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ITALIEN UND DIE GROSSEN GEMÄLDE

I.

Dürer stand im fünfunddreißigsten Jahre, als er zum zweiten Male nach
Italien ging. Er wußte jetzt, was er zu erwarten hatte; er suchte nicht
Überraschungen, sondern Bestätigungen. Man begreift auch, daß er nach
Venedig ging, aber warum ging er nicht weiter? Warum ging er nicht nach
Florenz? Er war Zeichner. Florenz war die Stadt der Zeichnung. Er hatte sein Men-
schenpaar gemacht, den Stich von Adam und Eva: das war seine Kunst des mensch-
lichen Körpers. In Florenz hätte er sich mit Michelangelo vergleichen müssen, und
was hätte der ihm zu sagen gehabt mit dem einen Karton der badenden Soldaten,
der damals fertig dastand! Lassen wir die Qualität der Zeichnung beiseite — aber
Michelangelo stand überhaupt schon bei viel höheren Aufgaben: er gab den Körper
in der mannigfaltigsten Bewegung, er zeigte ihn in Verkiirzungen, die bisher fiir un-
darstellbar galten, und er stellte nicht nur den Einzelkörper hin, sondern brachte die
reiche Verschränkung vieler Körper. Wie weniges konnte Diirer solchen monumen-
talen Unternehmungen entgegensetzen, was bedeutete sein Holzschnitt badender
Männer, und wie einfach hatte er das Problem selbst noch in seinem bogenspannenden
Apoll genommen! Aber freilich, wo wäre auch in Deutschland Platz fiir eine solche
Kunst gewesen? Es sind später die kleinen Kupferplatten eines Barthel Beham, wo
ähnliche Anläufe miindeten.

Und neben Michelangelo hätte er den Eindruck eines großen Werkes von Lionardo
erfahren, der als Gegenstiick zu den ,,Badenden Soldaten“ seine Reiterschlacht zu
malen begonnen hatte und darin Resultate jahrzehntelanger Beschäftigung mit dem
Pferde niederlegte. Hatte Diirer nicht eben dieselben Interessen? Aber auch da hätte
er gefunden, daß der Italiener in der Fragestellung schon weit iiber das ruhige Bild
der Vollkommenheit hinausgegangen war und Bewegung und Verkürzung und ge-
drängte Fülle von seiner Zeichnung verlangte. Unberührt von dem Genius Lionardos
sollte Dürer zwar nicht bleiben — wir kommen darauf zurück —, aber im wesentlichen
war Italien für ihn doch nur Venedig.

Und nun ist Venedig gerade der Ort der stillsten Kunst. Was der erste Eindruck der
Stadt mit ihren Wasserstraßen ist, die Stille, ist auch der Charakter ihrer Kunst.
Das ruhige Beisammensein von Figuren in schön beschlossenem Hallenraum ist
nirgends so genossen worden. Der Sinn fand darin ein völliges Genügen. Still breiten
sich die Flächen, still gleiten die Linien, und dabei haben die Venezianer ein ihnen
e'igentümliches Gefühl für Ton, daß jeder Schatten weich eingebettet sei und das
 
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