Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Wölfflin, Heinrich [Gefeierte Pers.]; Wolters, Paul [Mitarb.]
Festschrift Heinrich Wölfflin: Beiträge zur Kunst- und Geistesgeschichte ; zum 21. Juni 1924 überreicht von Freunden und Schülern ; [zum 60. Geburtstag] — München, 1924

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.28508#0159
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
OSKAR HAGEN: DIE CAMERA DI SAN PAOLO ZU PARMA

BETRACHTUNGEN ÜBER DAS VERHÄLTNIS VON MALEREI UND ARCHITEKTUR BEI CORREGGIO

IOVANNA da Piacenza, seit 1507 auf Lebenszeit erwählte Äbtissin des Benediktinerin-

nenklosters zu San Paolo in Parma, hatte sich durch ihren Architekten Giorgio
d’Erba im Anschluß an die alten Klosterräume eine neue Wohnung für ihren persönlichen
Gebrauch errichten lassen. Affö1) gibt eine genaue Beschreibung des Baues in seinem
ursprünglichen Zustand: Zu ebener Erde in gerader Flucht, von einem ihr in voller Breite
vorgelagerten Portikus zusammengehalten und erleuchtet, drei Repräsentationsräume: ein
langgestreckter, rechteckiger Saal, an dessen eine Schmalseite sich zwei weitere, etwa halb
so große Gemächer von quadratischem Grundriß anschlossen. Hinter diesen beiden Ge-
mächern zwei kleinere Wohnzimmer und ein Oratorium, alle drei nach dem Garten sehend.
Das letzte der beiden großen in der Flucht gelegenen Gemächer hat Correggio ausgemalt;
zwischen 1518/20 wie aus den Urkunden indirekt hervorgeht. Dies ist die berühmte Ca-
mera di San Paolo. Den Monumentalfresken von San Giovanni Evangelista und vom Dom
vorausgehend ist dies nicht nur seine erste Raummalerei in Parma, sondern überhaupt
die erste dekorative Arbeit großen Stils, die wir von seiner Hand
kennen2).

Bei einer Durchsicht der wichtigsten Literatur3) wird man feststellen müssen, daß die Wür-
digung des Werkes bisher fast ausschließlich nach Maßgabe jener allgemeinen Begriffe —
um nicht zu sagen Schlagworte — erfolgt ist, die sich für die Beurteilung von Correggios
Gesamtkunst im Laufe der Zeit herauskristallisiert haben. Es findeif sich — wozu die
ihres Helldunkels wegen berühmten Nischen und der Fries Anlaß bieten, — Beobach-
tungen über den malerischen Charakter seiner Formgebung, ferner Anmerkungen über den
konsequenten Realismus, der ihn dazu geführt hat, sowohl die gesamte Darstellung einer
einheitlichen Untensicht zu unterwerfen als auch in dem von den Fenstern der Kaminwand
einströmenden Tageslicht die natürliche Beleuchtungsquelle für den ganzen Raum anzu-
nehmen. Zuletzt werden wohl auch einige Erwägungen über ein vermeintliches Mißver-
hältnis zwischen Malerei und Architektur angestellt. Sie laufen einmütig darauf hinaus,
daß Correggios malerische Subjektivität die Forderungen des Raumes mißachtet und des-
halb jeden Einklang zwischen Architektur und Dekoration vernichtet habe.

Nun ist Correggio weder ein Maler unter Vielen, noch ist er überhaupt als Tafelmaler
schlechthin aufzufassen. Auf dem Ruhme, einer der größten Raummaler aller Zeiten zu
sein, ruht seine überragende Stellung in der Kunstgeschichte. Dadurch, daß er jedes ihm
in der Monumentalmalerei begegnende Problem auf völlig originale Weise —und zwar

') Ragionamento del Padre Ireneo Affö sopra una Stanza dipinta.. nel Monistero di S. Paolo. Par-
ma 1794, p. 29 ff.

2) Freilich ist diesem Meisterwerk eine lebendige Auswirkung auf die Kunst der Zukunft verwehrt ge-
blieben. Bald nach seiner Vollendung, 1524, wurde die Klausur über das Kloster verhängt, so daß das
köstliche Gemach bis zum Anfang des 19. Jahrhunderts nur ganz wenigen Begünstigten zugänglich war.

3) Ich nenne die wichtigste Literatur: (Biographien Correggios) J. Meyer, Leipzig 1871, S. 111 ff. —
C. Ricci, (deutsch) Berlin 1897, S. 162ff. — H. Thode, Bielefeld und Leipzig 1898. — G. Gronau,
Stuttgart und Leipzig 1907. — (Ferner:) J. Strzygowsky, Das Werden des Barock bei Raphael und
Correggio, Straßburg 1898, S. 92ff. — B. Berenson, The North Italian Painters of the Renaissance,
London und New York 1907, S. 137. — L. Testi, Camere di S. Paolo, in „Parma“ (XIV. Congresso
Sanitario Interprovinciale dell’Alta Italia), Parma 1907, S. 81 ff. Der neue zweibändige „Correggio“
von L. Testi war bis zur Drucklegung noch nicht erhältlich.
 
Annotationen