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Deutsche Kunst- und Antiquitätenmesse [Hrsg.]
Die Weltkunst — 5.1931

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Nr. 9 (1. März)
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WELTKUNS T

Jahrg. V, Nr. 9 vom 1. März 1931

Gedächtnis-Ausstellung Otto Muellers
in Breslau

Kommt man von draußen, aus der Welt,
wie sie heut ist, in die O. Müller-Ausstellung
im Schlesischen Museum der bildenden
Künste, muß dieser em Leben lang maniaka-
lisch festgehaltene und in der Kunst Wirk-
lichkeit gewordene Sehnsuchtstraum von
einem neuen Arkadien erschüttern. Und eine
solche Erschütterung ist ja der tiefste Sinn
einer Gesamtausstellung, die ein Leben, ein
Werk synoptisch begreifen lägt.

in Breslauer Privaibesiß, bringt eine neue
Wendung; eine Wendung zur reinen und lich-
ten Farbe hin, die auch sonst gelegentlich,
meist in Symboleinheit mit dem Thema (das
Grün bei dem „Russischen Mädchenpaar")
in seinen früheren Werken aufleuchtet
Der Durchbruch zur eigenen Art, zum
echten Otto Mueller — eine der wenigen sich
stets treuen Typenvorstellungen in der jüng-
sten Kunst — vollzieht sich etwa um 1910.

Und seine eigene Malerei hat in der Festig-
keit der Komposition, in dem besonderen
Sinn für die Bedingnisse der Fläche, in der
Leimfarbenmaltechnik, gelegentlich in den
großen Formaten etwas vom verhinderten
Fresko; sie besitzt den Drang zu einer all-
gemein menschlichen, monumentalen Sprache,
die unsere „Zeit“, wohl auch die einer popu-
lären Monumentalität entgegengeseßten, zärt-
lich-vereinsamten Bestandteile seines eigenen
Wesens, nicht zur Entfaltung kommen ließen.
Ernst S c h e y e r

August Gaul
Anläßlich des zehnjährigen Todestages von
August Gaul veranstaltet von Mitte Februar
bis Mitte März die Galerie Alfred Flecht"
heim in Düsseldorf eine Ausstellung
von 60 Arbeiten: Bronzen und graphisches
Werk. Bis dahin bleibt die Ausstellung der
Düsseldorfer Junghanns und Auf"
seeser und das Güstrower Ehrenmal von
Ernst Barlach aufgebaut.

Ein Porträt des Moroni


Atelier Karl Hofer (1930)
anläßlich seiner Ausstellung neuer Werke
in der Galerie Alfred Flechtheim, Berlin

Die Sujet-Vokabeln der Kunst Otto
Muellers sind bekannt: — Zigeuner — ein
Schul} Malaienfum für den Typus seiner
kindlich-tierhaften Frauen — die ewige Be-
ziehung von Mann und Weib — das Geheim-
nis des eigenen Gesichts. Die Landschaft
— sie ist eigentlich mehr der Tummelplaß
seiner Menschen als um ihrer selbst willen
vorhanden — wird in dieser Themenreihe
zuleßf im Bild gestaltet. Im Aguarell und
Litho ist sie schon früher da. An Gestaltungs-
konzentration ist das graphische Werk
Muellers dem malerischen überlegen, wobei
auffällt, daß er den Holzschnitt, die Ra-
dierung, also alles schneidende, stechende,
unzärtliche graphische Verhalten meidet.
Auch ist hier, im Aguarell und im farbigen
oder aquarellierten Litho die besondere Tem-
peraments- und Schicksalsfärbung seiner
Palette eindrucksvoller. Fast ist es so, als
wären Muellers Farben mit einem Zusaß
melancholischen Erd-Grau’s verseht und in
ihrer Leuchtkraft niedergehalten. Doch gerade
die Arbeiten seiner leisten Lebensjahre, so
das leiste Selbstbildnis mit Rückenakt (1929)

Mit den „Blauen Akten“, die Osihaus mit dem
sicheren Instinkt für das Kommende für
„Folkwang“ kaufte, ist sein Stil scheinbar
plößlich und wie vollendet da. Welch weiter
Weg einer Entwicklung, deren Anstoß nun
von innen kam, troßdem noch zurückzulegen
war, zeigt die Gestaltung des gleichen
Themas in dem schönen Bild der Sammlung
Lange-Krefeld (um 1926), das eine Tiefen-
räumlichkeit, eine Plastik der Gestalt besißt,
wie sie seltener in seinen Werken zu
finden ist.
Lehrmeister, Beeinflussungen zu nennen,
hat bei Mueller nichts von der Sensation des
enthüllten schöpferischen Geheimnisses,
kommt für die liefere Deutung vom Werden
seines Werkes nicht allzu sehr in Frage. Ge-
wiß, sie sind vorhanden, die Ausstellung zeigt
sie dankenswerterweise, sie liegen etwa bei
Böcklin, Ludwig von Hofmann, bei Gauguin,
Matisse, er selbst hat oft die Flächenkunst der
alten Ägypter als eine Ahnin seiner Kunst
aufgerufen. Es sind also die Meister des
idyllischen Freskos, die offenbaren und dje
verhinderten, denen er sich verwandt fühlt.

Von
Prof. Leandro Ozzöla (Rom)

Ein Meisterwerk der venezianischen Ma-
lerei in der Wiener Staatsgalerie ist zweifel-
los das auf Seite 12 abgebildeie Porträt einer
Dame. Ursprünglich dem Paris Bordone zu-
geschrieben, wurde es dann von verschie-
denen Kunstgelehrten anderen Künstlern zu-
geteilt, bis vor kurzem
der verehrte Direktor
jener Gemäldegalerie,
Dr. Gustav Glück, in
dem Bild ein Werk des
Moretto zu erkennen
glaubte.
Uns aber will es
scheinen, daß das Ge¬
mälde weder die für
Moretto charakteristi-
sche Härte der Zeich¬
nung aufweise, noch
die Schwere der
schwarzen Schatten,
noch auch das Wachs¬
tuchartige seiner Stoffe.
Die Fleischpartien die¬
ses Porträts sind
graurosa und von
einer solchen Feinheit
der Nuancen, daß sie
der Malerei des Sette¬
cento würdig wären.
So pflegt das In¬
karnat in den Frauen¬
porträts Moronis ge¬
malt zu sein. Für
diesen Maler scheint
uns auch der ihm
eigene, fast vollstän¬
dige Mangel von
Schatten im Gesicht,
wie auch die rosigen
Hände mit den etwas
eckigen Fingern zu
sprechen. Der deko¬
rative Glanz der
roten Seide des Ge¬
wandes — wenn auch
nicht gewöhnlich in
Moronis Gemälden, findet sich immerhin in
der „Dame in Rot“ der Londoner National-
galerie (Abbildung oben) und im „Ritter
in Rosa“ im Besiße des Grafen Moroni
in Bergamo (Cicerone 1930, S. 99). Auch
die Malweise der Haare des Wiener Por¬

träts hat Ähnlichkeit mit der des Londoner
Frauenporträts.
Aber eine Eigentümlichkeit, die nach
unserer Ansicht beinahe der Unterschrift
Moronis gleichkommi, ist die Architektur des
Hintergrundes. Diese Ruinen aus scheinbar

weichem Material mit den auf den Mauern
oder in ihren Rißen wachsenden Schling"
pflanzen: das ist ein dem Moroni angehöriger
und für ihn charakteristischer Hintergrund-
Zum Vergleiche diene der „Ritter in Rosa“ in
Bergamo.


G. B. Moroni, Dame in Rot
Portrait de la dame rouge ■— Portrait of a lady in red
London, National Gallery

Interviews im Atelier

Käsling

sondern
herauszu-

Museen
und
Natur
Und
Mitte

am Malobjekt,
Kunst, die er
in
Atelier
freien
1 hat.
in der
Künsflerlauf-

K.isling im Atelier
suchungen mit. Vlaminck war überzeugt, daß
die ungemischte Farbe, wie sie aus der Tube
kommt, ohne jede Vermengung mit einer an-
deren, aber auch nicht mit O1 oder Terpentin,
verwendet werden müsse. Er arbeitete daher

flächig und ließ die Farbfläche durch ihr Ver-
hältnis zu den sie umgebenden wirken. So
verstand er Gauguin und van Gogh, die die
Vorbilder der Koloristen waren, wie seiner-
zeit Cezanne der Malerei die Geseße der
Komposition gewiesen hatte.
Derain ging noch weiter und an seiner
Seite empfing Matisse, der damals in
„Pointillismus“ ä la Seurat machte, die Idee
zum Bilde „Joie de vivre“, das im Salon von
1906 zur Ausstellung kam.
Eine ähnliche Technik verwendet Kisling,
ohne sich der Wirkungen des Schattens zu
berauben. Man hat in den bisherigen Inter-
views erkennen können, daß fast keiner der
modernen Schöpfer die Konzeption des Werkes
von dem Rhythmus des Lebens trennt. Kisling
bringt für seine Malerei seinen Geschmack
am Pittoresken, seine Liebe zum Frauen- und
Kinderkörper und seinen Optimismus mit. Seit
15 Jahren mißt er seine Gaben <
in täglicher Ausübung seiner 1
weniger
als im
in der
erworben
heute,
seiner
bahn, weiß er genau,
welches Licht für ihn
das geeignete ist, das
nordische oder das der
Mittelmeerlandschaft.
Aus seinen Bildern
spricht die Sicherheit,
seinen Stil gefunden
zu haben, und die Be-
ziehung zu sich selbst;
die Zeiten der Träume
und Versuche liegen
endgültig hinter ihm.
Im allgemeinen zieht
man seine Porträts,
deren Kraft aus ihrem
Innenleben kommt,
seinen Landschaften
vor, die mit ihrem
knisternden Glanz aus
etwas Metallischem zu
bestehen scheinen und
etwas kalt wirken.
Das mag seinen Grund darin haben, daß ihn
vor allem das menschliche Leben anzieht. Er
studiert es nicht nur in seinen lauten Festlich-
keiten, den Bällen, Zirkussen, Musikhalls, son-
dern auch in seinen Niederungen, in seinen

nellen Entrees in elegante Nachtlokale, eine
frische Nafurburschenart, deren Frechheit auch
Prinzessinnen ein wohlwollendes Lächeln ab-
zwingt. Nur die Modelle vom Montparnasse
sind bange vor ihm, denn sie wissen, daß er,
der im Grunde ein ernster Realist ist, ihren
Körper ohne Schmeichelei malt, nicht um
einen Körper zu brandmarken,
um seine heroischen Vorzüge
streichen.
Wie kam es zur Bewegung der „Fauves“?
Man kann ohne sie die Technik Kislings nicht
verstehen.
Derain und Vlaminck arbeiteten zusammen
und teilten einander die Resultate ihrer Unter-

Mit zwanzig Jahren war er in das große
Abenteuer gezogen, aus dem nur wenige be-
reichert zurückgekehrt sind. Kisling hatte seit
langem seine Bilder nicht mehr der Öffent-
lichkeit gezeigt. Man hatte sie in der Er-
innerung als gewagt, roh, kompromißlos,
manchmal ein wenig versauert, immer ohne
sichtbare Verbindung mit den Göttern des
Tages: Ingres, Corot, Daumier, Derain oder
Picasso, dessen nachbarliche Ausstellung,
troß der unbestreitbaren Größe seiner Zeich-
nungen und einiger Porträts, den Erfolg seines
jungen Kollegen nicht verringerte -—
wäre ja auch keinesfalls sein Wunsch
wesen.
Heute gehört Kisling der Geschichte
modernen Malerei an.
Man weiß, daß der heute selbst von
eleganten Welt getragene Seidenschal, daß
die Negerskulpturen, die gemalten und gra-
vierten Gläser von Vlaminck lanciert wurden,
daß Derain die chinesische Musik in Mode
brachte, Negerinstrumente, die Halbedel-
steine des Mittelalters . . . Lhote die Schau-
kugeln. Andre Breton führte die große
amerikanische Hornbrille in Europa ein,
während Tristan Tzara, Aurelien Scholl nach-
ahmend, das Monokel in der Boheme ein-
bürgerte. Max Jacob grub Chiromantie und
Astrologie aus, Friesz die Fregatten in
Flaschenform. Marcoussis entdeckte die
Schönheit des Glaßkopfes und erfand das
Kartenspiel „Pique As“; Braque schließlich
die Zigarettendose aus Leder.
An Kisling lieben wir den agressiven
Optimismus, seine berüchtigten und sensatio-
*j T. Matisse, in Nr. 12; II. Picasso Nr. 16; III. Cha-
gall Nr. 17; IV. Pascin Nr. 23; V. Derain Nt. 21;
VI. Eneor Nr. 26127; VII. Grosz Nr- 32/33; VIII. Leger
Nr. 35; IX. M. Vlaminck Nr- 33; X. Dnret Nr. 47/48;
XI. Monet Nr. 49 (Jg. IV); XII. Lhote Nr. 2/3 (Jg. V)
der „Weitkunst“.
Einzig autorisierte Übersetzung aus dem Franzö-
sischen für die „Weltkunst“ von Gina II i n k und
.Franz Winterstein.

Essays von Florent Fels XIII.*)


Bettlern, Mädchen aus dem Volke, Blumen"
Verkäuferinnen, den Armen und Verachteten-
Er läuft vor der Wahrheit keines Motivs da"
von, gibt ihm keine romantische Pose, er sucht
dem Geist der Dinge auf den Grund zu gehen
und diesen zum Ausdruck zu bringen.
«Ich bin davon überzeugt, daß, wenn es
auch gelänge die Charaktere zu verändern»
sich dennoch die Temperamente nicht wandeln
würden. Die künstlerischen Fähigkeiten, die
man mir von meinem fünfzehnten Lebensjahr
an zugebilligt hat, sind sich selbst gleich geblie"

Kisling, Porträt


ben. Was hinzukam, ist kaum mehr als Beob"
achtungsgabe, welche es mir gestattet, tiefer
in das innere Wesen der Dinge einzudringen-
Ich male keine psychologischen Porträts, aber
ich versuche durch die Atmosphäre, das
Kostüm, durch den äußeren Eindruck der Ge"
statt, durch das starke Leben der Augen und
Hände, die Personen, wie sie in ihrem täg"
liehen Leben sind, festzunageln. So will ich
es zum Beispiel einmal so weit bringen, vor
einem „Akt“ die Empfindung zu erwecken, daß
die Dargestellte eine Kokotte sei oder ein1
Modell oder eine Frau von Welt.
 
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