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Wölfflin, Heinrich; Dürer, Albrecht [Ill.]
Die Kunst Albrecht Dürers — München, 1905

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https://doi.org/10.11588/diglit.27918#0031
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Lebensgeschichte

15

großen Ängsten geholfen, und das niederlündische Tagebuch enthült eine
ergreisende Äußerung der Klage und Derzmeislung, als das Gerücht von
Luthers Verschwinden nach dem Reichstag von Worms ihn erreichte. Es
liegt nicht in unserer Aufgabe, die Beziehungen zu reformatorischen Persön-
lichkeiten und zur Sache der Reformation nüher zu oerfolgen; aber man
niuß wissen, daß die Gedanken an die andere Welt Dürer zeitlebens stark
und mit dem Alter immer mehr beschüstigt haben. Er ist von sehr schwerem
Geblüt gewesen. Jn den ausführlichen Worten, mit denen er den Tod des
Vaters und dann der Mutter verzeichnet, A fühlt man den ganzen furcht-
baren Druck, unter dem er und wohl die meisten ernsthaften Gemüter da-
mals lebten. Mit Schauer hült er die Erinnerung an einen wunderbaren
Regen von Kreuzen fest, den er im Jahre 1503 miterlebteT) und der Be-
richt eines qualvollen Traums aus dem Jahre 1525, wo ungeheure Wasser-
sluten vom Himmel herabbrachen, liest sich wie ein Stück Apokalqpse. ch
Blitzartig erhellen diese Gestündnisse die Angst der Zeit.

Aber solche Gedanken sanden bei ihm ihren Ausgleich in der unermüd-
lichen Wissens- und Sehfreudigkeit, die für den Gesamteindruck Dürers denn
doch die entscheidenden Eigenschasten sind.

Seine Hauptangelegenheit in dieser Spützeit ist gewesen, mit den theore-
tischen Arbeiten unter Dach Zu kommen.

Aus dem allgemeinen „llnterricht der Malerei", wie er einst als Lehr-
buch geplant war, hatte sich das Kapitel von den Proportionen des Menschen
als Hauptstück hernusgebildet und war schließlich nllein zur Publikation be-
stimmt worden. Den einen vollkommenen Tppus Zu sinden, hatte Dürer
aufgegeben, es schien ihm mit menschlicher Beschrünktheit für immer ver-
bunden, daß der Geschmack ein schwankender bleibe, und das einzige, was
vernünftigerweise erstrebt werden könne, sei das, die Formenharmonie
innerhalb bestimmter Typen zu erkennen. Jn diesem Sinne stellte er
die Maße sür verschiedene menschliche Bildungen auf, gewonnen aus sehr
vielen Naturmessungen und durchgeführt bis ins kleinste Einzelglied, ossen-
bar ein gewaltiges Stück Arbeit, das Dürer um keinen Preis verloren gehen
lassen wollte, da er, selbst wenn die Resultate keine abschließenden sein sollten,
doch von der Methode sehr hoch dachte und einen Fortschritt der deutschen
Kunst ohne dieses Studium der sümtlichen Maße einer Gestalt für unmög-
lich hielt. Ilm ganz sicher zu sein, verstanden zu werden, ließ er aber dem

0 Aufzetchnung in seinem Gedenkbuch iül". 11 ff.
Ebendort, S. 14 f.

Ebendort, S. 16 f. Text und Zeichnung T. 42T
 
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