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PROLEGOMENA

ZU EINER PSYCHOLOGIE DER ARCHITEKTUR

Den Gegenstand der vorliegenden Betrachtungen bildet die Frage, die mir
immer als eine überaus merkwürdige erschien: Wie ist es möglich, daß archi-
tektonische Formen Ausdruck eines Seelischen, einer Stimmung sein können?

Über die Tatsache darf kein Zweifel sein. Nicht nur bestätigt das Urteil des
Laien aufs entschiedenste, daß jedes Gebäude einen bestimmten Eindruck
mache, vom Ernsten, Düstern bis zum Fröhlich-Freundlichen - eine ganze
Skala von Stimmungen, sondern auch der Kunsthistoriker trägt kein Bedenken,
aus ihrer Architektur Zeiten und Völker zu charakterisieren. Die Ausdrucks-
fähigkeit wird also zugegeben. Aber wie? Nach welchen Prinzipien urteilt der
Flistoriker?

Ich wunderte mich, daß die wissenschaftliche Literatur für solche Fragen fast
gar keine Antwort hatte. Soviel Sorgfalt und hingebende Liebe dem analogen
Problem in der Musik zugewandt worden ist, die Architektur hat weder von der
Psychologie noch von der Kunsttheorie eine ähnliche Pflege je genossen. Ich
führe das nicht an, um nun selbst mit dem Anspruch aufzutreten, die Lücke zu
füllen, vielmehr möchte ich daraus eine Entschuldigung für mich ableiten.

Mehr als einen Entwurf darf man nicht erwarten. Was ich hier gebe, sollen
lediglich Prolegomena sein zu einer Psychologie der Architektur, die erst noch
geschrieben werden muß. Für die oft bloß andeutende Behandlung des Themas
bin ich also genötigt, die Gunst dieses Titels in Anspruch zu nehmen.

I. Psychologische Grundlage

Die Psychologie der Architektur hat die Aufgabe, die seelischen Wirkungen,
welche die Baukunst mit ihren Mitteln hervorzurufen imstande ist, zu beschrei-
ben und zu erklären.

Wir bezeichnen die Wirkung, die wir empfangen, als Eindruck.

Und diesen Eindruck fassen wir als Ausdruck des Objekts.

Also dürfen wir das Problem auch so formulieren:

Wie können tektonische Formen Ausdruck sein?

(Unter «tektonische Formen» müssen auch die kleinen Künste der Dekora-
tion und des Kunsthandwerks begriffen werden, da sie unter denselben Bedin-
gungen des Ausdrucks stehen.)

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