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DIE KUNSTALBRECHTDÜRERS

zu höchster Bestimmtheit aufgerufen wird und nach dem Maß des geforderten Kraft-
einsatzes jede Wendung der formgebenden Linie doppelt und dreifach stark empfunden
wird. Es scheint keine mühseligere Art des Zeichnens zu geben, und doch fand Dürer
das Stechen eine lustige Arbeit gegenüber dem ,,kläubelnden“ Malen. Die Erscheinung
behält etwas Metallisches. ,,Der Reiz seiner Stiche besteht zum guten Teil darin,
daß man das technische Instrument und sein Material, beide im dichten Kontakt
ihrer Eigenschaften, unbewußt durchfühlt“, sagt Robert Vischer, der gerade diese Seite
von Dürers Kunst ungemein kräftig und sinnlich erfaßt hat1)- ,,Das in ihnen ent-
haltene Künstlertum gemahnt selber so gedrang und schneidig wie Erz und Eisen,
schlägt an die Erscheinung wie das Schwert auf den Schild, wühlt sich in ihr Wesen
ein wie der Stichel in die Platte. Stoff und Mittel, Ich und Welt werden gleich scharf
und prall. Dabei ist es bezeichnend, wie er in den Kupferstichen dieser Technik wahl-
verwandte Dinge, Harnische, Waffen, Helme, Zinnkrüge, metallisch glänzende Seide,
seidenes Haar, Feldsteine, Wasserspiegel, Strahlenglorien, magere, muskulöse, sehnige
Glieder mit sichtlicher Vorliebe darstellt und wie er zuweilen den milden Glanz ju-
gendlicher Haut übertreibt, so daß ein atlasähnlicher Anschein entsteht.“

Der Holzschnitt dagegen hat etwas Stumpferes, Mürbes, er fühlt sich an wie Holz-
geräte sich anfühlt im Gegensatz zu Metallgerät und gibt sich in seinem Ausdruck mit
behaglicher Breite. Er steht unmittelbar auf dem Boden der Handzeichnung, während
der Kupferstich mit dem Raffinement seiner Mittel weit darüber hinausgeht. Früher
war es umgekehrt. Was im 15. Jahrhundert der Handzeichnung entspricht, ist der
Kupferstich, und der Holzschnitt dachte nicht daran, jemals konkurrieren zu wollen.
Erst Dürer bringt dann die große Verschiebung der Möglichkeiten: er erobert dem Holz-
stock den ganzen Reiz einer freien Zeichnung und weiß andererseits der Kupferplatte
metallische Schönheiten abzugewinnen, die der gewandtesten Feder auf dem Papier
nie erreichbar wären.

Aber auch über den Begriff der Zeichnung dachte das sechzehnte Jahrhundert anders
als das fünfzehnte.

Die Zeichnung der neueren Zeit hat sich in drei Stufen entwickelt. Sie fängt an mit
geschlossenem Umriß und einer strichelnden Modellierung, wobei durch viele kurze
übereinandergelegte Linien ein Schatten und damit die Illusion der Rundung erzeugt
wird. Dann lösen sich diese undurchsichtigen Schattenmassen in wenige und einzeln
sichtbare Elemente auf, der Strich wird größer, und man sucht in der Führung und
Haltung der klaren gleichmäßigen Strichlagen eine Schönheit für sich, um endlich
auch dieses System über Bord zu werfen und malerisch-impressionistisch mit Um-
rißlinien zu arbeiten, wo dicke und dünne Striche unvermittelt aufeinanderstoßen,
wo der Zusammenhang stellenweise ganz fehlt und die Binnenzeichnung in einem
Durcheinander von Linienzügen besteht, die an sich weder dekorativ noch form-
bezeichnend sind, aber auch nicht einzeln zum Bewußtsein kommen sollen: erst wenn
sie untergegangen sind im Gesamteindruck, können sie wirksam werden. Die erste
Stufe entspricht ungefähr dem 15. Jahrhundert, die zweite dem 16. und die dritte
 
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