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Zweites Buch. I. Periode. Erfter Abfchnitt.
all, und zwar vorzugsweife auf dem Boden des fränkifchen Merowingerreiches,
in Gallien, in den Rheinlanden, Wandmalerei und Mofaik in Betrieb waren.
Eigener Dagegen erfchliefsen uns die Bilderhandfchriften den Einblick in eine
Gefchmack. .
Gattung künltlenfcher Thätigkeit, in welchem die urfprüngliche Gelcnmacks-
richtung der keltifchen und germanifchen Völker in voller Unabhängigkeit
hervortritt. Die Denkmäler diefer Gattung gehen bis in das 7. Jahrhundert
zurück und gehören verfchiedenen germanifchen Stämmen, noch mehr aber den
Iren an, bei welchen jener Gefchmack feine eigenthümlichfle Ausbildung em-
pfangen hat. Irland, die von keltifcher Bevölkerung bewohnte Infel, auf welcher
das Chriftenthum feit dem Jahre 430 Eingang gefunden, war von den Römern
nie befetzt worden, blieb von den Stürmen der Völkerwanderung verfchont
und erfreute fich einer friedlichen Entwicklung des chriftlichen Lebens. Hier
entfaltete fich eine auf Askefe, klöfterliches Leben, ftrenge Zucht und theo-
logifche Gelehrfamkeit gerichtete Sinnesweife, die in der Folge durch wan-
dernde irifche Mönche nach anderen Ländern, England, Schottland, dem
Continent, übertragen ward. Ihr entfprach zugleich eine eifrige Pflege der
Schreibkunfl: J).
Kalligraphie. Die irifchen Mönche fchrieben mit feltener Fertigkeit und mit einer Hin-
neigung zu künftlicher Kalligraphie, die ftark von den Schriften des Continentes
abwich. Die Malerei in den Büchern entwickelte fich rein aus kalligraphifcher
Verzierung, aus dem Schmuck der oft fehr grofsen Initialen oder aus der
ornamentalen Ausfüllung ganzer Flächen. Bei dem unmittelbaren Zufammen-
hang diefer Malerei mit der Schrift ift anzunehmen, dafs der Miniator und der
Schreiber in der Regel Eine Perfon waren; flieht doch auch in einem Evan-
geliarium der Dombibliothek zu Trier die Bezeichnung Thomas scribsit auf
den Bildern.
Stil diefer Verzierungen ift ein vorwiegend geometrifcher, in dem
Linearornament, wie es aus den Techniken des Flechtens, Stickens,
hervorgegangen, mit den kreisrunden Formen der Metallarbeit ver-
Er ift verfchiedenen Völkern, namentlich auch den indogermanifchen,
Geometri- Der
fcher Stil.
fleh das
Webens
bindet.
auf einer primitiven Stufe gemeinfam, tritt bei den Griechen, ehe fle den Ein-
flufs der vorderafiatifchen Kunft erfahren, in den bemalten Thonvafen älteften
Stiles auf1 2) und bleibt in den nordeuropäifchen Arbeiten in Bronze und Eifen
über ein Jahrtaufend länger erhalten. Da auch die Erzarbeit in irifchen
Klöftern betrieben wurde, ift folche Uebereinftimmung der Formen um fo
erklärlicher; oft lagen beide Techniken fogar in Einer Hand, wie bei Dagaeus
(f 586), der zugleich als Schreiber und als Schmied in Erz und Eifen genannt
1) Waagen, Deutfehes Kunftblatt, 1850, S. 83. — Unger, La miniature irlandaise, Revue celtique,
I, 1871 S. 9, und Artikel Grotteske bei Erfch und Grueber, I. Serie, B. 94, S. 188. — Die präch-
tigften Publicationen bei J. 0. Westwood, Fac-Similes of the miniatures and Ornaments of Anglo-
Saxon and Irish manuscripts, London 1868 Fol.; ferner in deffen oben citirter Palaeographia sacra.—
F. Keller, Bilder und Schriftzüge in den irifchen Manufcripten der fchweizerifchen Bibliotheken,
Mittheilungen der antiquarifchen Gefellfchaft in Zürich, B. VII, 3. Heft. — Einzelnes in der Palaeo-
graphical Society.
2) Vgl. oben S. 7°- Zu dem erwähnten Auffatze von Conze in den Sitzungsberichten der Wiener
Akademie, LXIV. Band S. 505, deffen Nachtrag ebenda, LXXIII Band, 1873, S. 221 und deffen
Auffatz über Schliemann’s Mykenae, Göttinger gelehrte Anzeigen, 1878, S. 385. — G. Semper, Der
Stil etc. II, München 1863, S. 138.
Zweites Buch. I. Periode. Erfter Abfchnitt.
all, und zwar vorzugsweife auf dem Boden des fränkifchen Merowingerreiches,
in Gallien, in den Rheinlanden, Wandmalerei und Mofaik in Betrieb waren.
Eigener Dagegen erfchliefsen uns die Bilderhandfchriften den Einblick in eine
Gefchmack. .
Gattung künltlenfcher Thätigkeit, in welchem die urfprüngliche Gelcnmacks-
richtung der keltifchen und germanifchen Völker in voller Unabhängigkeit
hervortritt. Die Denkmäler diefer Gattung gehen bis in das 7. Jahrhundert
zurück und gehören verfchiedenen germanifchen Stämmen, noch mehr aber den
Iren an, bei welchen jener Gefchmack feine eigenthümlichfle Ausbildung em-
pfangen hat. Irland, die von keltifcher Bevölkerung bewohnte Infel, auf welcher
das Chriftenthum feit dem Jahre 430 Eingang gefunden, war von den Römern
nie befetzt worden, blieb von den Stürmen der Völkerwanderung verfchont
und erfreute fich einer friedlichen Entwicklung des chriftlichen Lebens. Hier
entfaltete fich eine auf Askefe, klöfterliches Leben, ftrenge Zucht und theo-
logifche Gelehrfamkeit gerichtete Sinnesweife, die in der Folge durch wan-
dernde irifche Mönche nach anderen Ländern, England, Schottland, dem
Continent, übertragen ward. Ihr entfprach zugleich eine eifrige Pflege der
Schreibkunfl: J).
Kalligraphie. Die irifchen Mönche fchrieben mit feltener Fertigkeit und mit einer Hin-
neigung zu künftlicher Kalligraphie, die ftark von den Schriften des Continentes
abwich. Die Malerei in den Büchern entwickelte fich rein aus kalligraphifcher
Verzierung, aus dem Schmuck der oft fehr grofsen Initialen oder aus der
ornamentalen Ausfüllung ganzer Flächen. Bei dem unmittelbaren Zufammen-
hang diefer Malerei mit der Schrift ift anzunehmen, dafs der Miniator und der
Schreiber in der Regel Eine Perfon waren; flieht doch auch in einem Evan-
geliarium der Dombibliothek zu Trier die Bezeichnung Thomas scribsit auf
den Bildern.
Stil diefer Verzierungen ift ein vorwiegend geometrifcher, in dem
Linearornament, wie es aus den Techniken des Flechtens, Stickens,
hervorgegangen, mit den kreisrunden Formen der Metallarbeit ver-
Er ift verfchiedenen Völkern, namentlich auch den indogermanifchen,
Geometri- Der
fcher Stil.
fleh das
Webens
bindet.
auf einer primitiven Stufe gemeinfam, tritt bei den Griechen, ehe fle den Ein-
flufs der vorderafiatifchen Kunft erfahren, in den bemalten Thonvafen älteften
Stiles auf1 2) und bleibt in den nordeuropäifchen Arbeiten in Bronze und Eifen
über ein Jahrtaufend länger erhalten. Da auch die Erzarbeit in irifchen
Klöftern betrieben wurde, ift folche Uebereinftimmung der Formen um fo
erklärlicher; oft lagen beide Techniken fogar in Einer Hand, wie bei Dagaeus
(f 586), der zugleich als Schreiber und als Schmied in Erz und Eifen genannt
1) Waagen, Deutfehes Kunftblatt, 1850, S. 83. — Unger, La miniature irlandaise, Revue celtique,
I, 1871 S. 9, und Artikel Grotteske bei Erfch und Grueber, I. Serie, B. 94, S. 188. — Die präch-
tigften Publicationen bei J. 0. Westwood, Fac-Similes of the miniatures and Ornaments of Anglo-
Saxon and Irish manuscripts, London 1868 Fol.; ferner in deffen oben citirter Palaeographia sacra.—
F. Keller, Bilder und Schriftzüge in den irifchen Manufcripten der fchweizerifchen Bibliotheken,
Mittheilungen der antiquarifchen Gefellfchaft in Zürich, B. VII, 3. Heft. — Einzelnes in der Palaeo-
graphical Society.
2) Vgl. oben S. 7°- Zu dem erwähnten Auffatze von Conze in den Sitzungsberichten der Wiener
Akademie, LXIV. Band S. 505, deffen Nachtrag ebenda, LXXIII Band, 1873, S. 221 und deffen
Auffatz über Schliemann’s Mykenae, Göttinger gelehrte Anzeigen, 1878, S. 385. — G. Semper, Der
Stil etc. II, München 1863, S. 138.