich sagte Äerr E. K. Linde-
mann: „Kinder, es ist nur einmal Pfingsten'
im Jahre, und im nächsten hat uns vielleicht
alle der Kuckuck geholt; wir ziehen los!"

Diesmal schien sich die ganze Pfingst-
gemeinde einniütig auf dem Bahnhof ver-
sammelt zu haben. Am die Schalter herum
brauste es: „Thalheim dritter, dreieinhalb mal
Annaberg vierter!" Lindemanns fuhren zur
besonderen Feier des Tages sieben Stationen
und tummelten einem Dorfe zu, das nach
ihrer Meinung ein paar Meilen hinter der
Kultur liegt. Dort wird man billig leben,
dachten sie, dorthin sind die neuen Preise
noch nicht gedrungen.

Mit jenem heiligen Schauder, mit dem
Ibikus Poseidons Fichtenhain betrat, nahten
sie sich dem Walde. „Hier wohnt der Kuckuck!"
sagte Äerr Lindemann zu seinem Jüngsten,
und dieser begann schon die Ohren zu spitzen.
Da tat sich plötzlich an der Wegbiegung ein
wilder Gesangverein auf und versündigte
sich an dem Liede: „Wer hat dich, du schöner
Wald!" Sie hatten keine Ahnung, daß dieser
zum größten Teile dem Äoizgroßhändler
Lamprecht gehörte, der auch die Kuckucke mit
aufgekauft hatte.

„Nur Geduld!" mahnte der Vater, „ich
denke, wir frühstücken erst mal auf dem
schönen Moosboden". So einImbiß im Freien
das ist noch Romantik, und er wäre auch
befriedigend verlaufen, wenn nicht Fritzchen
in eine zerbrochene Milchflasche gegriffen
hätte, die in tückischer Verborgenheit im Moose
lag. Da kein Bächlein in der Nähe war,
mußte man das Dorf zu erreichen suchen,
zumal auch Äerr Lindemann schon von seinem
chronischen Durst geplagt wurde. Bei einem
Wirte wundermild kehrten sie ein.

Der machte zunächst mal ein erstauntes
Gesicht; denn seit Eröffnung des Gasthauses
schienen hier nur Eingeborene verkehrt zu
haben. Ich habe lange genug auf euch warten
müssen und ihr werdet auch nicht gleich wieder-
kommen, dachte der Biedere und nahm Linde-
mann 1500 Mark ab für zwei Glas Bier.

Fritzchen hatte unterdes trotz seines ver-
wundeten Fingers eine Entdeckungsreise in
die agrarischen Äintergründe des Gasthauses
unternommen in der stillen Äoffnung, den
Kuckuck zu hören. Er fand aber ein Tier,
das ungefähr das Gegenteil war, ein richtig
grunzendes Schwein. Zwecks näherer Be-
trachtung öffnete er die Stalltür, was das
Tier dazu benutzte, die Freiheit zu genießen,
in zügelloser Wildheit auf dem Äose umher-
zutoben und nicht unerheblichen Material-
schaden anzurichten. Da Fritzchen noch nicht
mündig war, belasteten die umgestoßenen
Milchkrüge den Etat des Vaters mit weiteren
3000 Mark, wodurch Äerrn Lindemanns Ge-
mütsbarometer stark ins Rutschen kani, außer-
dem hatte sich Fritzchens Mutter >» ihren
neuen eiergelben Pfingstschuhen eine Blase
gelaufen. Dadurch mußte das ganze Pro-
gramm umgeworfen werden, und man steuerte
nun in dem vom Militär her bekannten Brot-

fahrertempo dem „Waldhaus" zu, einem stark
besuchten Ausflugsrestaurant.

Frau Lindemann war dies nicht unlieb,
„man sah und hörte hier wenigstens etwas",
wie sie sich ausdrückte. „Äört man da auch
den Kuckuck?" fragte Fritzchen. „Das nicht",
meinte der Vater, „aber vielleicht gibt es eine
Reitschule." Wie viele waren heute aus
Staub und Asphalt in die pfingstliche Welt
hinausgeflüchtet, aber es hatte den Anschein,
als wollte sich hier wieder die ganze Stadt
treffen. Jeder Tisch besetztes Gebiet. Äinter
jedem Stuhl lauerten wieder zwei Gäste, die
ihn erobern wollten. Der Mensch ist eben
ein geselliges Wesen. Lindemanns zogen sich
in die Gaststube zurück. Das erste war, daß
die Mutter mit ihrer Ondulation im Mai-
baum hängen blieb. Auch hier war es nicht
übermäßig pfingstlich: es roch nach Milch-
flaschen und zweifelhaften Zigarren. Das
schwitzende Personal war nicht bestrickend
liebenswürdig.

Ein Grammophon krähte den „Äohenfried-
berger Marsch", dazwischen ward ab und zu
ein Bierglas umgeworfen. — Stimmung!
„Wir fahren natürlich nicht'mit dem letzten
Zug heim", sagte der lebenskundige Vater
Lindemann. Ebenso dachten aber auch die
anderen. Infolgedessen gestaltete sich die
Rückfahrt ziemlich dramatisch. Schon hatte
der Zug 10 Waggons Menschen fiep ch ver-
schlungen, und immer noch drängten andere
nach. Mütter irrten, Kinder wimmerten, ge-
drückt von Rucksäcken und an den Nasen ge-
kitzelt mit Pfingststräußen. Ein Knäuel von
Menschen hing auf jedem Trittbrett, als der
Zug einfuhr.

Drei Wochen lang hatte man von Pfingsten
geredet/hatte sich gefreut und gehofft, und
nun war es endlich vorbei. Als Lindemanns
verstaubt und ermüdet heimkamen, war ihre
erste Entdeckung, daß jemand (es wollte na-
türlich niemand gewesen sein) — das Gas
halte brennen lassen. Als der Vater den
Verlust und die übrigen Kosten des Tages
überrechnete, kam er auf eine stattliche Summe.
„Dafür konnte man früher de» Kaiser von
China sehen und auf der Rückreise auch noch
den Papst", fluchte er. „Der Kuckuck soll das
ganze Pfingsten holen". .likrock Vontor.

Lieber Jacob!

Oskar Seyffert, Leipzig, geht über den
Augustusplatz, als ihm ein Sperling etwas
auf den Kops fallen läßt. „Mistvieh", schreit
Oskar dem davonfliegenden Vogel nach, „ein
großstädtischer Sperling sollte docb bessere
Manieren haben!"

Bliemchen und Kautzsch aus Pirna sind
zum ersten Male in Berlin: Beim Betreten
des Äotels sagt Bliemchen: „Weeßte, Kautzsch,
mer wern hier sicher gut behandelt, wahr-
scheinlich hält man uns auf Grund unserer
Schbrache für Ausländer."

Die Kommerzienratstochter kehrt von einem
Spazierritt heim und schrieb in ihr Tagebuch:
„Die Natur in ihrer Frühlingspracht wäre
wunderschön, wenn sie nicht durch die An-
Wesenheit armer Leute entstellt würde."

Hochverrat.

Zur Abbürdung der Reparationen schlug
der neue sächsische Ministerpräsident eine
stärkere Belastung der Besitzenden vor.

Kinner, ich bin eenfach baff!

Der Ministerpräsidente
Meent, daß eener, der was hat.

Doch am erschten zahlen kennte.
Nanunee! Ä guter Staat
Nimmt stets Nicksicht auf die Bürger,
Auf die besten, wo er hat.

Und er spielt nich den Erwärger!
Sonst — dann is es Hochverrat.

Hier so nah beim Reichsgericht
Die Natzjon zu Provezieren!

Mir geht diese Dreistigkeet
An die patriotschen Nieren.

Nee, da wer ich rabiat
Und da gann ich nich mehr schweigen.
Du verfluchter Demokrat, szeigen!
Zeigner, Mensch, dir wer'n mersch's
Rin in's Loch für Hochverrat! Cec.
 
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