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Sechstes Buch. II. Abtheilung. Zweiter Abfchnitt.
Die anderen
Fächer.
Ihre ge-
fchichtliche
Bedeutung.
Ihre fittenge-
fchichtliche
Bedeutung.
Das
holländifche
Sittenbild.
i) Allgemeineres über fie von W. Lübke, im »Repertorium für Kunft wiffenfcbaft« I (1876)
S. I—27, und H. Riegel in feinen »Beiträgen« I (1882) S. 105—107.
Grade als fie aber huldigten die Schützengilden aller Städte der Sitte, ihre
Führer, zu lebensgrofsen Gruppen vereinigt, von den erften Künftlern malen
zu laffen. Waren diefe Schützengilden doch auch in der That ein gutes Stück
des auf feine Selbflvertheidigung bedachten Bürgerthums unter Waffen, und
fpielten fie daher doch auch wirklich im Leben der holländifchen Städte eine
fo hervorragende Rolle, dafs man ihrem jeweiligen Officiercorps das Bedürfnifs,
fich als folches noch von Enkeln und Urenkeln bewundern zu laffen, nachfühlen
kann. Auf diefe Weife entftanden jene »Schützen (Doelen)- und Regentenflücke« ’),
die unter diefem Namen beinahe die wichtigfte Klaffe aller holländifchen Figuren-
bilder des 17. Jahrhunders ausmachen. Gehören doch nicht nur die berühmteften
Bilder von Meiflern wie Frans Hals und Barth, van der Helft, fondern auch
die am meiften befprochenen Bilder Rembrandts felbft, feine »Anatomie« im
Haag und feine »Nachtwache« im Amfterdamer Reichsmufeum diefer Gruppe
von Gemälden an! Dafs diefe oft gewaltig grofsen Bilder, an den Wänden der
Rathhäufer, Gildenhäufer und anderer mehr oder weniger öffentlicher Gebäude
aufgehängt, zugleich als Wandfchmuck dienten, verfteht fich von felbft; eine
monumental decorative Aufgabe zu erfüllen, lag trotzdem nicht in ihrer Natur.
Dafs fie aber in der That die Bedeutung echter, grofser Gefchichtsbilder hatten und
haben, wird Jeder zugeben, welcher die Culturgefchichte eines Volkes für einen
mindeftens ebenfo wichtigen Beftandtheil feiner allgemeinen Gefchichte hält, wie
die Gefchichte feiner Kriege und feiner »Haupt- und Staatsactionen«.
So angefehen, gewinnt auch das eigentliche holländifche Sittenbild des
17. Jahrhunderts neben feinem rein künfllerifchen ein hervorragend fittengefchicht-
liches Intereffe; und die eigentlichen Sittenbilder, welche uns bald in die vor-
nehmen Patrizierhäufer, bald in die Wohnungen des mittleren Bürgerftandes,
bald in die Bauernftuben und in die Schenken, in denen fich das niedere Volk
verfammelt, führen, oder uns das bunte Leben auf den holländifchen Strafsen
und Plätzen jener Tage vor Augen Bellen, immer aber zugleich treue, manch-
mal mehr gemüthlich, manchmal mehr farkaftifch gefärbte Spiegelbilder des
holländifchen Privatlebens des 17. Jahrhunderts find, nehmen unter den Cabinets-
bildern in kleinem Mafse und mit kleinen Figuren in diefer Zeit diefelbe Stellung
ein, wie jene »Schützen- und Regentenflücke« unter den Darftellungen mit
lebensgrofsen Figuren; und da diefe Sittenbilder gerade wegen ihres kleinen
Umfangs am leichteflen verkäuflich waren, während jene Schützen- und Regenten-
ftücke oft fchon als öffentliches Eigenthum nicht in den Handel kamen, fo ift
es erklärlich, dafs gerade fie in alle Galerien Europas ihren Weg fanden und
hier als die allercharakteriftifchflen Beifpiele der holländifchen Kunft galten, bis
die Kennerreifen unteres Jahrhunderts der Nachwelt die Augen darüber öffneten,
eine wie mächtige Stelle neben ihnen auch jene lebensgrofsen Gruppenbilder
in der holländifchen Figurenmalerei fpielten.
Uebrigens lag es im ganzen realiftifchen Charakter der holländifchen Kunft,
dafs ihre Figurenmalerei alles in allem kaum eine gröfsere Rolle fpielte, als
die übrigen Fächer zufammen genommen, dafs insbefondere die Thier-, die
Sechstes Buch. II. Abtheilung. Zweiter Abfchnitt.
Die anderen
Fächer.
Ihre ge-
fchichtliche
Bedeutung.
Ihre fittenge-
fchichtliche
Bedeutung.
Das
holländifche
Sittenbild.
i) Allgemeineres über fie von W. Lübke, im »Repertorium für Kunft wiffenfcbaft« I (1876)
S. I—27, und H. Riegel in feinen »Beiträgen« I (1882) S. 105—107.
Grade als fie aber huldigten die Schützengilden aller Städte der Sitte, ihre
Führer, zu lebensgrofsen Gruppen vereinigt, von den erften Künftlern malen
zu laffen. Waren diefe Schützengilden doch auch in der That ein gutes Stück
des auf feine Selbflvertheidigung bedachten Bürgerthums unter Waffen, und
fpielten fie daher doch auch wirklich im Leben der holländifchen Städte eine
fo hervorragende Rolle, dafs man ihrem jeweiligen Officiercorps das Bedürfnifs,
fich als folches noch von Enkeln und Urenkeln bewundern zu laffen, nachfühlen
kann. Auf diefe Weife entftanden jene »Schützen (Doelen)- und Regentenflücke« ’),
die unter diefem Namen beinahe die wichtigfte Klaffe aller holländifchen Figuren-
bilder des 17. Jahrhunders ausmachen. Gehören doch nicht nur die berühmteften
Bilder von Meiflern wie Frans Hals und Barth, van der Helft, fondern auch
die am meiften befprochenen Bilder Rembrandts felbft, feine »Anatomie« im
Haag und feine »Nachtwache« im Amfterdamer Reichsmufeum diefer Gruppe
von Gemälden an! Dafs diefe oft gewaltig grofsen Bilder, an den Wänden der
Rathhäufer, Gildenhäufer und anderer mehr oder weniger öffentlicher Gebäude
aufgehängt, zugleich als Wandfchmuck dienten, verfteht fich von felbft; eine
monumental decorative Aufgabe zu erfüllen, lag trotzdem nicht in ihrer Natur.
Dafs fie aber in der That die Bedeutung echter, grofser Gefchichtsbilder hatten und
haben, wird Jeder zugeben, welcher die Culturgefchichte eines Volkes für einen
mindeftens ebenfo wichtigen Beftandtheil feiner allgemeinen Gefchichte hält, wie
die Gefchichte feiner Kriege und feiner »Haupt- und Staatsactionen«.
So angefehen, gewinnt auch das eigentliche holländifche Sittenbild des
17. Jahrhunderts neben feinem rein künfllerifchen ein hervorragend fittengefchicht-
liches Intereffe; und die eigentlichen Sittenbilder, welche uns bald in die vor-
nehmen Patrizierhäufer, bald in die Wohnungen des mittleren Bürgerftandes,
bald in die Bauernftuben und in die Schenken, in denen fich das niedere Volk
verfammelt, führen, oder uns das bunte Leben auf den holländifchen Strafsen
und Plätzen jener Tage vor Augen Bellen, immer aber zugleich treue, manch-
mal mehr gemüthlich, manchmal mehr farkaftifch gefärbte Spiegelbilder des
holländifchen Privatlebens des 17. Jahrhunderts find, nehmen unter den Cabinets-
bildern in kleinem Mafse und mit kleinen Figuren in diefer Zeit diefelbe Stellung
ein, wie jene »Schützen- und Regentenflücke« unter den Darftellungen mit
lebensgrofsen Figuren; und da diefe Sittenbilder gerade wegen ihres kleinen
Umfangs am leichteflen verkäuflich waren, während jene Schützen- und Regenten-
ftücke oft fchon als öffentliches Eigenthum nicht in den Handel kamen, fo ift
es erklärlich, dafs gerade fie in alle Galerien Europas ihren Weg fanden und
hier als die allercharakteriftifchflen Beifpiele der holländifchen Kunft galten, bis
die Kennerreifen unteres Jahrhunderts der Nachwelt die Augen darüber öffneten,
eine wie mächtige Stelle neben ihnen auch jene lebensgrofsen Gruppenbilder
in der holländifchen Figurenmalerei fpielten.
Uebrigens lag es im ganzen realiftifchen Charakter der holländifchen Kunft,
dafs ihre Figurenmalerei alles in allem kaum eine gröfsere Rolle fpielte, als
die übrigen Fächer zufammen genommen, dafs insbefondere die Thier-, die