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Wölfflin, Heinrich
Die klassische Kunst: eine Einführung in die italienische Renaissance — München, 1901

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https://doi.org/10.11588/diglit.28845#0096
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78

DIE KLASSISCHE KUNST

2. Die florentinischen Madonnen

Reiner als in der Grablegung
stimmen Absicht und Mittel in den
Madonnenbildern zusammen. Als
Madonnenmaler ist Raffael populär
geworden und es mag überhaupt
überflüssig erscheinen, mit den groben
Werkzeugen einer formalen Analyse
dem Zauber dieser Bilder beikommen
zu wollen. Durch eine Fülle von
Nachbildungen, wie sie keinem an-
deren Künstler der Welt zu teil ge-
worden, sind sie uns von Jugend an
vertraut und was sie an Zügen
mütterlicher Innigkeit und kindlicher
Anmut oder an feierlicher Würde
und seltsam übernatürlichem Wesen
enthalten, spricht so stark zu uns,
dass wir hier nicht nach weiteren
künstlerischen Absichten fragen. Und doch könnte schon ein Blick auf
die Zeichnungen Raffaels lehren, dass das Problem für den Künstler
nicht da lag, wo es das Publikum sucht, dass nicht der einzelne
hübsche Kopf, diese oder jene kindliche Wendung die Arbeit ausmachte,
sondern dass es auf die Schiebung der Gruppe im ganzen abgesehen
war, auf das Zusammenstimmen der Richtungen verschieden bewegter
Glieder und Körper. Es soll niemandem verwehrt sein, sich Raffael von
der Gemütsseite her zu nähern, allein ein wesentlicher Teil der künst-
lerischen Absicht entdeckt sich erst dem Beschauer, der über das ge-
mütvolle Nachempfinden hinaus in eine formale Betrachtung einzutreten
vermag.

Es empfiehlt sich, die Bilder mit gleichem Thema zu Entwicklungs-
reihen zusammenzustellen. Ob die Madonna ein Buch hält oder einen
Apfel, ob sie im Freien sitzt oder nicht, ist dabei gleichgültig. Nicht
diese stofflichen Merkmale, sondern die formalen müssen den Einteilungs-
grund abgeben: ob die Madonna in Halbfigur genommen ist oder in
ganzer Figur, ob sie mit einem oder mit zwei Kindern zusammen-
gruppiert ist, ob weitere Erwachsene dazutreten, das sind die künstlerisch
wichtigen Fragen. Beginnen wir mit dem einfachsten Falle, der Madonna
in Halbfigur, und lassen wir die Gran du ca (Pitti) vorangehen. Ganz
schlicht in der Vertikallinie der stehenden Hauptfigur und dem noch
 
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