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Wölfflin, Heinrich
Die klassische Kunst: eine Einführung in die italienische Renaissance — München, 1901

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https://doi.org/10.11588/diglit.28845#0175
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ANDREA DEL SARTO. MADONNEN UND HEILIGE

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eine offenbare Anlehnung an die
gleiche Figur des Sansovino in Rom
(S. M. del popolo). Nur ist der eine
Fuss hochgesetzt, um mehr Be-
wegung zu gewinnen.1) Die Figur
lebt dann noch einmal auf in der
Madonna delle arpie.

Das Nachlassen im Ernst der
Auffassung und Durchführung, das
sich in den Scalzifresken etwa vom
Jahre 1523 an fühlbar macht, be-
deutet nicht, dass dem Künstler diese
besondere Aufgabe verleidet ge-
wesen wäre: in den Tafelbildern

stellen sich zur selben Zeit dieselben
Symptome ein. Andrea wird gleich-
gültig, ein Routinier, der auf seine glänzenden Kunstmittel sich verlässt.
Selbst da, wo er sich offenbar zusammennimmt, spürt man in dem
Werk nicht mehr die seelische Wärme. Der Biograph wird sagen,
warum die Dinge so kamen. Die Jugendwerke lassen die Wendung
nicht ahnen und man kann an keinem besseren Beispiel erkennen, was
ursprünglich in dieser Seele beschlossen lag, als in dem grossen Ver-
kündigungsbild des Palazzo Pitti, das Andrea in seinem 25. oder
26. Jahre gemalt haben muss.

Maria vornehm und streng wie bei Albertinelli, aber in der Be-
wegung feiner durchgefühlt, und der Engel so schön wie ihn nur
Lionardo hätte machen können mit allem Reiz jugendlicher Schwärmerei
in dem vorgebeugten und leise geneigten Kopf. Er spricht seinen Gruss
und streckt den Arm gegen die Erstaunende, indem er das Knie beugt.
Es ist eine ehrfurchtsvolle Begrüssung von ferne, nicht mehr das stür-
mische Hereinrennen eines Schulmädchens wie bei Ghirlandajo oder
Lorenzo di Credi. Und zum erstenmal wieder seit dem gotischen Jahr-

b Nach quattrocentistischem Geschmack wird das Schwert aufwärts gehalten, nach
cinquecentistischem gesenkt. Sansovino vertritt hier den alten Stil, Sarto den neuen.
Auch von Paulus mit seinem Schwert ist das gleiche zu sagen. Eine grosse Skulptur,
wie der Paulus des P. Romano an der Engelsbrücke, repräsentiert noch den altertüm-
lichen Typus.

3. Madonnen und Heilige
 
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