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WockenBlalk
des



Herausgrgeben im Auftrage des Vereins-Ausschusses.

54.

Frankfurt a. M., den 12. April.

Inhalt:
Wochenbericht. — Aus Preußen. — Nachtgedanken. III. — Die Stim-
mung in Preußen. — Patriarchalische Zustände in einem deutschen Klein-
Mat. — Die Tugendhaften. — Frankfurt. — Anzeigen.

Wochenbericht.
Frankfurt, 11. April.
* Versuchen wir, ernsthaft von dem Bundesreform-Antrage
des Grafen Bismarck zu sprechen. Hat doch auch die öster-
reichische „Reformakte" von 1863 ihren Platz in der deutschen
Verfassungsgeschichte, obgleich ihre Hinfälligkeit von Haus aus
gewiß war. Nachdem der Bismarck'sche Rcformplan aus dem
grünen Tische des Thurn- und Taxis'schen Palastes nieder-
gelegt worden, hat er aufgehört eine bloße Redensart zu sein,
ist er eine Thatsache geworden, welche als solche aufgefaßt
und behandelt sein will und die, ganz abgesehen von den Ab-
sichten und Mitteln des Urhebers, durch die anderweitigen
Ereignisse, in deren Kette sie eintritt, eine gewisse Bedeutung
erhält.
Was freilich Graf Bismarck mit seinem Anträge am
Bundestage bezweckt, das erkühnen wir uns nicht, ausfindig
machen zu wollen. Gewiß, und von dem preußischen Minister
§hne Frage vorausgesehen, ist, daß dieser Antrag bei den
Regierungen, an welche er sich zunächst wendet, die aller-
schlechteste Aufnahme finden wird. Daß es unter den Cabi-
netten vollends bis zu einer auch nur vorläufigen Verstän-
digung über den Inhalt der in Aussicht genommenen Reform, oder-
gar bis zu dem positiven und allseitig genehmigten Entwürfe
einer neuen Bundesverfassung kommen sollte, liegt jenseits
aller Möglichkeit — was Graf Bismarck natürlich eben so
gut weiß, wie jeder Andere. Damit fällt denn die wesentliche
Voraussetzung der Einberufung des Parlamentes hinweg, die
konkrete Aufgabe, zu deren Behandlung Graf Bismarck das
Parlament versammelt sehen will.
Ist aber Gras Bismarck von vorn herein gewiß, von
den Regierungen abgcwiesen zu werden, so sollte man, den
einfachsten und sichersten Regeln der politischen Logik zufolge,
annehmen, daß sein Plan, der Sache nach, ans das Volk be-
rechnet sei. Als die Brücke zu einer revolutionären National-
politik hätte der Ncformantrag am Bundestag in der That
einen ganz guten Sinn. Daß Graf Bismarck der Mann ist,
eine solche Wendung zu nehmen, wird Niemand bezweifeln,
daß aber, Angesichts seiner bisherigen Nolle, an den Erfolg
eines solchen Versuches nicht gedacht werden kann, ist eben so
einleuchtend. Der Haß, mit welchem Graf Bismarck ganz
Deutschland gegen sich erfüllt hat, geht zu tief und ist zu
wohl verdient, als daß jemals irgend ein Pakt zwischen ihm
und der Nation möglich wäre. Uebcrdies reicht die mini-

1866.

sterielle Allmacht des Grafen Bismarck bis jetzt offenbar nicht
so weit, die preußische Cabinctspolitik in den Dienst der Na-
tionalrevolution zu stellen; um dahin zu gelangen, müßte der
König entweder zur vollständigen Nullität des Willens, oder
durch eine hoffnungslose Noth zur kopflosen Verzweiflung ge-
bracht sein.
Einstweilen ist der neueste Plan des Grafen Bismarck
für das deutsche Volk nur ein Stoff der Verwunderung, des
Spottes und besonders der Neugier. Zunächst ist diese Neu-
gier auf den Verlauf des in der gestrigen Sitzung des Bun-
destages begonnenen diplomatischen Zwischenspiels gerichtet.
Den Ausgang desselben kennt Jedermann im voraus. Ob
darüber aber zehn Jahre oder vier Wochen vergehen werden,
das hängt einigermaßen vom Grafen Bismarck ab. Läßt er
seinen Antrag den gewöhnlichen Bundestagsweg gehen, so fällt
die Sache in das Gebiet der Phrase zurück und ist damit
lediglich das Archiv des Thurn- und Taxis'schen Palastes
um ein neues „werthvolles" Aktenstück bereichert; steckt da-
gegen in dem Anträge des Grafen Bismarck wirklich irgend
ern politischer Gedanke, ein Zweck, ein Entschluß, so wird vor
allen Dingen ein rascher Gang und ein bündiger Abschluß der
einschlägigen Verhandlungen erwirkt, beziehungsweise erzwungen
werden. Was alsdann hintendrein kommt, das ist bis auf
Weiteres vermuthlich das tiefste aller Bismarck'schen Geheim-
nisse, dessen Enthüllung wir unterdessen in möglichster Fassung
abwarten müssen. —
Um die Wette betheuert man in Wien und Berlin
seine friedfertigen Gesinnungen, weist man den Vorwurf der
Herausforderung von sich ab, verwahrt man sich gegen jeden
Verdacht der Absicht des Angriffes. Gleichwohl bleibt die
Spannung ungeschwächt und der Bruch eben so wahrschein-
lich, wie er vor drei oder vier Wochen war. Und bis zum
heutigen Tage ist noch von keiner Seite her eine Forderung
oder eine Beschwerde vorgebracht, welche die entfernteste Aehn-
lichkeit mit einem Kriegsgrund hätte! Die Annexion der Her-
zogtümer ist in den preußischen Staatsschriften bisher kaum
genannt, geschweige denn verlangt worden, über die Februar-
bedingungen des Grasen Bismarck sind zwar einige Worte
zwischen den beiden Kabinetten gewechselt, wirkliche Verhand-
lungen aber in keiner Weise gepflogen worden, und was die
angebliche Verletzung des Gastciner Vertrags durch die Dul-
dung der Angustenburg'schen Bewegung in Holstein betrifft,
so ist sie durch die preußischen Einverleibungsbestrebungen in
Schleswig mehr als ausgewogen. Kurz, es fehlt nicht allein
jeder zulängliche Grund, sondern sogar jeder erträgliche Vor-
wand für die Herbeiführung einer Kriegsgefahr, es fehlt daran
so vollständig, daß selbst der erfindungsreiche Kopf des Grafen
Bismarck keinen schwereren Vorwurf gegen Oesterreich beizu-
bringen gewußt hat, als den, daß sein Statthalter in Hol-
stein — eine Volksversammlung in Altona geduldet. Eine Volks-
versammlung, in welcher obendrein nicht ein Wort gesprochen
worden, das nicht vorher tausend Mal in den Zeitungen ge-
 
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