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MAREES UND HILDEBRAND

Überzeugendes. Man mußte Hildebrand recht geben, daß eigentlich nirgends
der Versuch gemacht war, die Aufgabe aus dem Sinn der Situation heraus zu
lösen. Das meiste waren anspruchsvolle Hochbauten, die an jeder anderen
Stelle ebenso gut oder ebenso schlecht hätten stehen können; verschiebbare
Dinge, ohne Zusammenhang mit dem Boden. Hier aber handelte es sich um
einen ganz bestimmten Fall: der Brunnen sollte den Ort bezeichnen, wo die
lange flache Erdwelle der Maximiliansanlagen mit dem (später sogenannten)
Lenbachplatz sich trifft. Hier gehört nichts hohes hin, sondern etwas breites.
Der Brunnen mußte den Abfall des Terrains gegen den Platz hin stilisieren, er
mußte, indem er die Anlagen eröffnet, gleichzeitig den Platz schließen und es
war unter allen Umständen zu vermeiden, daß die Brunnenarchitektur als Ver-
tikalform mit den rahmenden Häusern in Konkurrenz träte. An einem zweiten
Ausschreiben nahm Hildebrand nicht mehr als Preisrichter, sondern als Be-
werber teil. Und siegte. Aus den angedeuteten Überlegungen heraus ist der
jetzige Brunnen entstanden. Der Hügelabfall ist halbrund gefaßt; ein oberes
und ein unteres Bassin, nah zusammengehalten; auch das Becken in der Mitte
und die Wasserstrudel nicht hochgetrieben; seitlich aber die Kolossalfiguren
des Steinschleuderers auf dem Rosse und der Frau auf dem Stier durchaus
«reliefmäßig» gehalten, zur ruhigen Wand sich schließend.

Hildebrand hat sich später noch freier entwickelt, seine Kunst aber steht in
diesem Brunnen schon als etwas durchaus Fertiges da: sein «Relief^stil, sein
architektonisches Denken und - als Stempel seiner menschlichen Persönlich-
keit - die Harmonie und das Maß, die seine Arbeiten zum Ärger mancher Leute
wie etwas aus den Zeitwirren Herausgehobenes erscheinen lassen.

*

Es ist sehr äußerlich, Hildebrand'wegen der «schönen Linie» als Klassizisten
zu bezeichnen. Wenn er Phidias und Michelangelo verehrt, so geschieht das
wahrlich nicht wegen der Schönheit des Umrisses und dem Wohllaut der Form-
anordnung, sondern wegen der Darstellungsart als solcher. Wegen ihrer Ge-
walt in der plastischen Erscheinung. Wegen der nachhaltigen Stärke und Si-
cherheit des Körper- und Raumeindrucks. Wem es noch nicht begegnet ist,
daß er sich hier plötzlich in ein ganz anderes Reich der Sichtbarkeit aufgenom-
men fühlte, dem stehn die eigentlichen Überraschungen im Garten der Kunst
noch bevor. Es ist aber kein Zweifel, daß gerade unter diesem Gesichtspunkt
der moderne Künstler auf das entgegenkommende Verständnis des Publikums
nur in geringem Grade rechnen darf. Man ist viel zu wenig gewöhnt zwischen
Sehen und Sehen zu unterscheiden. Man nimmt die Kunst nicht viel anders als
die Wirklichkeit und findet den Unterschied zwischen dem, was der Stein bie-


 
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