Die franzöfifche Malerei des 18. Jahrhunderts. B. Die franzöfifchen Sittenmaler.
wie dem mythologifchen Gefchichtsbilde. Es ift bezeichnend, dafs diefer
charakteriftifchfle der franzöfifchen Grofsmaler des 18. Jahrhunderts fich auch
in diefer Beziehung dem Zuge der Zeit nicht entzog. In der That entfprach
es durchaus dem Zuge der Zeit, in welcher fich die intime Gefelligkeit und
das häusliche Leben in modernem Sinne entwickelten, auch in der Kunft die
Alleinherrfchaft der Götter, Helden und Könige zu brechen und der »Gefell- Bedeutung
fchaft« und felbft dem bürgerlichen Familienleben die Ebenbürtigkeit zuzu- Sitten-
geftehen. Die Wandlung, welche die niederländifche Kunft, die von Anfang iS. jahr-
an volkstümlicher gewefen war, fchon hundert Jahre früher gründlich durch-
gemacht hatte, vollzog fich jetzt auch in Frankreich. Auf dem Gebiete des
Sittenbildes im weiteften Sinne des Wortes leidet im 18. Jahrhundert auch die
franzöfifche Kunft ihr Eigenftes und Beftes; und gerade auf diefem Gebiete
fpiegelt fie auch am fchärfften die grofsen Wandlungen des franzöfifchen Geiftes-
lebens während diefes Zeitraums wieder. Watteau’s ideal-phantaftifches Sitten-
bild ift in gleichem Mafse der Ausdruck oder der Vorbote des geiftigen Lebens ihre ver-
der franzöfifchen Rococozeit, wie Chardin’s und Greuze’s realiftifch-bürgerliches Richtungen.
Sittenbild Vorbote und Ausdruck des Geifteslebens der franzöfifchen Revolu- DQenteale
tionszeit ift.
Betrachten wir zunächfl Watteau und die Seinen. Als Vorläufer und watteau’s
Lehrer Watteau’s ift Claude Gillot zu nennen. Gillot war 1673 zu Langres Gillot.
geboren, kam aber früh nach Paris, wo er lernte und lebte, 1715 in die Aka-
demie aufgenommen wurde und am 4. Mai 1722 ftarb. Er ftand mit der Oper
in Verbindung, deren Decorationen, Mafchinen und Coftüme er eine Zeitlang
beforgte. Daher erklärt es fich, dafs er Scenen aus dem Theaterleben, felbft
die Figuren der italienifchen Komödie, unter feine Darflellungen aufnahm.
Gemälde feiner Hand haben fich übrigens nicht erhalten!), und fie fcheinen auch
fchon zu feinen Lebzeiten nicht fonderlich gefchätzt worden zu fein. Sein
Ruhm beruht einerfeits auf feinen von anderen geftochenen oder radirten Zeich-
nungen, andererfeits auf feinen eigenen Radirungen. Sie find halb finnlicher,
halb fatirifcher Natur und gefielen den Franzofen durch den Esprit gaulois,
der in ihnen pulfirte. Charakteriflifch find die 75 Blatt Theatertrachten und
die 5 Blatt Theatergefchichten, welche Fr. Joullain nach Gillot’s Zeichnungen
flach, charakteriflifch die 16 Blatt Opernfcenen, welche Ger. Scotin radirte,
charakteriflifch die 4 Blatt »Paffions«, welche Benoit Audran d. J. verviel-
fältigte. Von Gillot’s eigenen Radirungen1 2 3) find die Folgen aus dem Satyr-
und Bacchantenleben und feine Illuftrationen der Fabeln de la Motte’s hervor-
zuheben. Immerhin würde Gillot in der Gefchichte der Malerei kaum genannt
zu werden brauchen, wenn er nicht der Lehrer Watteau’s gewefen wäre.
Antoine Watteau wurde am 10. Oct. 1684 zu Valenciennes getauft. Sein Watteau.
1) Wenn nicht, wie Dohme mit dem Duc d' Atimale annimmt, die Malereien zweier Zimmer des
Schloffes Chantilly, welche Goncourt für Jugendwerke Watteau’s hält, von Gillot herrühren. Vgl. Jahr-
buch der Pr. K. S. IV, 1883, S. 225—226.
2) Nagler, Allg. K. L. V, 1837, S. 167. — Ch. Le Blanc, Manuel II. Paris 1856, p. 298.
3) Zeitgenöffifche Literatur; Gerfaint’s Notiz im Auktionskatalog Quentin de Lorangere.
Paris 1744, abgedruckt durch Dohme im Jahrbuch der Pr. K. S. IV, 1883, S. 219—224. — Le
Comte de Caylus-, La vie d’Antoine Watteau (1748 gehaltene Akademierede) bei E. J. de
Gefchichte d. Malerei. III. (III, 2.) 6l
wie dem mythologifchen Gefchichtsbilde. Es ift bezeichnend, dafs diefer
charakteriftifchfle der franzöfifchen Grofsmaler des 18. Jahrhunderts fich auch
in diefer Beziehung dem Zuge der Zeit nicht entzog. In der That entfprach
es durchaus dem Zuge der Zeit, in welcher fich die intime Gefelligkeit und
das häusliche Leben in modernem Sinne entwickelten, auch in der Kunft die
Alleinherrfchaft der Götter, Helden und Könige zu brechen und der »Gefell- Bedeutung
fchaft« und felbft dem bürgerlichen Familienleben die Ebenbürtigkeit zuzu- Sitten-
geftehen. Die Wandlung, welche die niederländifche Kunft, die von Anfang iS. jahr-
an volkstümlicher gewefen war, fchon hundert Jahre früher gründlich durch-
gemacht hatte, vollzog fich jetzt auch in Frankreich. Auf dem Gebiete des
Sittenbildes im weiteften Sinne des Wortes leidet im 18. Jahrhundert auch die
franzöfifche Kunft ihr Eigenftes und Beftes; und gerade auf diefem Gebiete
fpiegelt fie auch am fchärfften die grofsen Wandlungen des franzöfifchen Geiftes-
lebens während diefes Zeitraums wieder. Watteau’s ideal-phantaftifches Sitten-
bild ift in gleichem Mafse der Ausdruck oder der Vorbote des geiftigen Lebens ihre ver-
der franzöfifchen Rococozeit, wie Chardin’s und Greuze’s realiftifch-bürgerliches Richtungen.
Sittenbild Vorbote und Ausdruck des Geifteslebens der franzöfifchen Revolu- DQenteale
tionszeit ift.
Betrachten wir zunächfl Watteau und die Seinen. Als Vorläufer und watteau’s
Lehrer Watteau’s ift Claude Gillot zu nennen. Gillot war 1673 zu Langres Gillot.
geboren, kam aber früh nach Paris, wo er lernte und lebte, 1715 in die Aka-
demie aufgenommen wurde und am 4. Mai 1722 ftarb. Er ftand mit der Oper
in Verbindung, deren Decorationen, Mafchinen und Coftüme er eine Zeitlang
beforgte. Daher erklärt es fich, dafs er Scenen aus dem Theaterleben, felbft
die Figuren der italienifchen Komödie, unter feine Darflellungen aufnahm.
Gemälde feiner Hand haben fich übrigens nicht erhalten!), und fie fcheinen auch
fchon zu feinen Lebzeiten nicht fonderlich gefchätzt worden zu fein. Sein
Ruhm beruht einerfeits auf feinen von anderen geftochenen oder radirten Zeich-
nungen, andererfeits auf feinen eigenen Radirungen. Sie find halb finnlicher,
halb fatirifcher Natur und gefielen den Franzofen durch den Esprit gaulois,
der in ihnen pulfirte. Charakteriflifch find die 75 Blatt Theatertrachten und
die 5 Blatt Theatergefchichten, welche Fr. Joullain nach Gillot’s Zeichnungen
flach, charakteriflifch die 16 Blatt Opernfcenen, welche Ger. Scotin radirte,
charakteriflifch die 4 Blatt »Paffions«, welche Benoit Audran d. J. verviel-
fältigte. Von Gillot’s eigenen Radirungen1 2 3) find die Folgen aus dem Satyr-
und Bacchantenleben und feine Illuftrationen der Fabeln de la Motte’s hervor-
zuheben. Immerhin würde Gillot in der Gefchichte der Malerei kaum genannt
zu werden brauchen, wenn er nicht der Lehrer Watteau’s gewefen wäre.
Antoine Watteau wurde am 10. Oct. 1684 zu Valenciennes getauft. Sein Watteau.
1) Wenn nicht, wie Dohme mit dem Duc d' Atimale annimmt, die Malereien zweier Zimmer des
Schloffes Chantilly, welche Goncourt für Jugendwerke Watteau’s hält, von Gillot herrühren. Vgl. Jahr-
buch der Pr. K. S. IV, 1883, S. 225—226.
2) Nagler, Allg. K. L. V, 1837, S. 167. — Ch. Le Blanc, Manuel II. Paris 1856, p. 298.
3) Zeitgenöffifche Literatur; Gerfaint’s Notiz im Auktionskatalog Quentin de Lorangere.
Paris 1744, abgedruckt durch Dohme im Jahrbuch der Pr. K. S. IV, 1883, S. 219—224. — Le
Comte de Caylus-, La vie d’Antoine Watteau (1748 gehaltene Akademierede) bei E. J. de
Gefchichte d. Malerei. III. (III, 2.) 6l