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Fünftes Buch. Dritter Abfchnitt.
Die Dafs die tüchtigften diefer Meifter, wenn fie ganz italifirt in ihrer Heimat
Manieriften. wieder auftauchten, hier als kühne Bahnbrecher und fegensreiche Neuerer ge-
feiert, ja ausdrücklich mit den Ehrentiteln vlämifcher und holländifcher Michel-
angelos und Raphaels gefchmückt wurden, ift erklärlich; aber felbftverftändlich
ift es auch, dafs der Nachwelt, welche Sein vom Schein, Wahrheit von Unnatur,
ihre Manier. Stil von Manier unterfcheidet, die abfichtliche und in der Regel doch nur ver-
meintliche Formenfchönheit diefer Meifter kalt, leer und langweilig erfcheint, ein
Urtheil, welches auch durch die entfchuldigende Erwägung nicht gemildert wird,
dafs diefe Nachahmer des Auslandes einer hiftorifchen NothWendigkeit folgten
und die unerläfslichen Vermittler zwifchen den fich manchmal in Kleinigkeiten
verlierenden niederländifchen Meiftern des fünfzehnten und ihren gewaltigen,
freien, die italienifchen Eindrücke mit ihrem nationalen Grundgefühl kühn und
ficher verfchmelzenden Nachfolgern im fiebzehnten Jahrhundert waren.
Die feibft- Nur mufs freilich fofort hervorgehoben werden, dafs der Italismus das
Meifter. niederländifche Kunftfchaffen diefer Tage doch nicht vollftändig und ausfchliefs-
lich beherrfchte. Selbft die manierirteften Hiftorienmaler der Reihe treten uns
in ihren Bildniffen als Meifter von wahrhaft grofser, fchlichter Naturauffaffung
und glänzender malerifcher Technik entgegen, und dementfprechend ftehen zunächft
die eigentlichen Bildnifsmaler aufserhalb jenes uns unfympathifchen Bannes; aufser
ihnen aber auch die Vertreter der übrigen realiftifchen Fächer, die Künftler, deren
Darftellungen fich an das heimifche Volksleben und an die Landfchaft halten.
In diefen Fächern geht fchon jetzt eine entfchieden nationale neben jener »akade-
mifchen« Richtung her; weil aber die Vertreter diefes Faches uns unvermerkt ins
fiebzehnte Jahrhundert hinüberleiten, fo können fie im Zufammenhange diefes
Abfchnittes noch nicht fo weit mitbehandelt werden, wie jene unter dem Einfluffe
Italiens flehenden manierirten Hiftorienmaler, deren Befprechung fchon hier zu
Ende geführt werden mufs. Innere Gründe müffen dabei auch hier der äufseren
Zeitrechnung vorgezogen werden.
wm" Uebrigens dürfen die lebhaften Wechfelbeziehungen, welche in diefer Zeit
verieger. in den Niederlanden zwifchen den Malern einerfeits und den Stechern und Kunft-
verlegern andererfeits beftanden, nicht überfehen werden. Zwar flachen und
radirten viele niederländifche Meifter auch jetzt noch nach eigenen Erfindungen;
aber der Schwerpunkt ihrer Thätigkeit lag doch bereits im reproduktiven Stich;
und da fie vorzugsweife die Erfindungen ihrer Landsleute flachen, theils Gemälde,
theils eigens für den Stich entworfene Zeichnungen, fo haben fie nicht wenig
zur Verbreitung des Ruhmes derfelben beigetragen; ja, da manche Bilder diefer
Meifter fich nur in gleichzeitigen Stichen oder Radirungen erhalten haben, fo ift
ein tieferes Eingehen auf die niederländifche Kunft auch diefer Zeit ohne Be-
achtung der Stecher nicht möglich. Hier können im Folgenden jedoch nur die
wichtigften von ihnen erwähnt werden, wie fie fich von feibft an einige der
Maler anfchliefsen; und im allgemeinen fei im voraus nur noch an die Bedeutung
erinnert, die einige diefer Kupferftecher zugleich als Kunftverleger und Kunft-
hiftoHker" Händler, ja bis zu einem gewiffen Grade auch als Kunfthiftoriker hatten.
Hieronymus Cock von Antwerpen (geft. 1570) z. B. verfall nicht nur Vafari
(oben S. 6) mit Nachrichten über die niederländifchen Künftler, fondern er
veranftaltete auch in Verbindung mit dem vielfeitig, auch künftlerifch, gebildeten
Fünftes Buch. Dritter Abfchnitt.
Die Dafs die tüchtigften diefer Meifter, wenn fie ganz italifirt in ihrer Heimat
Manieriften. wieder auftauchten, hier als kühne Bahnbrecher und fegensreiche Neuerer ge-
feiert, ja ausdrücklich mit den Ehrentiteln vlämifcher und holländifcher Michel-
angelos und Raphaels gefchmückt wurden, ift erklärlich; aber felbftverftändlich
ift es auch, dafs der Nachwelt, welche Sein vom Schein, Wahrheit von Unnatur,
ihre Manier. Stil von Manier unterfcheidet, die abfichtliche und in der Regel doch nur ver-
meintliche Formenfchönheit diefer Meifter kalt, leer und langweilig erfcheint, ein
Urtheil, welches auch durch die entfchuldigende Erwägung nicht gemildert wird,
dafs diefe Nachahmer des Auslandes einer hiftorifchen NothWendigkeit folgten
und die unerläfslichen Vermittler zwifchen den fich manchmal in Kleinigkeiten
verlierenden niederländifchen Meiftern des fünfzehnten und ihren gewaltigen,
freien, die italienifchen Eindrücke mit ihrem nationalen Grundgefühl kühn und
ficher verfchmelzenden Nachfolgern im fiebzehnten Jahrhundert waren.
Die feibft- Nur mufs freilich fofort hervorgehoben werden, dafs der Italismus das
Meifter. niederländifche Kunftfchaffen diefer Tage doch nicht vollftändig und ausfchliefs-
lich beherrfchte. Selbft die manierirteften Hiftorienmaler der Reihe treten uns
in ihren Bildniffen als Meifter von wahrhaft grofser, fchlichter Naturauffaffung
und glänzender malerifcher Technik entgegen, und dementfprechend ftehen zunächft
die eigentlichen Bildnifsmaler aufserhalb jenes uns unfympathifchen Bannes; aufser
ihnen aber auch die Vertreter der übrigen realiftifchen Fächer, die Künftler, deren
Darftellungen fich an das heimifche Volksleben und an die Landfchaft halten.
In diefen Fächern geht fchon jetzt eine entfchieden nationale neben jener »akade-
mifchen« Richtung her; weil aber die Vertreter diefes Faches uns unvermerkt ins
fiebzehnte Jahrhundert hinüberleiten, fo können fie im Zufammenhange diefes
Abfchnittes noch nicht fo weit mitbehandelt werden, wie jene unter dem Einfluffe
Italiens flehenden manierirten Hiftorienmaler, deren Befprechung fchon hier zu
Ende geführt werden mufs. Innere Gründe müffen dabei auch hier der äufseren
Zeitrechnung vorgezogen werden.
wm" Uebrigens dürfen die lebhaften Wechfelbeziehungen, welche in diefer Zeit
verieger. in den Niederlanden zwifchen den Malern einerfeits und den Stechern und Kunft-
verlegern andererfeits beftanden, nicht überfehen werden. Zwar flachen und
radirten viele niederländifche Meifter auch jetzt noch nach eigenen Erfindungen;
aber der Schwerpunkt ihrer Thätigkeit lag doch bereits im reproduktiven Stich;
und da fie vorzugsweife die Erfindungen ihrer Landsleute flachen, theils Gemälde,
theils eigens für den Stich entworfene Zeichnungen, fo haben fie nicht wenig
zur Verbreitung des Ruhmes derfelben beigetragen; ja, da manche Bilder diefer
Meifter fich nur in gleichzeitigen Stichen oder Radirungen erhalten haben, fo ift
ein tieferes Eingehen auf die niederländifche Kunft auch diefer Zeit ohne Be-
achtung der Stecher nicht möglich. Hier können im Folgenden jedoch nur die
wichtigften von ihnen erwähnt werden, wie fie fich von feibft an einige der
Maler anfchliefsen; und im allgemeinen fei im voraus nur noch an die Bedeutung
erinnert, die einige diefer Kupferftecher zugleich als Kunftverleger und Kunft-
hiftoHker" Händler, ja bis zu einem gewiffen Grade auch als Kunfthiftoriker hatten.
Hieronymus Cock von Antwerpen (geft. 1570) z. B. verfall nicht nur Vafari
(oben S. 6) mit Nachrichten über die niederländifchen Künftler, fondern er
veranftaltete auch in Verbindung mit dem vielfeitig, auch künftlerifch, gebildeten