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Wölfflin, Heinrich
Die klassische Kunst: eine Einführung in die italienische Renaissance — München, 1901

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https://doi.org/10.11588/diglit.28845#0278
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DIE KLASSISCHE KUNST

Qualität eines Bildes bestimmt sich für ihn darnach, wie weit der Autor auf
die genannten Aufgaben einzugehen vermochte. Bewegung, Verkürzung,
körperhafte Erscheinung sind aber gerade die Begriffe, die wir in ihrer
Bedeutung für den neuen Stil hier zu erklären versuchten und so mag
die Verantwortung, wenn wir die Analyse nicht weiterführen, Lionardo
zugeschoben werden.

4. Einheit und Notwendigkeit

Der Begriff der Komposition ist alt und schon im 15. Jahrhundert
erörtert worden, allein in seinem strengen Sinn als Zusammenordnung
von Teilen, die auch zusammengesehen werden sollen, gehört er erst
dem 16. Jahrhundert an und was einst als komponiert galt, erscheint
jetzt als ein blosses Aggregat, dem die eigentliche Form fehle. Das
Cinquecento fasst nicht nur grössere Zusammenhänge auf und begreift
das Einzelne in seiner Stellung innerhalb des Ganzen, wo man bisher
mit isolierendem Nahblick Stück um Stück betrachtete, es giebt auch
eine Bindung der Teile, eine Notwendigkeit der Fügung, neben der
in der That alles Quattrocentistische zusammenhangslos und willkür-
lich wirkt.

Was das bedeutet, kann aus einem einzigen Beispiel ersichtlich
werden, wenn man sich an die Komposition von Li-onardos Abendmahl
erinnert im Vergleich zu der Ghirlandajos. Dort eine Zentralfigur,
herrschend, zusammenfassend; eine Gesellschaft von Männern, wo jedem
seine bestimmte Rolle innerhalb der Gesamtbewegung zugewiesen ist;
ein Bau, aus dem kein Stein herausgenommen werden könnte, ohne
dass alles aus dem Gleichgewicht käme; hier eine Summe von Figuren,
ein Nebeneinander ohne Gesetz der Folge und ohne Notwendigkeit der
Zahl: es könnten mehr sein oder weniger und in der Flaltung könnte
jeder auch anders gegeben sein, der Anblick würde sich nicht wesent-
lich ändern.

Im Gnadenbild ist die symmetrische Anordnung immer respektiert
worden und es giebt auch Bilder profaner Natur, wie die Primavera
des Botticelli, die daran festhielten, dass eine Mittelfigur da sei und ein
Gleichgewicht zwischen den beiden Seiten. Allein damit konnte sich
das 16. Jahrhundert noch lange nicht zufrieden geben: die Mittelfigur ist
doch nur eine Figur neben andern, das Ganze eine Reihung von Teilen,
wo jeder ungefähr gleichviel bedeutet. Statt einer Kette gleichartiger
Glieder verlangt man jetzt ein Gefüge mit entschiedener Über- und
Unterordnung. An Stelle der Koordination tritt die Subordination.
 
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