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ist im Zugrcifcu nach fremdem Beistand, auch um den fran-
zösischen bereits geworben hat, und sogar das Büudniß des
in Wien so tief verhaßten Italien*) nicht verschmäht. Dazu
kommen endlich die nicht länger zu bezweifelnden Truppcuzu-
sammenziehungen Nußlands an seinen Sndwestgrenzen, die den
Gedanken an eine zwischen Berlin und St. Petersburg bereits
getroffene Abrede, wenn auch nicht für den Krieg, so doch für
Einschüchterung, „Pression" gegen Oesterreich, ziemlich nahe
legen.
Kurz, die Frage: wird Oesterreich sich zur französischen
Allianz entschließen, ist genau genommen gleichbedeutend mit
der: wird es sich überhaupt zum Krieg entschließen, wird es
nicht — vorausgesetzt, was freilich bis heute wenig wahr-
scheinlich, daß König Wilhelm dem Nathe der ehrenwerthcn
Kölnischen Zeitung folgt und ein Stück Schlesien als Ab-
findung gibt — im letzten Augenblick doch noch nachgeben?
Daß es sich für die deutschen Mächte im gegenwärtigen
Stadium der Verwicklung, daß es sich insbesondere für Oester-
reich weit weniger um Schleswig-Holstein, als um die deutsche
Frage handelt, ist schon früher bemerkt und heute allgemein
zugcstanden. Vor einem Jahre, vor einem halben Jahre noch
konnte diese umfassende Bedeutung des Zwiespalts bezweifelt
werden. Würde aber Oesterreich jetzt zurückweichen, zurück-
weichen, wie alle Welt finden müßte, vor Preußens drohen-
der Haltung, das will sagen, vor Preußens Macht: so würde
es damit ganz einfach aus Deutschland weichen, wenn auch
zunächst nur moralisch, aber die thatsächlichcn Folgen könnten
nicht ausblcibcn. Es hätte damit Preußen als die stärkere,
ihm überlegene, mithin zur Vorherrschaft berechtigte Macht in
Deutschland anerkannt. Mit feinem deutschen Ansehen wäre
cs alsdann für lange, wahrscheinlich für immer, vorbei, ja
auch sein europäisches, feine Geltung als Großmacht, würde
dadurch eilten empfindlichen Stoß erhalten.
Daß nun Oesterreich, ohne die Nöthigung von ein paar
verlorenen Schlachten, einer so schweren moralischen Nieder-
lage sich aussctzen wird, wäre glaublicher als cs ist, wenn es
in Wien einen Herrscher und eine Hofpartei gäbe, wie in
Berlin 1850. Aber Franz Joseph hat mit Friedrich Wilhelm IV.,
und die Kavaliere am Steuer des Kaiscrstaats haben mit den
Büßern von Olmütz wenig oder nichts gemein. Ueberdies han-
delt es sich für Oesterreich in der deutschen Frage gar nicht,
wie damals für Preußen, um den Rückzug aus einer vorge-
schobenen, sondern lediglich um die Behauptung einer von
Alters inne gehabten Stellnng.
Es wird jedoch gefragt: welches reelle Interesse hat im
Grunde diese Stellung heute noch für Oesterreich, wäre es nicht:
„für 'ne Grille, für ein Phantom des Ruhms",
wenn es darum in einen unabsehbaren Kamps sich stürzen
wollte? Würde es nicht besser, vor Allem sicherer fahren,
wenn es auf das Bismarck'sche, schon in der C'rkulardepesche
vom 23.' Januar 1865 scharf und klar gezeichnete Programm
einginge, wonach cs „Preußens Unterstützung in europäischen
Fragen sicher wäre, und ihm dafür in Deutschland einen
unvcrkümmertcn Einfluß überließe?" Und diese Frage wird ihm
Bismarck wahrscheinlich noch einmal auf's Eindringlichste stellen,
wenn cs zwischen beiden Mächten demnächst zur Schlußver-
handlung kommt, auch vielleicht für Preußen, in dem zu er-
wartenden BundesreforM'Vorschlage, nicht sogleich das ganze,
sondern nur das halbe Deutschland als militärisch-politisches
Einflußgcbict in Anspruch nehmen.
Hier ist der Angelpunkt meiner ganzen jetzigen Erör-
terung. Kann für Oesterreich, das heißt, in den Augen des
Kaisers und der leitenden Staatsmänner, die Behauptung,
*) Interessant ist die Haltung, welche, der Aussicht auf ein preu-
ßisch-italienisches Büudniß gegenüber, Frankreich zur Zeit beobachtet.
Ist die neulich entwickelte Ansicht über seine Politik richtig, so wird es
in Florenz weder mit unzweideutigem und drohendem Ernst von dem
Abenteuer abmahnen dürfen — weil man dann in Berlin kaum mehr
zweifelhaft sein würde, auf welche Seite es selbst sich stellen wird —
noch ganz unbekümmert gewähren lassen — weil man sonst in Wien
furchtsam und mißtrauisch werden, mithin nachgeben möchte. Es bleibt
also nur die Mittellinie einer sanften Abmahnung übrig, welche die
französische Diplomatie denn auch einzuhalten scheint. D. V.

und falls etwa diese nicht, so doch die von einem Sieg über
Preußen zu erwartende Verbesserung seiner deutschen
Stellung so viel Werth haben, daß es um ihretwillen das
Waguiß eines Kriegs an der Seite Frankreichs bestehen mag?
Diese Frage aber wird, immer unter Hinzurechnung versteht
sich der früher berührten europäischen Antriebe, Jeder bejahen,
der sich über die eigentliche Natur der inneren Lage, oder
genauer, der iuneren Verlegenheit Oesterreichs Rechen-
schaft gibt.
Die Mittel der alten Staatskuust, um den KaiscrstaaL
zusammen- und die Nationalitäten niederzuhaltcn, die groben
wie die feinen, find verbraucht oder veraltet, der Schwerpunkt
Neu-Oesterreichs aber, das Geheimniß der organischen Lebens-
einheit, des freien Sichbcwegens um die eigene Are, ist noch
nicht gefunden — das ist, in aller Kürze, Oesterreichs heu-
tiger Zustand. Wie ein Kranker auf seinem Schmerzenslager,
so wirst sich der Kaiserstaat bald auf diese, bald auf jene
Seite; gegenwärtig ist Ungarn an der Reihe — aber läßt
sich im Ernst der Schwerpunkt nach Ofen legen? Glaube
das, wer mag und kann, Ungarns äußeres und inneres Ge-
wicht reicht nicht ans, um eine so starke tragfähige Mitte zu
bilden. Vielleicht wird sie seinerzeit durch Verständigung der
Deutschen und Magyaren hergestellt — aber vorerst ist es
damit noch im weiten Felde. Einstweilen ist es immer wieder
das deutsche Element, in welchem der Kaiserstaat die Haupt-
stütze seines einheitlichen Bestandes zu suchen haben wird;
aber dasselbe ist an Zahl und politischer Kraft zu gering, um
für sich allein die Vorherrschaft zu behaupten. So ist denn
Oesterreich gerade heutigen Tags dringender als jemals an-
gewiesen auf den moralischen Rückhalt, welchen es, welchen
der deutsche Charakter des Staats, also die Grundlage feiner
Einheit, in dem Nimbus der Kaiser- und Neichstradition,
in der Anlehnung an Deutschland besitzt. Ja, es muß bedacht
fein, diesen Rückhalt vielmehr zu stärken, als schwächen zu
lassen, ihm namentlich wieder die fast gänzlich entschwundene
materielle Unterlage zu geben, d. h. nöthigenfalls über die
Heerkräftc Deutschlands verfügen zu können. Daß Oesterreich
dieses Bedürfniß empfindet, beweist der Anlauf von 1863;
und glaubt man, daß sein Mißlingen in der Seele Franz
Josephs keinen Stachel zurückgelassen habe? Nur wird der
Versuch, mit Hilfe der Mittelstaaten dieses Ziel zu erreichen,
schwerlich noch einmal gemacht werden, vielmehr liegt der Gedanke
nahe genug, eine ganz neueBahn deutscher Politik zu be-
treten. Der Eingang zu dieser Bahn würde aber nur durch
Kanoneu geöffnet werden können. Man hat Oesterreich „das
Land der Ueberraschungen" genannt, die Ueberraschung in die-
sem Sinne könnte leicht die stärkste sein von allen, die es
der Welt bisher bereitet. Daß der Kaiser für feine Person
wohl der Mann ist zu plötzlichen Entschlüssen, ungeahnten
raschen Wendungen, hat er schon bewiesen; dazu kommt, daß
auch die heute vielvermögendeu Ungarn einer deutschen Politik
Oesterreichs im großen Stile, und damit auch dem Kriege
gegen Preußen, eifrig das Wort reden. Sie hoffen, gleichviel
mit Recht oder Unrecht, Oesterreich, in Deutschland neube-
festigt und vorherrschend, werde Ungarn eine möglichst selbst-
ständige Stellung einräumen können und einräumen müssen,
um sich im Uebrigen desto ausschließlicher seinen deutschen
Bestrebungen hinzugeben. Es war eine der gröbsten Fehlrech-
nungen der Annexionssanguiniker, daß sie in dem Voranschlag
der beiderseitigen Machtmittel die Ungarn Preußen in's Haben
setzten.*)

*) Daß die Ungarn auch anti russisch denken, versteht sich von
selbst. Deal, als er in der Sitzung der Deputirtentafel vom 20. Febr.
d. I. mit dem Schmerling'schen Regiment, auch wegen seiner auswär-
tigen Politik, in's Gericht ging, rügte er namentlich deren Lahmheit in
der polnischen Frage, und sagte u. A.: „Die Westmächte, da sie durch
jene (Schmerling'sche) Regierung nicht unterstützt wurden, deren Auf-
gabe es gewesen wäre, das von sämmtlichen europäischen Staaten aus-
gesprochene Veto durch ihre moralische Macht zur Geltung zu bringen,
verließen natürlich jene Sache, welche zwar ebenfalls eine europäische,
vor Allem aber eine österreichische und ungarische Frage war,
denn nur der autonome Bestand Polens kann die Gefahr der panslavi-
schen Idee aushalten." D. V.
 
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