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Wölfflin, Heinrich; Dürer, Albrecht [Ill.]
Die Kunst Albrecht Dürers — München, 1905

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https://doi.org/10.11588/diglit.27918#0296
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224

Die Kunst Klbrecht Dürers

stntt der Hohlkehlen anr Portal gibt man gern eine bandartige Nmrahmung.
Man rechnet nicht mehr bloß mit Kräften, sondern mit Flächen, und kom-
poniert in malerischem Sinne mit Flächenkontrasten. Der Charakter des
Bleibenden und Beharrenden tritt mehr und mehr an Stelle des llngestillt-
Drängenden.

Aber das hätte alles noch nicht das Jtalienische nötig gemacht. Jn der Tat,
es komnrt nicht nne eine Notwendigkeit, sondern wie eine Mode. Der Becher in
der Hand des großen Glückes sieht oollkommen überzeugend aus, während Pro-
ben des neuen Stils im Marienleben und in der grünen Passion widrig, un-
empfunden und entlehnt wirken. Jch glaube nicht, daß irgend jemand ehrlicher-
weise diese kahlen Jnterieurs dan:als angenehm gefunden hat, aber man sagte
sich: das mag nun noch so häßlich aussehen, wir wissen schon, daß es schön ist,
es ist ja die Kunst der Griechen und Römer.

Durch die große italienische Reise hat der welsche Stil dann eine neue und be-
deutendere Phpsiognoniie bekommen. Ter erste Entwurfzum Rahmen des Aller-
heiligenbildes geht über das bloße Wiederholen auf Hörensagen hinaus. Aber
es ist lehrreich, wie die italienische Empsindung nicht lange standhält, wie der
ausgeführte Rahmen paktiert mit dem hcimischen Geschmack, und eine ost abge-
bildete farbigeZeichnung in Basel aus dem Jahre1509bietetdasselbeSchauspiel.
Es ist eine Maria in ossencr Säulenhalle. Ossenbar liegen ganz bestimmte Ein-
drücke von venezianischen Bildern zugrunde, aber Dürer entfernt sich soweit von
seinem Ausgangspunkt, daß man von Venedig kaum mehr etwas spürt. Alle
Veränderungen in dieser Übersetzung eines italienischen Originals sind tppisch
für die deutsche Empsindung der damaligen Zeit. Die Aspmmetrie der GesanN-
anlage und die Umbildung der Formen im einzelnen: das Ubereckstellen des
„korinthischen" Kapitells,die Vernichtungdes Gebälkes, die ErsetzungderDecken-
kassetten durch ein Rippennetz usw. Die Säule ist sehr elegant, aber das Hallen-
motiv ist nicht architektonisch durchempfunden im italienischen Sinne, der Raum
als solcherbedeutet rrichts für dieFigur. Durch Überschneidungen der tektonischen
Hauptlinien, dureh Behänge, durch zufällig wirkende Verschiebungen der Möbel
und malerisch ausgebildeten Hintergrund sucht Dürer der Architektur überhaupt
das Strenge zu nehmen und jenen Schein slimmernden Reichtums zu gewinnen,
mit dem die Spätgotik das Auge verwöhnt hatte.

Wie gerne möchte man wissen, wie Dürer sich solch einen idealen Raum ge-
dacht hätte ohne importierte Bnuglieder.

Aus der Zeit der Melancholie und des Hieronpmus gibt es dann ein paar
Stücke dekorativer Kunst, denen man eine besondere Ehrfurcht entgegenbringt.
Hnt doch Dürer damals, als er Einkehr bei sich selbst hielt, seine tiefsten Blicke
getan. Schon die Prachtuhr auf der Melancholie ist ein wertvolles Dokument,
 
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