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Wölfflin, Heinrich
Die klassische Kunst: eine Einführung in die italienische Renaissance — München, 1901

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https://doi.org/10.11588/diglit.28845#0099
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RAFFAEL. DIE FLORENTINISCHEN MADONNEN

81

Geschmacksentwicklung drängt dann
weiter aufs Massige und auf die
starken Kontraste. Das lehrreiche
Gegenbeispiel aus der spätem römi-
schen Periode wäre zu suchen in der
Madonna del divin amore (Nea-
pel), die, in der Ausführung nicht
original, über die neuen Intentionen
doch vollkommene Rechenschaft
giebt.1) Wie das alte gleichseitige Drei-
eck ungleichseitig wird, wie die alte
steile Gruppe sich erniedrigt und das
ehemals leichte Gebilde massig und
schwer wird, das sind die typischen
Veränderungen. Die zwei Frauen sitzen jetzt nebeneinander auf einer
Seite und zur Ausgleichung erscheint Joseph auf der andern, eine isolierte
Figur, tief im Raum zurückgeschoben.

In der vielfigurigen Madonna Franz I. (Fouvre) ist der Gruppen-
bau dann völlig negiert und statt dessen haben wir das malerische
Massenknäuelbild, das sich aller Vergleichung mit den älteren Kom-
positionen entzieht.2)

Über die thronende Madonna endlich, im Kreise von Heiligen, hat
der florentinische Raffael in dem gross angelegten Bilde der Madonna
del baldacchino seine Ansicht ausgesprochen. Peruginische Einfachheit
mischt sich hier mit Motiven aus dem Kreise jener machtvollen Persön-
lichkeit, der Raffael in Florenz am nächsten trat, des Fra Bartolommeo.
Die Schlichtheit des Thrones ist ganz in der Art des Perugino, die
Prachtfigur des Petrus andererseits, mit dem geschlossenen Umriss, wäre
ohne Fra Bartolommeo nicht denkbar. Eine vollkommene Abrechnung
aber hätte neben diesen zwei Potenzen auch noch zu berücksichtigen,
was erst beträchtlich später, in Rom, zu dem Bilde hinzugekommen ist,
die Engel oben und wohl die ganze Hintergrundsarchitektur und jeden-
falls auch die Erhöhung der Tafel nach oben um ein beträchtliches
Stück.3 * * *) Der römische Geschmack verlangte mehr Raum. Hätte er frei

') Dollmayr (Jahrbuch der Sammlungen des allerhöchsten Kaiserhauses 1895) giebt
das Bild nach Ausführung und Entwurf dem G. F. Penni (Fattore).

2) Dollmayr (a. a. O.) leugnet wenigstens für die Gruppe der Maria nicht die
raffaelsche Herkunft. In die Ausführung würden sich Penni und Giulio Romano ge-
teilt haben.

3) Von einer besonders schwachen Hand scheint der heilige Augustin hinzugefügt.

Dagegen gehören die Engelknaben sicher zum alten Bestand des Bildes (entgegen ander-

weitigen Behauptungen, z. B. im Cicerone7).

Wölfflin, Die klassische Kunst.

Raffael. Madonna aus dem Hause Alba

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