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VORWORT ZUR SECHSTEN AUFLAGE

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warf seine Schatten vorzeitig beunruhigend über das Land, ein Stil der antiken Formen,
mit Betonung der Breitenlinie und der Vorliebe für Rundung und volles Volumen; und
gegeniiber den menschlichen Dingen war das Gefiihl ebenfalls in einer Umwandlung
begriffen: es bereiteten sich jene großen Erschiitterungen vor, aus denen die Refor-
mation hervorgegangen ist. Italien hat in seiner Kunst eine Entwicklung ähnlicher Art
auch gehabt, aber dort kommt das Neue natiirlich und allmählich, nicht stoßweise und
als ein Gegensatz wie in Deutschland, das von einem fertigen Vorbild iiberrascht wird.
Raffael und Tizian haben Klassiker werden können, weil alles vorbereitet war, als sie
erschienen: bei Diirer war das bloße Handwerk noch nicht ausgebildet. Mit gewaltigem
Krafteinsatz hat er dann der Kunst die neue Art des Darstellens errungen, hat die Gotik
in den „Renaissancestil“ hiniibergefiihrt und hat den Menschentypus der Reformations-
zeit geschaffen: es ist Großes, was er getan hat, aber vielleicht liegt das Größere in dem,
was er dabei überwunden hat. Die Resultate seines Lebens sind kaum so interessant
wie der Weg, auf dem er sie gewann.

. . . . Er selbst hat sich bei der Meinung beschieden, der Bahnbrecher einer neuen Kunst
zu sein, nicht der Vollender.

VORWORT ZUR SECHSTEN AUFLAGE

D^er Verlag wünscht dieses Buch noch einmal herauszubringen.

Die letzte Auflage erschien 1926, das Buch selbst aber ist vor fast vierzig Jahren ge-
schrieben worden. Erste Auflage: 1905.

Was mich damals leitete, war ein Doppeltes. Einmal sollte versucht werden in der Ana-
lyse der Dürerschen Form ein paar Schritte vorwärts zu kommen, nicht nur durch
festere Definition seines Stils im allgemeinen, sondern auch durch Untersuchungen
über das Besondere der Zeichnung im Holzschnitt, im Kupferstich usw. Daneben be-
schäftigte mich stark das Zwiespältige in Dürers Kunst. Es bleibt eben doch ein we-
sentlich Verschiedenes: Der Hieronymus im Gehäuse und der Stich von Adam und
Eva oder das Pferd von Ritter, Tod und Teufel. Grob ausgedrückt nennt man das das
deutsche und das italienische Element bei ihm. Das letztere als einen Fremdkörper ab-
zutun, geht freilich nicht an: irgendwie ist es auch in seiner Natur verwurzelt, aber wie
die zwei Mächte zu einem Ausgleich zu bringen seien, ist offenbar ein Problem gewe-
sen, das ihn leidenschaftlich bewegte. Es handelt sich nicht um Fragen der Technik,
sondern um zwei verschiedene künstlerische Wertbegriffe, die zugleich zwei verschie-
deneWeltbegriffe sind.

Wenn ich heute noch einmal über Dürer schreiben sollte, würde ich die Arbeit densel-
ben zwei Gesichtspunkten unterstellen. Unnötig zu sagen, daß man in vierzig Jahren
sich wandelt und daß ich in der Durchführung es jetzt etwas anders halten würde.
Daran ist nun nichts mehr zu ändern, aber wenigstens in bezug auf die stoffliche
Richtigkeit sollte die neue Auflage nicht hinter billigen Ansprüchen zurückbleiben und
nicht von vornherein sich als veraltet bekennen müssen. Es ist ein rechter Freund-
 
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